Deutsche Redaktion

Nach Atomdrohungen: "Putin kann Polen erpressen"

28.03.2023 11:38
Wie schon in den 1970-er Jahren stelle sich auch heute die Frage, ob die USA Europa im Falle eines begrenzten nuklearen Angriffs zur Hilfe eilen und die eigene Sicherheit riskieren werden, schreibt Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita. Außerdem: Werden Konflikte um das Justizwesen zu einem polnischen Exportgut? Und: Polnische Rüstungsindustrie fährt Kapazitäten für Munitionsproduktion hoch. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Rosja straszy jądrowym wyścigiem zbrojeń
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Rzeczpospolita: Putin kann Polen erpressen

Nach der von Putin angekündigten Stationierung taktischer Atomwaffen in Belarus wird sich die Frage stellen, ob uns die USA im Falle eines begrenzten nuklearen Angriffs von russischer Seite zu Hilfe kommen und ihre eigene Sicherheit riskieren werden, schreibt in der aktuellen Ausgabe der konservativ-liberalen Rzeczpospolita der Publizist Jędrzej Bielecki.

Mit einer solchen Situation, erinnert der Publizist, sei die NATO bereits in den späten 1970er und frühen 1980er Jahren konfrontiert worden. Damals habe die UdSSR mit der Stationierung von selbstfahrenden Raketenwerfern mit SS-20-Atomraketen in der Nähe der Grenzen des Bündnisses begonnen. Deren Reichweite von mehreren hundert Kilometern habe dem Kreml die Durchführung eines begrenzten nuklearen Angriffs gegen die europäischen Verbündeten der USA ermöglicht. Leonid Breschnew habe gehofft, dass dies die Erfüllung eines langjährigen Traums der UdSSR - die Zerschlagung des transatlantischen Bündnisses - in greifbare Nähe rücken werde. Denn, da es in Europa keine vergleichbaren Waffen gebe, stelle ein solcher Schritt das Weiße Haus vor ein Dilemma: Solle es mittels ballistischer Atomraketen zur Hilfe eilen und damit die eventuelle Vernichtung der USA in Kauf nehmen, oder lieber doch die Kontrollübernahme über die europäischen NATO-Länder durch Moskau akzeptieren? Damals, so Bielecki, sei die Antwort Washingtons unmissverständlich gewesen. Die Stationierung von 572 US Pershing-Mittelstreckenraketen mit Atomsprengköpfen habe pazifistische Demonstrationen provoziert. Aber sowohl der französische Präsident als auch der deutsche Bundeskanzler hätten sich auf die Seite des Weißen Hauses gestellt. Erst 1987 hätten Michail Gorbatschow und Ronald Reagan ein Abkommen zur Abschaffung dieser Waffen unterzeichnet.

Heute kehre das Thema mit Putins Ankündigung zur Stationierung von Mittelstreckenraketen mit nuklearer Ladung in Belarus zurück. Mit einer Reichweite von 500 km könnten diese Raketen Polen und die baltischen Staaten erreichen. Und wie schon vor 40 Jahren stelle sich auch heute die Frage, ob die Amerikaner im Falle eines begrenzten russischen Atomangriffs bereit wären, für unser Land zu sterben? In Europa würden die USA heute nur über knapp 100 atomar bestückte Bomben verfügen, die in Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Italien und der Türkei stationiert seien. Anders als der Kreml habe das Weiße Haus, getäuscht von der Idee einer "Friedensdividende", diese Kategorie von Rüstungsgütern fast vollständig abgebaut. 

Es sei noch zu früh, um vorherzusehen, wie die Reaktion auf Russlands Schritt ausfallen werde. Aber diese Antwort müsse nicht unbedingt in der Einführung neuer Raketen bestehen. Polen und die baltischen Staaten, erinnert der Publizist, würden auf einen vollständigen Sieg über Russland drängen, während die USA und Westeuropa sich die Option eines territorialen Kompromisses in der Ukraine offen halten wollen. Vielleicht könnte sich also zum Beispiel die Marginalisierung der polnischen Position in der NATO als der Preis erweisen, für den der Kreml auf die Stationierung neuer Waffen in Weißrussland verzichte, schreibt Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita. 

Rzeczpospolita: Exporter von Konflikten um die Justiz

Der Redaktionskollege von Bielecki, Michał Szułdrzyński, zieht in seiner Stellungnahme Parallelen zwischen den Protesten in Israel und den Konflikten um das Justizwesen in Polen. Wenn ihn Diplomaten oder ausländische Wirtschaftsvertreter fragen, was es mit der polnischen Politik auf sich habe, so Szułdrzyński, antworte er oft: "Wenn ihr die polnische Politik verstehen wollt, solltet ihr sie nicht mit einem anderen EU-Staat vergleichen, sondern mit Israel. Sucht dort nach Analogien.” Und wahrscheinlich, so Szułdrzyński, sei dieser Vergleich noch nie so aktuell gewesen, wie jetzt, wenn Israel von Demonstrationen erschüttert wird, bei denen Tausende von Demonstranten gegen die Justizreform von Netanjahu auf die Straßen gehen. “Wir werden die Demokratie verteidigen, wir wollen nicht wie Polen enden”, könne man von manchen Demonstranten hören. 

