Deutsche Redaktion

Eine neue Aufteilung der Welt

23.02.2023 12:21
Die Welt befindet sich an einem Wendepunkt.
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Rzeczpospolita: Eine neue Aufteilung der Welt 

Wie Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita nach dem Besuch des US-Präsidenten in Polen schreibt, gehöre die internationale Ordnung seit dem Ende des Kalten Krieges langsam der Vergangenheit an. Die Welt befinde sich an einem Wendepunkt, heißt es. Die nächsten fünf Jahre würden bestimmen, wie wir in den nächsten Jahrzehnten leben werden, verkündete Joe Biden in einer Rede in Warschau. Dieser Prozess habe bereits begonnen, lesen wir, und die Reise des amerikanischen Präsidenten nach Osteuropa sei ein wichtiger Teil davon gewesen.

Zunächst seine überraschende Reise nach Kiew. Sie sei ein Zeichen dafür gewesen, dass Washington die Ukraine nicht mehr als Teil der russischen Einflusssphäre betrachte sondern bereit sei, seine Zukunft auf Jahre hinaus an das Land zu binden. Vom Ausgang dieses Krieges werde nämlich nicht nur Putins Vermächtnis abhängen, sondern auch das von Biden selbst. Trotz seines fortgeschrittenen Alters soll er eine weitere Amtszeit anstreben, um die „Arbeit" in der Ukraine zu beenden, schreibt Bielecki.

Auch das Treffen zwischen dem amerikanischen Präsidenten und den Staats- und Regierungschefs der neun Länder an der Ostflanke der NATO am Mittwoch würde die Form des künftigen geostrategischen Gleichgewichts zeigen, heißt es weiter. Bei seiner Europareise, bemerkt der Autor, habe Biden sich mit keinem der Staats- und Regierungschefs der wichtigsten NATO-Länder - Frankreich, Deutschland oder Großbritannien - getroffen. Biden scheine auch seine Abneigung gegen die konservative Regierung der Partei Recht und Gerechtigkeit überwunden zu haben, lesen wir im Blatt. Dies beweise, dass der Schwerpunkt Europas sich nach Osten verlagert hat und Amerika dieser Region Vorrang einräume.

Man wisse auch nicht, heißt es weiter, ob die Russen nicht bald eine neue Kampffront in Moldawien eröffnen und Rumänien für die USA so wichtig sein werde wie Polen. Geht es nach dem Autor, seien aber die Opfer dieser Schachzüge nicht nur einzelne westeuropäische Länder, sondern die EU als Ganzes. Spätestens seit der Wiedervereinigung Deutschlands gebe es eine Debatte darüber, schreibt die Rzeczpospolita, die Gemeinschaft in eine politische und nicht nur in eine wirtschaftliche Kraft zu verwandeln. Doch im Moment dieses Prozesses sei es angesichts des größten Konflikts an den Grenzen der EU seit dem Zweiten Weltkrieg Washington, und nicht Brüssel, das die Führung des Westens übernehme, stellt Bielecki fest.

Aber auch auf der anderen Seite des neuen Eisernen Vorhangs ändern sich die Machtverhältnisse, fährt der Autor fort. Während sich Biden in Warschau mit Verbündeten traf, empfing Wladimir Putin den Chef der chinesischen Diplomatie im Kreml. Seit dem Beginn des Einmarsches in der Ukraine sei kein so hochrangiger Vertreter des Reichs der Mitte dort erschienen, lesen wir. Russland, so Bielecki, habe sich bereits in eine weitreichende Abhängigkeit von China gebracht: Von dort importiert es bereits mehr als die Hälfte aller Waren. Dieses Verhältnis könnte sich nun noch weiter verschärfen, sollte Xi Jinping Waffen und Munition an Putin liefern.

Die Chinesen werden Russland nicht fallen lassen, heißt es am Schluss. Sie hätten Moskau zu einem Vasallenstaat gemacht, was ihr Potenzial in der Auseinandersetzung mit Amerika erheblich stärke. Würde Peking aber die Kontrolle über die reichen sibirischen Rohstoffvorkommen an sich reißen, lautet Bieleckis Fazit in der Tageszeitung, wäre das eine ernste Gefahr für die gesamte freie Welt. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Biden hat in Warschau nicht überrascht 

Biden hat Polen zum zweiten Mal seit Beginn der russischen Invasion besucht. Bidens Rede sei in amerikanischen Stil abgelaufen, schreibt indes Dziennik/Gazeta Prawna. Er habe Kinder um sich versammelt, die verschiedene Regionen der Welt repräsentierten. Seine starke politische Botschaft wurde von einer Lichtershow in ukrainischen Farben begleitet.

Seine Hauptziele in Warschau seien ähnlich wie die von vor 11 Monaten gewesen, lesen wir. Er habe den Verbündeten die eiserne Unterstützung der USA versichert, ihr Vertrauen gestärkt und den Westen zu einer zusätzlichen Mobilisierung gegen Russland motiviert. In Kiew habe Biden ein neues Paket militärischer Unterstützung für die Ukraine angesagt. Munition in dieser Phase des Krieges sei zwar sehr wichtig, heißt es weiter, aber es habe keine Absichtserklärung gegeben, der Ukraine Langstreckenraketen oder moderne Kampfflugzeuge aus westlicher Produktion zu schicken. Auch gestern habe er in Warschau keine derartigen Zusagen gemacht. Geht es nach dem Blatt, würden die Amerikaner sich diese Karten für später aufheben. Washington befürchte ein solcher Schritt könnte eine unerwünschte Ausweitung des bewaffneten Konflikts durch Russland nach sich ziehen.

