Deutsche Redaktion

Bevor die EU zum Superstaat wird, könnte sie zerfallen

23.11.2023 13:17
Gestern stimmte das Europäische Parlament für die Aufnahme von Gesprächen über Änderungen an den Verträgen der Union. Die Liste der vorgeschlagenen Änderungen sei revolutionär, schreibt die Rzeczpospolita. 
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Rzeczpospolita: Bevor die EU zum Superstaat wird, könnte sie zerfallen 

Die Abgeordneten schlagen u.a. vor, das Einstimmigkeitsprinzip innerhalb des Blocks in den meisten Bereichen abzuschaffen, die Kompetenzen der EU auf Kosten der Mitgliedsstaaten zu erweitern oder die Europäische Kommission auf ein technisches, politisches Organ zu reduzieren. Sie sollte auch nur 15 Mitglieder umfassen. Damit wäre nicht jedes EU-Land in diesem wichtigen Gremium vertreten, heißt es. Schließlich würde die Reform auch das Verfahren zur Aussetzung der Mitgliedsrechte von Ländern, die die sog. Rechtsstaatlichkeit verletzen, erheblich vereinfachen.

Doch anders als in Polen, schreibt Jędrzej Bielecki, wo die PiS vor der Abschaffung der Nationalstaaten warne, hätte die Abstimmung in den wichtigsten europäischen Medien nur mäßiges Interesse gefunden. Genau so sei es damals vor zwei Jahrzehnten mit dem Entwurf einer europäischen Verfassung oder der Idee einer europäischen Armee gewesen, lesen wir. Dieser Sprung in den Föderalismus reihe sich in eine große Zahl von Reformen ein, schreibt Bielecki, mit denen die Vereinigten Staaten von Europa geschaffen werden sollten, letztendlich aber nicht realisiert wurden. Der Grund dafür sei einfach, fährt der Autor fort: Nicht die Abgeordneten des Europäischen Parlaments, sondern die nationalen Regierungen würden  über jede Änderung der Verträge entscheiden. Und hier überwiege eher die Abneigung gegen eine noch engere Integration als ihre Vertiefung.

Die Wahlen in den Niederlanden sein ein gutes Beispiel dafür, heißt es weiter. Dieses kleine und seit Jahrhunderten auf den Handel angewiesene Land habe bislang die Entwicklung der Union und insbesondere die Stärkung des Binnenmarktes unterstützt. Doch heute gehören auch die Niederlande zu den euroskeptischen Ländern. Die Anführer verschiedener rechtsextremer Gruppen kämpften um den Titel des Wahlsiegers vom Mittwoch. Der ehemalige Vizepräsident der Europäischen Kommission, der als „Eurokrat" gebrandmarkte linksliberale Frans Timmermans, hatte keine Chance. Der rechtskonservative Geert Wilders gewann.

Die Niederländer seien viel mehr daran interessiert, sich von der Immigration zu befreien und den sozialen Schutz zu bewahren, so die Tageszeitung, als einen europäischen Superstaat aufzubauen. Umfragen würden auch auf einen Sieg von Marine Le Pen bei den französischen Präsidentschaftswahlen im nächsten Jahr deuten. In Belgien dürften rechtsextreme Parteien, die in Italien bereits an der Macht seien, in wenigen Monaten die absolute Mehrheit übernehmen. In Deutschland hingegen liege die Ampelregierung, die in ihrem Koalitionsvertrag den Aufbau einer „föderalen" Union verankert habe, in den Umfragen ganz unten.

Geht es nach Bielecki müsste also schon etwas ganz Außergewöhnliches passieren, wie eine direkte militärische Bedrohung durch Russland, der Austritt Amerikas aus der NATO oder eine tiefe Finanzkrise, damit die europäischen Wähler ihre Meinung ändern und Zuflucht in den Armen des mächtigen Brüssel suchen. Die noch in weiter Ferne liegende Aussicht auf eine Aufnahme der Ukraine in die EU reiche nicht aus. Und daran würden auch die Europaabgeordneten nichts ändern können, lautet das Fazit in der Rzeczpospolita. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Deutschland und Frankreich drängen auf Vertragsänderungen 

Nahezu alle führenden Parteien im Europäischen Parlament hätten sich dem Projekt zur Änderung der EU-Verträge angeschlossen. Die Unterstützung des von vier deutschen und einem belgischen Abgeordneten unterzeichneten Antrags widersprach manchmal auch der Logik der Fraktionen - sowohl die Abgeordneten der Bürgerplattform PO als auch die von der Partei Recht und Gerechtigkeit PiS hätten zusammen gegen den Antrag gestimmt, schreibt indes das Wirtschaftsportal forsal.pl.

Der europäische Mainstream bezeichne die Vorschläge als „radikal", lesen wir. Der Föderalist Guy Verhofstadt selbst, der einer der Initiatoren der Änderungen war, hätte sie während einer Debatte als „historische Chance" bezeichnet. Für die Europaabgeordneten sei jetzt tatsächlich die letzte Gelegenheit, so das Nachrichtenportal, vor den Europawahlen im Frühjahr eine Diskussion über eine Vertragsänderung anzustoßen.

