Deutsche Redaktion

Hoher Frauenanteil im neuen Kabinett: "Durchbruch" oder "Demütigung"?

29.11.2023 13:00
Die Entsendung so vieler Frauen in ein Kabinett, das gleich abtreten muss, ist ein viel stärkeres Signal der Geringschätzung von Frauen als der kleine Anteil von Ministerinnen in den vorherigen Regierungen der PiS, betonen liberale Beobachter des politischen Geschehens. Außerdem geht es auch um das umstrittene Thema der Privatisierung von Staatsunternehmen, das eine Detail, das Staatspräsident Duda bei seiner Rede vor der Ernennung des neuen Kabinetts offenbar vergessen hat und um die Haltung der Polen zu den´von der neuen parlamentarischen Mehrheit geplanten Untersuchungskommissionen.
President Andrzej Duda (left) officially reappoints Mateusz Morawiecki (right) as Polands prime minister in a swearing-in ceremony at the presidential palace in Warsaw on Monday.
President Andrzej Duda (left) officially reappoints Mateusz Morawiecki (right) as Poland's prime minister in a swearing-in ceremony at the presidential palace in Warsaw on Monday.Photo: PAP/Paweł Supernak

Rzeczpospolita: Starke Argumente für die Privatisierung

Die konservativ-liberale Rzeczpospolita adressiert in ihrem heutigen Aufmacher das kontroverse Thema der Privatisierung von Staatsunternehmen und argumentiert, wieso dieser Schritt, den die Regierung PiS versucht habe, zu diskreditieren, sinnvoll wäre.

“Unterstützen Sie den Verkauf staatlichen Eigentums an ausländische Unternehmen, was zum Verlust der Kontrolle Polens über strategische Wirtschaftssektoren führt?” Wie das Blatt erinnert, sei dies eine der Fragen gewesen, die die Vereinigte Rechte im zeitgleich zu den Parlamentswahlen angesetzten Referendum gestellt habe. Die These dahinter: Privatisierung sei eine diskreditierte Idee. Ironischerweise, so Rzeczpospolita, zeige gerade der Verlauf des Wahlkampfs und der Kampagne im Vorfeld des Referendums, in die Staatsunternehmen stark involviert gewesen seien, weswegen eine Rückkehr zur Privatisierung in Polen notwendig sei.

“In der geopolitischen Situation Polens sollte der Staat nur eine sehr begrenzte Anzahl (einige, vielleicht ein Dutzend) großer Unternehmen mit infrastruktureller oder strategischer Bedeutung kontrollieren. Die meisten davon sollten börsennotierte Unternehmen sein, mit staatlichen Minderheitsbeteiligungen, die jedoch eine Unternehmenskontrolle gewährleisten. Alle anderen von der Regierung kontrollierten Unternehmen sollten so schnell wie möglich privatisiert werden”, sagt Professor Maciej Bałtowski von der Maria-Skłodowska-Curie-Universität in Lublin. Und der Wirtschaftsprofessor an der Universität Łódź, Dr. Michał Mackiewicz, fügt hinzu, dass die letzten acht Jahre der Regierung PiS deutlich gezeigt haben, dass eine Verstaatlichung der Wirtschaft hauptsächlich zu Pathologien führt.

70% der von dem Blatt befragten 37 Ökonomen, die Teil eines Expertenpanels der "Rzeczpospolita" seien, lesen wir weiter, hätten der These zugestimmt, dass die Privatisierung einiger staatlich kontrollierter Unternehmen einen positiven Einfluss auf die Wirtschaft haben würde. Viele Ökonomen würden zwar gleichzeitig Argumente für staatliche Kontrolle über einige strategisch wichtige Unternehmen sehen, aber gleichzeitig darauf hinweisen, dass der Staat diese Kontrolle ausüben kann, ohne Eigentümer der Unternehmen zu sein. Stattdessen würden angemessene Regulierungen und Aufsicht ausreichen, lesen wir in der Rzeczpospolita. 

Rzeczpospolita: Was der Staatspräsident vergessen hat, zu erwähnen

Die Publizisten lassen sich in ihren aktuellen Kommentaren auch weiterhin über die Absurditäten der von Staatspräsident Andrzej Duda ernannten  sogenannten “Zwei-Wochen-Regierung” von Mateusz Morawiecki aus. Der Staatspräsident hatte am Montag den hohen Anteil von Frauen und jüngeren Politikern und Experten in dem neuen Kabinett als Durchbruch gelobt. Schließlich gebe es viele Herausforderungen, die energisches Handeln erfordern, so Duda. Auch die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie hebt in der aktuellen Ausgabe den Generationswechsel im Kabinett als natürlichen Prozess der Neuaufstellung und Verjüngung der PiS hervor. 

Der Staatspräsident habe in seiner Rede nur eines vergessen zu erwähnen, ironisiert der Publizist der Rzeczpospolita Michał Szułdrzyński. Nämlich, dass diese Regierung, neben dem hohen Frauenanteil, auch einige andere Rekorde brechen wird. Sie, so Szułdrzyński, werde wahrscheinlich die am kürzesten amtierende Regierung im modernen Polen sein und für ihre Arbeit Rekordsummen einnehmen, wenn es um das Verhältnis von Arbeitstagen zur Höhe der Gehälter und Abfindungen gehe. Es habe auch keine Regierung seit dem Bestehen der aktuellen Verfassung gegeben, die in einer Situation ernannt worden sei, in der von vornherein klar sei, dass sie nicht mit der Unterstützung der Mehrheit im Sejm rechnen kann, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.

