Deutsche Redaktion

"Getreide-Krieg auch auf polnischer Front"

21.08.2023 13:21
Die Getreideimporte bleiben ein heikles Thema in den polnisch-ukrainischen Beziehungen. Die Regierungspartei PiS kann unter dem Deckmantel einer Referendumskampagne, mit Hilfe Steuergeldern Wähler gegen die Opposition mobilisieren. Und: Hat sich die Regierungspartei mit dem geplatzten Plan, Oppostitionsführer Tusk mit Hilfe einer Ermittlungskommission zur russischen Einflüssen zu diskreditieren, eine Schlinge um den eigenen Hals gelegt? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Po majowej nowelizacji przepisów o pomoc poza producentami pszenicy lub kukurydzy mogli ubiegać się producenci gryki
Po majowej nowelizacji przepisów o pomoc poza producentami pszenicy lub kukurydzy mogli ubiegać się producenci grykiShutterstock/Jin Odin

 

Dziennik/Gazeta Prawna: Getreide-Krieg auch auf polnischer Front

Die Getreideimporte bleiben ein heikles Thema in den polnisch-ukrainischen Beziehungen, berichtet auf seiner Titelseite das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Die Ukraine, so die Zeitung, arbeite zusammen mit den USA und der Türkei daran, den Getreidetransit über Flusswege, unter anderem die Donau, zu erhöhen. Gleichzeitig bemühe sich Kiew jedoch auch um die Erschließung mittelosteuropäischer Märkte und kritisiere Polen auf EU-Ebene, das dies ablehne. So habe die ukrainische Vize-Premierministerin Olha Stefanischina – inmitten der polnischen Wahlkampagne und während der Erntezeit – Warschau beschuldigt, eine Getreidekrise anzustiften, und betont, dass Polen die Unterstützung für die eigenen Landwirte aus dem europäischen Haushalt verdreifacht habe. Tatsächlich stamme aber nur ein Drittel der Beihilfen aus europäischen Mitteln, der Rest stamme aus nationalen Geldern, schreibt das Blatt.

Solche Aussagen seien eine Provokation, mit der sich Kiew sich völlig unnötig in die Rolle eines “Frenemy” stelle, also eines Staates, der gleichzeitig Freund und Feind sei, schreibt in seiner Stellungnahme der Publizist und Ukraine-Korrespondent des Blattes Zbigniew Parafianowicz. Die Ukraine, so der Autor, verhalte sich so, als ob sie nur eine Seite der Auseinandersetzungen zwischen Polen und Israel sehen würde, mit dem sich die Regierung PiS in den letzten Jahren mehrmals in die Haare geraten sei – und zwar Polens Verluste. Stefanischina, erinnert Parafianowicz, habe gesagt: „Diese (Getreide-)Krise wird von einigen EU-Ländern, hauptsächlich Polen, angefacht. Aber Polen hat die Einnahmen aus dem europäischen Haushalt zur Unterstützung bestimmter Sektoren verdreifacht. Die Ukraine hat keine zusätzlichen Mittel erhalten.“ Sie, so Parafianowicz, deute damit unmissverständlich an, dass die EU in Erwägung ziehen sollte, auf die für Warschau eingefrorenen EU-Mittel zuzugreifen und sie zum Ausgleich dieser „Ungerechtigkeit“ zu verwenden. Gelder, so der Autor, die für die Ukraine bestimmt seien, gebe es im EU-Haushalt nicht viele. Aus Sicht der Vize-Premierministerin würden die Vorbeitrittshilfen also schon heute zu einem Konkurrenzbereich mit einem der Mitgliedstaaten, und zwar mit Polen. 

Es sei unverständlich, dass Polen, das als erstes vorgeschlagen habe, der Ukraine eine EU-Perspektive und den Kandidatenstatus zu geben, heute mit dem Vorwurf konfrontiert werde, von EU-Mitteln zu profitieren und Kiew zu schaden. In dieser Hinsicht habe Stefanischina eine rote Linie überschritten und es sei nicht ausgeschlossen, dass sie bis zu einer Entschuldigung für ihre Worte von polnischen Diplomaten isoliert werden sollte. In ihren Kalkulationen hoffe Stefanischina, dass eine Ausrichtung auf das Zentrum (die Europäische Kommission und Deutschland) statt auf die Peripherie (Polen) Kiew helfen werde. Doch angesichts der Streitigkeiten zwischen Warschau und Israel unter Beteiligung der USA könnte das Ergebnis dieser Rechnung von den ursprünglichen Annahmen abweichen. Israel sei, wie der Autor erinnert, einst ein enger Verbündeter Polens gewesen, für den sich Warschau unter anderem in den Vereinten Nationen eingesetzt habe. Heute habe es, infolge der Spannungen der letzten Jahre, den diplomatischen Stellenwert von Oman. Und eines Tages könnte auch die Ukraine aufwachen und das Gefühl haben, für Polen nur eines der vielen problematischen Länder der ehemaligen UdSSR, statt ein zukunftsträchtiger Partner zu sein. Sie müsse auch berücksichtigen, dass die Rheinische Gemeinschaft, mit der sie heute gegen ihren wahren Verbündeten – Polen – spiele, sie nie als gleichwertig ansehen und sie schließlich aufgeben, beziehungsweise als eine Art „Kolonie“ oder – wie Westeuropa Polen lange behandelt habe – als Ressource betrachten werde. Wołodymyr "Mahatma" Zełenski und später seine Nachfolger könnten letztlich zu Klaus Iohannis werden, den Macron, Scholz und Draghi während ihrer „gemeinsamen“ Reise nach Kiew in einen anderen Zug verlegt haben, da er – als rumänischer Staatsbürger – möglicherweise nach Knoblauch riechen könnte. Für Kiew sei dies in einem wahrscheinlich langen EU-Beitrittsverfahren keine günstige Perspektive. Aber auch Polen könnte dann an einem anderen Punkt sein, so Zbigniew Parafianowicz in Dziennik/Gazeta Prawna.

