Deutsche Redaktion

"Finger weg von den Einwanderern"

05.07.2023 11:41
Während sich der Widerstand gegen Einwanderung zu einem der Hauptmotive der Wahlkampagne entwieckelt, ist der polnische Arbeitsmarkt zunehmend auf Einwanderer angewiesen. Auch die Regierung gesteht offenbar indirekt eine Niederlage ihrer Demographiepolitik ein. Und: Über die Kinder, die trotzdem zur Welt kommen, würden die Regierenden gerne mehr wissen. Im Mittelpunkt der heutigen Pressekommentare stehen Reflexionen zu Migration und Demographie.
Prezes GUS Dominik Rozkrut ocenił, że wzrost PKB Polski o 4,9 proc. w 2022 r.a to bardzo dobry wynik
Prezes GUS Dominik Rozkrut ocenił, że wzrost PKB Polski o 4,9 proc. w 2022 r.a to bardzo dobry wynikphoto vvl/Shutterstock

Rzeczpospolita: Finger weg von den Einwanderern

Die konservativ-liberale Rzeczpospolita macht in ihrem heutigen Aufmacher auf die wirtschaftliche Dimension der Migrationsdebatte aufmerksam. Und warnt: Ohne Angestellte aus dem Ausland geht heute für die polnischen Unternehmen nichts mehr. Der Widerstand gegen die Einwanderung nach Polen, so das Blatt, solle eines der Hauptthemen im zunehmend an Tempo gewinnenden Wahlkampf der Vereinigten Rechten werden. Die Regierenden würden dabei Ängste schüren, die Aufmerksamkeit der Wähler von den realen sozialen und wirtschaftlichen Problemen des Landes ablenken und damit gleichzeitig ein mächtiges neues Problem kreieren.

Anfang Juni, so die Zeitung, habe laut einer Umfrage des Polnischen Wirtschaftsinsituts und der Bank BGK jeder vierte polnische Betrieb ausländische Arbeitnehmer von außerhalb der Europäischen Union beschäftigt. Bei großen Unternehmen stamme nicht selten fast die Hälfte der Mitarbeiter aus dem Ausland. In vielen Branchen, einschließlich des Baugewerbes und einiger Produktionszweige, würden nicht nur Fachkräfte, sondern jegliche Arbeitskräfte fehlen, betonen Vertreter von Arbeitsvermittlungsagenturen, die Arbeitskräfte aus dem Ausland nach Polen holen. Und immer häufiger würden diese Arbeitskräfte aus weiter entfernten Orten wie Asien oder Südamerika stammen.

Die Realität sei für die Regierung unbequem, schreibt in seinem Kommentar zum Thema der Wirtschaftsjournalist Krzysztof Adam Kowalczyk: Obwohl drei Viertel der im Sozialversicherungssystem registrierten Ausländer Ukrainer seien, an die sich die Polen bereits gewöhnt hätten, würden sich in Bezug auf die erteilten Arbeitsgenehmigungen gleich hinter ihnen Zuwanderer aus Indien, Usbekistan, der Türkei oder Nepal befinden. Leider habe sich in der polnischen Politik zuletzt indes ein Hauch von Fremdenfeindlichkeit eingeschlichen. Das sei ein Weg ins Nirgendwo, nicht nur aus zivilisatorischer, sondern auch aus wirtschaftlicher Sicht. Der Zustrom junger Menschen sei angesichts der polnischen demografischen Schwächen entscheidend für die Existenz der polnischen Wirtschaft. Es gehe nicht nur darum, wer unser BIP erwirtschaften werde, sondern auch darum, wer es konsumiere und Steuern zahle.

“Daher appelliere ich an die Politiker: Wenn Ihnen die Zukunft Polens wirklich am Herzen liegt, beherrschen Sie Ihre Emotionen und lassen Sie die Einwanderer in Ruhe”, so Krzysztof Adam Kowalczyk in der Rzeczpospolita.