Rzeczpospolita/Gazeta Wyborcza: Entsendung von Frauen in neues Kabinett als Demütigung

Besonderes Reizthema für viele Beobachter des politischen Geschehens sind die Bekundungen des Staatspräsidenten über die wichtige Rolle von Frauen in dem neuen Kabinett. Der Tenor der Kommentare in der liberalen Presse: gerade mit diesem Schritt zeige die Recht und Gerechtigkeit, wie wenig die Partei Frauen tatsächlich respektiere. 

Die von Staatspräsident Duda erwähnte "Prädestination" von Frauen für die wichtigsten Staatsposten sei, wie Zuzanna Dąbrowska in der Rzeczpospolita beobachtet, in den vergangenen Regierungen von Morawiecki irgendwie nicht zum Vorschein gekommen. Denn dort sei die Macht real gewesen, im aktuellen Kabinett dagegen nicht. Es sei ein wichtigeres Signal der Geringschätzung von Frauen, als der kleine Anteil von Frauen in den vorherigen Regierungen der PiS. Männer, so Dąbrowska, würden ihre politische Position einfach zu sehr schätzen, um sich auf eine zum Scheitern verurteilte Initiative einzulassen. 

In ähnlichem Ton kommentiert die Rolle von Frauen im neuen Kabinett der Publizist der linksliberalen Gazeta Wyborcza Maciej Sandecki. Die Entsendung so vieler Frauen in eine Regierung, die in Kürze zurücktreten werde, sei für sie eine Demütigung. Wäre dies eine Regierung für vier Jahre, so Sandecki, würden führende PiS-Politiker, Männer, wie Löwen um die Posten kämpfen, es würde nur eine Handvoll Frauen darin geben, und man müsste sie nicht in letzter Minute zusammensuchen. Frauen hätten in dieser Regierung tatsächlich nur drei Aufgaben zu erfüllen – auf Fotos gut auszusehen, in den Ministerien nach den Kollegen aufzuräumen und die Ressorts höflich an das Team von Tusk zu übergeben, so Maciej Sandecki in der Gazeta Wyborcza. 

Sowohl Dąbrowska, als auch Sandecki geben in ihren Analysen gleichzeitig zu, dass der Anteil von Frauen in der neuen Koalitionsregierung auch nicht optimistisch stimmt. Es sei von vier Frauen in einer 20-köpfigen Regierung die Rede, was ebenfalls schwach aussehe, schreibt Sandecki, besonders wenn man bedenke, dass im Sejm 30 Prozent der Abgeordneten Frauen seien, Frauen 53 Prozent der gesamten Gesellschaft ausmachen, und dass die PiS-Regierung in Polen tatsächlich durch Frauen beendet worden ist. Dennoch hoffe er, dass die zukünftige Regierung der demokratischen Koalition nicht nur auf Fotos Gleichheit vortäuschen, sondern sie tatsächlich umsetzen werde, so wie ihre Spitzenpolitiker es angekündigt hatten. Die Wiederherstellung des Abtreibungsrechts, die Angleichung der Löhne, mehr Krippen- und Kindergartenplätze, usw. Das werde der wahre Test ihrer Intentionen sein, so Maciej Sandecki in der Gazeta Wyborcza. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Untersuchungsausschüsse notwendig, Ergebnisse unsicher

Die neue parlamentarische Mehrheit war mit der Ankündigung in die Wahlen gegangen, mit dem Rechtsstaat im Widerspruch stehendes Vorgehen der Vereinigten Rechten aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. In diesem Kontext debattiert der Sejm diese Woche über die Einsetzung von drei Untersuchungsausschüssen – zur Untersuchung der Briefwahlen von 2020, der Visa-Affäre im Außenministerium und der Überwachung von Bürgern und Oppositionspolitikern, unter anderem mit dem Pegasus-System. Während der noch amtierende Premierminister Morawiecki die Diskussionen über die Untersuchungsausschüsse als Ersatzthemen anprangert und das Parlament zur harten Arbeit an “für die polnischen Bürger wichtigen Themen” aufruft (d.h. an den von seinem Kabinett eingereichten Gesetzesprojekten), hält die Mehrheit der Polen die Untersuchungsausschüsse für notwendig, schreibt das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Knapp 60 Prozent der Befragten in der neuesten Umfrage von United Surveys für Dziennik Gazeta Prawna und RMF FM, berichtet die Zeitung, hätten sich für die Einsetzung der Kommissionen ausgesprochen. Entgegengesetzter Meinung sei jeder dritte Befragte, etwa 10 Prozent hätten zu dem Thema keine Meinung. Zwischen den Meinungen der Wähler der neuen Koalition aus Bürgerplattform, Drittem Weg und der Neuen Linken und den Wählern der Recht und Gerechtigkeit klaffe in Bezug auf das Thema erwartungsgemäß eine Kluft. 93 Prozent der Wähler der neuen parlamentarischen Mehrheit würden die Ausschüsse für notwendig halten, unter den Wählern der PiS seien es 13 Prozent. In Bezug auf die Ergebnisse der Arbeit der Kommissionen, lesen wir weiter, würden sich die Respondenten allerdings weniger einig zeigen. 47 Prozent seien überzeugt, dass die Kommissionen der Klärung von Fakten und Aufdeckung der Verantwortlichen dienen werden, 30 Prozent sehen darin vor allem einen Weg zur Bekämpfung von politischen Gegnern.

Die neue Koalition wolle, wie die Zeitung erinnert, dass mindestens einer der drei Ausschüsse noch in diesem Jahr ihre Arbeit aufnimmt. Im Hintergrund würden weiterhin Diskussionen über die Einberufung weiterer Kommissionen laufen, zum Beispiel zur Überprüfung der Fusion von Orlen mit Lotos oder des Zustroms ukrainischen Getreides, schreibt Dziennik/Gazeta Prawna.

Autor: Adam de Nisau