Deutsche Redaktion

"Wird die Kommission zur Untersuchung russischer Einflussnahme das Wahlergebnis beeinflussen?"

06.06.2023 14:24
Die oppositionelle Bürgerplattform will offenbar das Monopol der Konservativen auf Patriotismus brechen. Der Marsch vom 4. Juni könnte sich vor allem im Kampf um die Stimmen der gemäßigten Wähler als wichtig erweisen. Und: Kann die Sonderkommission zur Untersuchung russischer Einflüsse das Wahlergebnis beeinflussen? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Ілюстрацыйны здымакфота: AlyoshinE/Shutterstock

Rzeczpospolita: Bürgerplattform hat ihre Hausaufgaben in Sachen Polentum gemacht 

Ein Meer von polnischen Fahnen, geschickte Anlehnung an historische Symbolik und wohlüberlegte Aussagen in den Medien zum Thema Patriotismus. Geht es nach der Rzeczposplita, sei die Bürgerplattform bei dem Marsch am 4. Juni, der zu größten Demos in Polen seit der Wende zählte, nicht wiederzuerkennen gewesen. Für eine Partei, die traditionell verstandene Heimatliebe wie das Feuer fürchte, habe sie dieses Mal ihre Hausaufgaben in Sachen Patriotismus und Polentum gemacht. Theoretisch würden alle das Potenzial von patriotischen Gefühlen verstehen. Polens Liberale, lesen wir, seien bislang jedoch noch nie in der Lage gewesen, dieses Verständnis auch in die politische Praxis umzusetzen. In symbolischer Hinsicht, heißt es weiter, habe aber diesmal alles auf dem Marsch gestimmt. Patriotische Details hätten eine spürbare Atmosphäre nationaler Feierlichkeiten geschaffen. Bisher seien es die Konservativen gewesen, die ein Monopol auf eine solch einheitliche patriotische Atmosphäre gehabt hätten.

Oppositionsführer Donald Tusk habe dieses Mal auch kein Problem damit gehabt, sich auf den Begriff „Nation" zu beziehen. Er habe nicht nur einfach von der Bühne „Hier ist Polen" gerufen. Er habe sogar versucht, über die Grenzen hinweg Einigkeit zu schaffen. Er habe die Wähler der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit diesmal nicht angegriffen und stattdessen betont, dass auch sie Patrioten seien, die Polen lieben. Dies seien keine zufälligen Äußerungen gewesen, schreibt Rzeczposplita, sondern ein gut durchdachtes und durch die Äußerungen anderer PO-Politiker bestätigtes Narrativ.

Natürlich hätte die PO die Karte des polnischen Patriotismus schon längst ziehen können, fährt das Blatt fort. Nur dass den aufgeklärten, europäischen und modernen Liberalen der traditionelle Patriotismus bisher abgedroschen klang. Die Liebe zur Heimat hätte sie nur an glatzköpfige Fußballfans im Stadion erinnert, heißt es. Zur politischen Elite in feinen Anzügen hätte sie nicht gepasst.

Anstatt jahrelang nach Ideen für einen anderen, moderneren Patriotismus zu suchen, hätte sich Polens größte Oppositionspartei von Anfang an jedoch auf den in Polen bereits vorhandenen beziehen sollen. Denn einen anderen gebe es nicht und werde es auch in naher Zukunft nicht geben. Das sei die Lektion, die die Bürgerplattform über das Polentum am 4. Juni gelernt habe, so Rzeczpospolita.

Wprost: Regierungspartei nach Marsch am 4. Juni ratlos

Geht es nach dem Nachrichtenportal des Wochenblatts Wprost, sei das stärkere der beiden Narrative zum Marsch vom Sonntag, das der Opposition. Die Bilder von der Kundgebung, so Wprost, würden die öffentliche Stimmung im Vorfeld der Wahlen verändern. Darüber hinaus wisse die PiS offensichtlich nicht, lesen wir, wie sie auf diese neuen Emotionen in der Bevölkerung reagieren solle.

Die Regierungspartei betone, dass man mit Märschen keine Wahlen gewinnt. Doch die große Demonstration der Opposition werde den Eindruck stärken, ganz Polen sei gegen die Partei Recht und Gerechtigkeit. Die Bilder vom Marsch werde die Opposition zu Wahlwerbespots verarbeiten und damit die Phantasie der Wähler beeinflussen. Denn wenn Hunderttausende gegen die Regierung demonstrieren, werde es vor allem für gemäßigte Wähler nicht mehr so einfach sein, auf die PiS zu setzen. Die Argumente, dass in der Ukraine Krieg herrscht und die PiS für Sicherheit sorge, dass das Kindergeld von 500 auf 800 Zloty erhöht werden soll oder dass schon diesen Sommer kostenlose Autobahnen eingeführt werden, könnten verblassen. Denn wenn so viele Menschen gegen die Behörden protestieren, könnte es dafür ja auch berechtigte Gründe geben.

Das Regierungslager, so Wprost, habe diese Lawine selbst ins Rolle gebracht. Es sei schließlich das von der Opposition als „Lex Tusk" bezeichnete Gesetz der Konservativen zur Einrichtung einer Kommission zur Untersuchung russischer Einflussnahme in Polen, das dem Marsch am 4. Juni eine neue Bedeutung und eine neue Dimension im Vorfeld der diesjährigen Wahlen verliehen habe.

Dziennik/Gazeta Prawna: Wird die Kommission zur Untersuchung russischer Einflussnahme das Wahlergebnis beeinflussen?

Mehr als die Hälfte der Polen glaubt, dass eine Kommission zur Untersuchung russischer Einflussnahme den Ausgang der Wahl verändern kann, schreibt Dziennik/Gazeta Prawna unter Berufung auf eine aktuelle Meinungsumfrage. Ein Drittel der Wähler vertrete die gegenteilige Meinung. Die größte Zahl derjenigen, laut denen die Kommission den Wahlausgang beeinflussen kann, befinde sich in der oppositionellen Wählerschaft (72 Prozent). Fast genauso viele seien überzeugt, die Ergebnisse der Kommission würden unzuverlässig sein. Die Wähler der Vereinigten Rechten hingegen seien in ihrer Einschätzung, ob die Kommission das Wahlergebnis beeinflussen könnte, gespalten. 80 Prozent der Anhänger des Regierungslagers würden die Ergebnisse der Kommission für glaubwürdig halten.

Die das Tagesblatt beobachtet, sei aufgrund der Kritik des Regierungslagers immer noch ungewiss, ob die Kommission überhaupt entstehen werde. Polens Parteien hätten bis zum 14. Juni Zeit. Die Opposition beabsichtige jedoch nicht, jemanden aus ihren Reihen zu nominieren. Auch in der Partei Recht und Gerechtigkeit selbst sinke das Interesse an der Kommission. Heute sei noch nicht einmal klar, wie die Kommission entstehen sollte. Auch das Schicksal der vom Staatspräsidenten vorgeschlagenen Änderungen bleibe offen. 

Sollten sich einige mit der PiS sympathisierende Abgeordnete weigern, den Ausschuss zu unterstützen, könnte die Regierungspartei Schwierigkeiten haben, ihren Plan umzusetzen. Anstatt ein Vorteil im Wahlkampf zu sein, ist die Kommission zur Untersuchung russischer Einflussnahme zu einer Belastung für die Regierung geworden, urteilt Dziennik/Gazeta Prawna.


Autor: Piotr Siemiński