Im Gespräch mit dem Blatt habe Kurt Volker, den ehemaligen US-Botschafter bei der NATO, die vorherrschende Auffassung während Bidens Besuch, der Westen hätte im letzten Jahr gute Arbeit bei der Rettung der Ukraine geleistet, beunruhigt. Erklärungen, dass die Hilfe genauso weiter verlaufen sollte wie bisher, seien ihm zufolge besorgniserregend. Nach Ansicht von Kurt Volker habe der Westen bisher nicht genug getan und letztes Jahr eine Menge Fehler gemacht. „Wir waren zu langsam, wir haben zu lange gezögert. Wir haben nicht die richtigen Waffen zum richtigen Zeitpunkt geliefert", soll Volker gegenüber der dem Blatt erklärt haben. 


Gazeta Polska Codziennie: Einst hätte eine solche Rede in Berlin stattgefunden 

Bidens Besuch in Warschau habe keine konkreten Erklärungen zu einer ausdrücklichen Erhöhung der polnischen Verteidigungskapazitäten oder dieses Teils von Europa im Allgemeinen gebracht, sagt im Gespräch mit der regierungsnahen Tageszeitung GPC Dr. Tomasz Lachowski vom Institut für Internationales Recht und Beziehungen der Universität Łódź. Geht es nach ihm, könnte Bidens Rede in Warschau für viele deshalb eine amerikanische Show ohne Konkretes gewesen sein. 

Einige Äußerungen hätten jedoch positiv überrascht. Präsident Biden habe die Republik Moldau erwähnt. Die Präsidentin dieses Landes, Maia Sandu, sei zu dem Zeitpunkt in Warschau gewesen. Medien zufolge könnte in dieser Ex-Sowjetrepublik möglicherweise ein Putschversuch durch russische Agenten stattfinden. Die Tatsache, dass Biden in einem Moment, in dem er sich an Polen, Ukrainer und natürlich Amerikaner wandte, plötzlich über Moldawien sprach, bedeute, dass dieser Staat in seinen Augen Teil der westlichen Welt sei.

Überrascht haben Lachowski auch Präsident Bidens Worte an die Belarussen. Es sei ein klares Signal, lesen wir, dass die Gemeinschaft dort nicht mit dem Lukaschenko-Regime, mit dem, wie der Autor es nennt, „russischen Sumpf" identifiziert werde. Es sei gut, dass der Aufstand der belarussischen Bevölkerung nach den Präsidentschaftswahlen 2020 nicht in Vergessenheit gerät. Geht es nach dem Professor, würden die Worte eines Politikers dieses Formats nicht einfach wie im Wind verpuffen. Alles, was Biden in Warschau gesagt habe, würde auch die Rolle Polens unterstreichen. An der Ostflanke der NATO werde Polen damit als ernsthafter und zuverlässiger Partner angesehen.

Polen sei heute ein Frontland. Eine humanitärer und militärischer Hub, heißt es weiter. Was während des Kalten Krieges im westdeutschen Raum stattfand, sei heute in Polen der Fall. Lachowski zufolge wäre eine solche Rede in der Vergangenheit wahrscheinlich in Berlin gehalten worden. Heute fand sie aber in Warschau statt. Dies zeige, dass sich für Amerika die Last der transatlantischen Beziehungen an die Weichsel verlagert habe. So wie einst West-Berlin, sei heute Polen der letzte Zufluchtsort der freien Welt in diesem Teil Europas, stellt der Akademiker in der regierungsnahen Tageszeitung fest. 

Wprost: Für einige Russen ist der Krieg eine große Chance

Die Wochenzeitung Wprost hat ein Interview mit der ehemaligen Korrespondentin in Moskau, Arleta Bojke, durchgeführt. Wie wir lesen, sei das Gefährliche, dass Russland mehr Menschen mobilisieren und auch seine Wirtschaft so umstellen könnte, um alles der Invasion der Ukraine unterzuordnen. Im Zweiten Weltkrieg habe Russland nicht mit moderner Ausrüstung gewonnen, lesen wir im Blatt, sondern mit seiner Masse. Diese Masse sei sehr gefährlich, überzeugt Bojke. Geht es nach der Journalistin, hätten Russen schon immer den Krieg als Möglichkeit gesehen, sich aus den sozialen Tiefen herauszureißen. So grausam es auch klingen mag, fährt Bojke fort, für manche Russen sei der Krieg eine große Chance, aus der Armut herauszukommen, selbst wenn sie jemanden verlieren, der ihnen nahe stehe. Die Ukrainer würden deshalb erkennen, dass der Krieg noch lange andauern könnte, heißt es weiter. Es sei in Putins Interesse, die Ukraine auszubluten.

In Gesprächen mit Ukrainern habe die ehemalige Korrespondentin gehört, sie könnten dazu verdammt sein wie Israel mit arabischen Nachbarstaaten zu leben – in einem Zustand ständiger Alarmbereitschaft. Ukrainer wüssten, dass es schwer sein werde, mit einem Nachbarn wie Russland Frieden zu finden, sagt Bojke dem Wochenblatt.

Piotr Siemiński