Und tatsächlich seien die Parallelen der von Benjamin Netanjahu vorgeschlagenen Änderungen zu dem, was die PiS-Partei seit 2015 in Polen tue, auffällig. Beide Regierungen seien der Meinung, dass sich das Justizwesen in den Händen einer nicht gewählten Kaste mit linksliberalen Sympathien befinde. Netanjahu habe sich sofort nach der Machtübernahme im November an die Übernahme der Justiz gemacht. Genau wie PiS-Chef Jarosław Kaczyński: Als dieser wieder an der Macht gekommen sei, habe er sich zunächst auf das Verfassungstribunal gestürzt, dann auf den Nationalen Justizrat, die disziplinarische Verantwortung der Richter, das Gerichtssystem und den Obersten Gerichtshof.

Er, so Bielecki, sei überzeugt, dass Netanjahu die Dynamik der Proteste gegen den Sprung auf die Justiz in Polen und in Ungarn genauestens analysiert habe. Er habe sicherlich die Proteste im Jahr 2017 unter die Lupe genommen, die mit dem Veto von Staatspräsident Andrzej Duda geendet hätten. Dann aber hätten sich alle zerstreut, und die "Arbeit" sei trotzdem erledigt worden. Der israelische Premierminister hoffe wahrscheinlich, dass es bei ihm genauso sein werde.

Aber sicher, fährt der Autor fort, habe auch die israelische Opposition ihre Lehren daraus gezogen, was in unserem Teil Europas passiert sei und beschlossen, nicht nachzulassen und zu protestieren, bis der Premierminister die Änderungen zurückziehe. In Israel gebe es keine Verfassung und kein Vetorecht des Präsidenten. Der Oberste Gerichtshof werde daher vom liberalen Lager als letzte Bastion angesehen, die die extreme, religiös-fundamentalistische Rechte stoppen könne, die in der Koalition mit dem Likud über eine Mehrheit verfüge. Daher auch die Entschlossenheit der Opposition, die es geschafft habe, alle zu mobilisieren, um die letzte Bastion der Demokratie im Nahen Osten zu verteidigen.

Wie auch immer, es sei nicht einmal notwendig, zu spekulieren: "Die israelische Seite hat uns selbst danach gefragt", habe Vize-Außenminister Paweł Jabłoński gegenüber dem Radiosender RMF in Bezug auf die Proteste gesagt. Und zugegeben, dass "wir bis zu einem gewissen Grad unsere Erfahrungen geteilt haben". Solle damit also das Know-how zu politischem Druck auf die Justiz ein polnisches Exportgut werden? Dies sei wahrscheinlich nicht die Art von Innovation, die Polen im Sinn hatte, als es vor 30 Jahren eine führende Rolle bei der Transformation spielen wollte, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita. 

Gazeta Polska Codziennie: Polen wird Munition für Europa produzieren

Polnische Rüstungsunternehmen werden zusätzliche Produktionslinien für Munition, vor allem für Artillerie, in Gang setzen. Die Rüstungsgüter sollen zur Ergänzung der Reserven Polens und der Partner aus der EU und NATO sowie zur weiteren Unterstützung der Ukraine genutzt werden, schreibt nach dem gestrigen Besuch von EU-Binnenmarkt-Kommissar Thierry Breton, die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie. “Wir investieren ernsthaft in die polnische Rüstungsindustrie. Unsere Produkte kommen schon jetzt in der Ukraine zum Einsatz. Dazu wissen wir, dass die HIMARS-Raketen auf polnischen Fahrwerken installiert werden und wir an anderen Projekten mit Südkorea arbeiten werden. Nun kommt auch die Produktion von Munition in unseren Betrieben hinzu. All das stärkt die Sicherheit Polens und wird auch weltweit bemerkt”, sagt zu den neuesten Ankündigungen zur Munitionsproduktion im Gespräch mit der Zeitung General und Ex-Chef der Elite-Einheit GROM, Roman Polko. Geht es nach Polko, sei für die Ukraine zudem wichtig, dass die Munitionsproduktion in Polen auch kürzere Reaktionszeiten und zügige, reelle Hilfe bedeutet. Dies unterscheide Polen von vielen anderen Staaten, so General Roman Polko im Gespräch mit Gazeta Polska Codziennie.

Autor: Adam de Nisau