Rzeczpospolita: Wir haben alle Gründe, um Polen dankbar zu sein

Eine andere ukrainische Vize-Premierministerin, Iryna Wereszczuk, die als Ministerin für die besetzten Gebiete zuständig ist, versucht die Spannungen zwischen Warschau und Kiew indes in einem Interview mit der Rzeczpospolita zu entschärfen. Gefragt nach dem neuerlichen Twitter-Post des ukrainischen Premierministers Denys Schmyhal, in dem er die aggressiven Aktionen Russlands im Schwarzen Meer mit den Aktionen der polnischen Regierung zum Schutz der polnischen Landwirte verglichen hatte, appelliert Wereszczuk, Fehler aus der Vergangenheit nicht zu wiederholen und sich auf den Sieg gegen den gemeinsamen Feind zu konzentrieren. Vor allem, so die Politikerin, werde sie nicht müde, Polen zu danken. Denn die Ukraine habe alle Gründe, den Polen zu danken. “Wir dürfen die Rolle Polens und der Polen, besonders in den ersten Kriegstagen, nicht vergessen. Niemand muss mir das erzählen, ich habe es selbst gesehen. Ich war für die Evakuierung verantwortlich und weiß, wie Polen uns die Hand gereicht hat. Das wird lange in unserer Erinnerung bleiben und wird Teil unserer gemeinsamen Geschichte sein”, betont Wereszczuk. Zudem dürfe man auch nicht vergessen, dass die Russen aktiv versuchen, einen Keil zwischen Polen und die Ukraine zu treiben. Dies sei seit vielen Jahren Teil der russischen Politik gewesen. Persönlich sei sie ein starker Befürworter einer polnisch-ukrainischen geopolitischen Allianz. Wenn das zustande käme, wäre die Existenz eines russischen Reiches nicht möglich. “Wir haben Themen zu besprechen, wie historische Erinnerung oder das Getreidethema. Aber sie sollten von untergeordneter Bedeutung sein und können nicht auf eine Stufe mit der Gefahr einer Explosion im Kernkraftwerk von Saporischschja oder den Wagner-Söldnern an den EU-Grenzen gestellt werden. An erster Stelle sollten wir Fragen unserer Sicherheit und die Bedrohung durch Russland stellen. Lasst uns nicht die Fehler aus der Vergangenheit wiederholen, denn wir müssen Russland gemeinsam Widerstand leisten. Den Rest klären wir später”, so Iryna Wereszczuk in der Rzeczpospolita.


Rzeczpospolita: Regierung kann Kosten des Referendums nicht benennen

Von außenpolitischen zu innenpolitischen Gefechten. Die Kanzlei des Premierministers, die dem Nationalen Wahlbüro Mittel aus dem Zweckreservefonds überweisen wird, kennt die Kosten der Organisation des Referendums am 15. Oktober noch nicht, schreibt auf ihrer Titelseite die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Aus der Kanzlei des Premierministers heiße es dazu nur, dass es sich bei der Vorbereitung um einen “langen Prozess” handle. Der ehemalige Chef der Staatlichen Wahlkommission, Wojciech Hermeliński, warnt indes, dass es schwer zu unterscheiden sein wird, ob ein Kandidat einer bestimmten Partei seine eigene Kampagne oder eine Referendumskampagne führe. Wie die Rzeczpospolita erinnert, müsse im Falle von Wahlen jeder Złoty aus dem Wahlkampffonds einer Partei ausgegeben werden. Die Ausgaben für die Referendums-Kampagne seien indes nicht nur unbegrenzt. Nach der Volksabstimmung würde sie zudem auch niemand überprüfen. 