Die Tatsache, dass die Abgeordneten für den Bericht gestimmt haben, bedeute aber noch nicht, dass das Verfahren zur Vertragsänderung begonnen habe. Jetzt werde der Änderungsantrag nämlich erst dem EU-Rat aus Ministern der Mitgliedstaaten vorgelegt.

Der Antrag sei mit nur 17 Stimmen angenommen worden, fährt das Onlineblatt fort. Unter den Mitgliedstaaten gebe es somit keine Einstimmigkeit über solche Vorschläge. Wie die Abgeordnete der Partei Recht und Gerechtigkeit und ehemalige Premierministerin Polens, Beata Szydło, nach der Abstimmung erklärt habe, werde Polens neue Regierung und zukünftiger Premierminister diesbezüglich eine entscheidende Stimme haben. Obwohl Donald Tusks Partei gegen den Antrag gestimmt habe, ermutigte Szydło ihn, auch seine deutschen und französischen Kollegen aus der Europäischen Volkspartei davon zu überzeugen, das Projekt in Zukunft abzulehnen.

Dem Mitvorsitzenden der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten, Ryszard Legutko von der PiS nach, würde nur der Druck der Gesellschaften die Stimmen der Radikalen zurückhalten können. Ihm zufolge diene der Vertragsänderungsantrag vor allem dazu, Druck auf kleinere Länder durch Deutschland und Frankreich auszuüben. Paris und Berlin würden am stärksten auf die Reformen drängen, heißt es am Schluss. Schwächere Mitgliedstaaten könnten dadurch sehr viel verlieren, glaube Legutko. 

Gazeta Wyborcza: Rebranding der Partei Recht und Gerechtigkeit 

Wie die linksliberale Gazeta Wyborcza am Donnerstag schreibt, könnte die rechtskonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit ihren Namen ändern. Darüber gebe es derzeit eine Diskussion innerhalb der Partei. Medienberichten zufolge soll Parteiführer Jarosław Kaczyński auf einer geschlossenen Sitzungen eine solche Änderung erwägt haben, sollte sie zum Erfolg der Partei bei den nächsten Wahlen beitragen. Wie die Tageszeitung schreibt, haben in den vergangenen Jahren andere politische Parteien Marketing-Taktiken angewandt und ihren Namen und ihr Logo geändert, um ihr politisches Image aufzufrischen.

Donald Tusks Bürgerplattform PO habe den Begriff „Koalition" eingeführt. Das Bündnis der Demokratischen Linken SLD, lesen wir, trete nach seinem Zusammenschluss mit Robert Biedrons Frühlings-Partei als Neue Linke auf. Die Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) hat ihren Namen seit dem Jahr 2001 nicht geändert.

Deshalb reife nach den letzten Wahlen in den Parteireihen die Idee eines Rebrandings der Partei. Damit dieser Prozess spürbar sei, soll er nicht nur das Partei-Logo mit Adler und Krone auswechseln, sondern den gesamten Parteinamen modifizieren, so das Blatt.

Die Änderung des Namens „Recht und Gerechtigkeit" würde, wie Wyborcza anmerkt, das symbolische Ende einer Ära in der polnischen Rechten und sogar in der polnischen Politik bedeuten.

Die Änderung des Namens sei eine sehr einfache Sache, aber sie glaubwürdig zu machen, sei eine viel größere Herausforderung, fährt das Blatt fort. Schließlich habe sich der Name Recht und Gerechtigkeit in das Bewusstsein der Wähler eingeprägt. Die Personifizierung der Partei bleibe indes ihr Vorsitzender Jarosław Kaczyński, heißt es am Schluss in der Tageszeitung. 

Wprost: Migranten stürmen finnische Grenze auf Fahrrädern 

Finnische Grenzschutzbeamten seien vor kurzem überrascht worden, als Migranten aus einem Schneesturm auftauchten, schreibt das Nachrichtenportal des Wochenblatts Wprost. Die Fahrräder, mit denen sie Grenzübergänge im arktischen Teil des Landes erreichten, seien bei 20 Grad Frost nicht das beste Transportmittel, heißt es. Die Russen würden sich aber anscheinend auf ihre kranke Art, so das Online-Blatt, an den Wortlaut halten, dass die Übergänge Straßen- und keine Fußgängerübergänge seien. Deshalb würden sie es den Ausländern nicht erlauben, die Grenze zu Fuß zu überqueren.

Seit der Schließung der Grenzübergänge Finnlands zu Russland in Karelien, würden russische Dienste Migranten aus Asien und Afrika in den hohen Norden umleiten. Die in Lappland seien noch geöffnet. Es gebe sogar beheizte Zelte, in denen die frierenden Radfahrer, bevor sie Asyl in der EU beantragen können, einer Identitätskontrolle unterzogen werden. Dies könnte jedoch bald ein Ende haben, so Wprost. Die finnische Regierung beabsichtige nämlich einfach die gesamte Grenze zu seinem problematischen Nachbarn dicht zu machen, sollte der Kreml seinen hybriden Angriffs mit aus dem Nahen Osten angelockten Migranten eskalieren.

 

Autor: Piotr Siemiński