Gazeta Wyborcza: Regierung räumt Niederlage des Familienförderprogramms ein

Dass es um die Demographie in naher Zukunft wohl nicht besser bestellt sein werde, gebe sogar die Regierung indirekt in ihrem Projekt zur Aufwertung des Familienförderprogramms von 500 zł auf 800 zł pro Kind zu, beobachtet in ihrem heutigen Aufmacher die linksliberale Gazeta Wyborcza. Der Grund: Im kommenden Jahr würden die Ausgaben durch die Aufwertung von 40 Milliarden auf 64 Milliarden Złoty steigen. Doch, so die Zeitung, im Gesetzesentwurf zur Aufwertung schreibe die Regierungspartei auch, dass "in den kommenden Jahren mit einem Rückgang der Ausgaben aufgrund der abnehmenden Zahl von Kindern im Alter von 0-17 Jahren infolge der abnehmenden Geburtenrate gerechnet wird". “Mit anderen Worten, die Regierung zwinkert den Bürgern zu und sagt ihnen: Sie brauchen sich keine Sorgen um die Kosten von 800+ zu machen, denn zum Glück werden die Polinnen keine Kinder mehr bekommen und die Ausgaben werden sinken. Damit hisst die Regierung im Kampf um die Demografie die weiße Flagge und gibt zu, dass ihre demografische Politik ein Misserfolg ist”, kommentiert die Formulierung Dr. Łukasz Wacławik von der Fakultät für Management an der Bergbauakademie in Krakau.

“Die abnehmende Geburtenrate deutet auf das klare Scheitern aller Maßnahmen im demografischen Bereich hin, die von der derzeitigen Regierung ergriffen wurden. Das 500+ Programm als demografische Maßnahme ist gescheitert. Der Kampf gegen In-vitro-Fertilisation und alle anderen ideologisch motivierten Aktivitäten im Bereich der Elternschaft führen zu einer geringen Geburtenrate”, sagt Marcin Wojewódka, Experte des Arbeitgeberverbands Pracodawcy RP im Gespräch mit Gazeta Wyborcza.

Dziennik Gazeta Prawna: Große Kilogramm-Datenbank der Kinder

Über die Kinder, die bereits auf der Welt sind und künftig zur Welt kommen, würde die Regierung indes gerne mehr wissen als bisher. Zum Beispiel, wie viel sie wiegen. Wie das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna in seinem Aufmacher berichtet, werde das Sportministerium - laut einem neuen Gesetzentwurf, der in Eiltempo durch das Parlament gejagt werden soll - künftig Informationen darüber erhalten, ob unsere Kinder zunehmen, wie lange sie eine Stützposition halten und wie schnell sie rennen können. Das Ziel, so das Blatt, sei nobel: Die Daten zum Gesundheitszustand der Schüler sollen dem Kampf gegen Fettleibigkeit und körperliche Inaktivität dienen. Datenschutzexperten würden dennoch Alarm schlagen.

Der Grund: Erstens sei die Änderung des Sportgesetzes in den Vorschriften zur Einschränkung des Zugangs von Minderjährigen zu Pornografie enthalten, die das Ministerium für Digitalisierung vorbereitet habe. In dasselbe Projekt seien am Rande gesagt auch Änderungen in Bezug auf die Erstattung von Medikamenten für Minderjährige eingeflochten worden. "Es ist offensichtlich, dass die Regierung alles tun will, um Themen bis zum Ende der Amtszeit abzuschließen, indem sie Bestimmungen einführt, die völlig gegen die Regeln der Gesetzgebung verstoßen", bemerkt Wojciech Klicki von der Stiftung Panoptykon.

Zweitens werde die Erfassung der Ergebnisse des Kindes in einer Datenbank unabhängig vom Willen der Eltern sein. "Wenn diese Bestimmungen in Kraft treten, wird die Eingabe von Daten in das System obligatorisch sein, wie auch andere Aufgaben der Lehrer und Schulen im Zusammenhang mit der Umsetzung des Lehrplans", erklären Beamte des Ministeriums für Sport und Tourismus.

Eltern, so das Blatt, könnten indes berechtigte Einwände haben. Denn das Sportministerium werde Daten unter anderem an Sportvereine weitergeben, damit sie zukünftige Athleten auswählen können. Die Beamten würden zwar versichern, dass die Daten anonymisiert sein werden. In der Praxis werde es jedoch möglich sein, den Schüler zu identifizieren. "Vereine und Sportverbände erhalten so detaillierte Informationen über das Kind wie Alter, Geschlecht, Körpergewicht und Körpergröße. Außerdem wird die Gemeinde angegeben, in der die Überprüfung stattfindet. In kleinen Gemeinden, in denen nur eine Grund- oder weiterführende Schule tätig ist sind dies Daten, die höchstwahrscheinlich zur Identifizierung des Kindes führen", sagt Prof. Grzegorz Sibiga vom Institut für Rechtswissenschaften der Polnischen Akademie der Wissenschaften.

Und Marek Pleśniar, der Direktor des Büros des Allgemeinen Verbands der Bildungsmanager, weist darauf hin, dass eine einmal erstellte Datenbank auch für andere Zwecke verwendet werden kann, wie beispielsweise für die Einberufung zum Militär, so Dziennik/Gazeta Prawna.

Autor: Adam de Nisau