Indem die Regierungspartei ausnutze, dass man die Referendumskampagne, die mit öffentlichen Mitteln geführt werde, nicht von der Wahlkampagne unterscheiden könne, setze die Regierung de facto die gesamte staatliche Maschinerie ein, um die Polen mit Ex-Premier Tusk Angst zu machen, schreibt in seiner Stellungnahme zum Thema der Publizist der Rzeczpospolita Michał Szułdrzyński. Denn die Fragen zum Rentenalter, zum Verkauf von Vermögenswerten, zur Grenzmauer und zur Migration, gepaart mit der Wahlparole "Sichere Zukunft der Polen" sollen jedem PiS-Wähler vermitteln, dass Tusk an der Macht eine Gefahr für die Sicherheit, eine Anhebung des Rentenalters, einen Verkauf von staatlichen Unternehmen und den Abriß der Grenzmauer bedeutet. 

Aber, so Szułdrzyński, die PiS sei in alledem bei Weitem nicht so überzeugend, wie sie es gerne wäre. Das Hauptargument der Kampagne, die Sicherheit, werde mehr als zweifelhaft, wenn man bedenke, dass eine russische Rakete monatelang im Wald bei Bydgoszcz gelegen habe und der Verteidigungsminister nach ihrem Fund die Schuld dem Militär zuschieben wollte. Nicht einmal die größte Parade am 15. August könne das ändern. Außerdem betone die Regierungspartei, dass sie anders als die Bürgerplattform den Menschen zuhört. Sie, so die Botschaft, organisiere ein Referendum, um die Meinung der Bürger zu hören. Aber das letzte Referendum habe Präsident Bronisław Komorowski 2015, also vor acht Jahren, einberufen, ebenfalls um sich vor der drohenden Wahlpleite zu retten. Als der aus dem heutigen Regierungslager stammende Staatspräsident Andrzej Duda zum 100-jährigen Unabhängigkeitsjubiläum ein Referendum über Verfassungsänderungen organisieren wollte, sei sein Vorschlag nach vielen Monaten öffentlicher Konsultationen von der PiS abgelehnt worden. Es gehe nun also nicht darum, den Bürgern zuzuhören, sondern ihnen Angst mit Donald Tusk zu machen. Es möge ein kluger Plan sein, aber was passiere, wenn die Wähler erkennen, dass die Hauptidee der Regierungspartei in den letzten acht Jahren darin bestehe, einen Politiker als Schreckgespenst darzustellen, der vor 16 Jahren gewählt worden sei, anstatt ihre eigenen Erfolge zu präsentieren? Gebe es etwa nichts, worauf sie stolz sein könne, fragt Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.

Gazeta Wyborcza: Ende von “Lex Tusk”

Von einem Teil der von Szułdrzyński beschriebenen Strategie muss sich die Regierungspartei jedenfalls fürs Erste verabschieden. Wie am Freitag bekannt wurde, wird das Parlament die umstrittene Untersuchungskommission zu russischen Einflüssen in Polen, die laut vielen Beobachter vor allem die Diskreditierung des ehemaligen Premierministers zum Ziel hatte, in der aktuellen Amtszeit nicht mehr einsetzen. 

Der Fall "Lex Tusk" sei eine der größten Blamagen der Regierungspartei, der sie unterstützenden parlamentarischen Mehrheit und von Staatspräsident Duda. Es sei nicht verwunderlich, dass die PiS versucht, das Thema herunterzuspielen, schreibt dazu in der linksliberalen Gazeta Wyborcza der Publizist Wojciech Czuchnowski.

Aber das, so der Autor, sei noch nicht alles. Wenn im nächsten Parlament die Opposition die Mehrheit erringen sollte, habe sie ein fertiges Werkzeug in der Hand. Denn das Gesetz über die Kommission werde weiter gelten – das habe die PiS so gewollt. Die Kommission könnte sich dann also mit russischen Einflüssen auf die polnische Politik während der Amtszeit von Jarosław Kaczyńskis Partei beschäftigen. Themen gebe es genug: Ex-Verteidigungsminister Antoni Macierewicz, der das NATO-Spionageabwehr-Zentrum in Warschau angegriffen, den Vertrag für die Caracal-Hubschrauber aufgegeben und erfahrene Befehlshaber aus der Armee entlassen habe; den Rekordimport von russischer Kohle in den Jahren 2016-18; die Annäherung an den weißrussischen Diktator Alexander Lukaschenko; enge Kontakte der PiS-Regierung mit mit Putin symphatisierenden Politikern aus Ungarn, Frankreich und Italien Anfang 2022 und schließlich den Verkauf eines Teils des Energiekonzerns Lotos. Möglicherweise habe sich die PiS mit dieser Kommission selbst eine Schlinge um den Hals gelegt, schreibt Wojciech Czuchnowski in der Rzeczpospolita.

Autor: Adam de Nisau