Deutsche Redaktion

"Selbstmordmanifeste darf man nicht instrumentalisieren"

13.12.2023 11:14
Das steht bereits fest: Die Regierung von Donald Tusk hat vom Sejm ein Vertrauensvotum erhalten. 248 Personen stimmten dafür, 201 dagegen, und niemand enthielt sich der Stimme, wie das Blatt Super Express berichtet. 
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SUPER EXPRESS: Braun überschattet Tusk

Das steht bereits fest: Die Regierung von Donald Tusk hat vom Sejm ein Vertrauensvotum erhalten. 248 Personen stimmten dafür, 201 dagegen, und niemand enthielt sich der Stimme, wie das Blatt Super Express berichtet. Am Tag danach hielt Donald Tusk ein Exposé. Er möchte sich verpflichten, dass er jeden Monat irgendwo in Polen auf offene und öffentliche Weise Zeit findet, im Namen meiner Regierung zu sagen, was sie erreicht hat und wo es Probleme gibt, ehrlich und wahrheitsgemäß, sagte Premierminister Donald Tusk. Außerdem stellte er die Grundziele seiner Regierung und die vollständige Zusammensetzung seines Kabinetts vor.

Nach dem Exposé verbrachten die Abgeordneten mehrere Stunden damit, Fragen zu Tusks Plänen zu stellen, doch dann wurde alles durch den Skandal um Grzegorz Braun verschoben. Der Abgeordnete der rechtsextremen Partei Konfederacja löschte mit einem Pulverfeuerlöscher Chanukka-Kerzen, die im Sejm angezündet wurden. Die Debatte verzögerte sich, und am Ende beschloss Donald Tusk, alle Fragen schriftlich zu beantworten. „In einer Flut politischer Konfrontationen und politischer Manifeste erhalten Sie eine schriftliche Antwort auf jede Frage“, versicherte Tusk. 

DO RZECZY: Erste Reaktion aus der Ukraine 

Am Dienstag hielt Donald Tusk eine Antrittsrede. Während eines zweistündigen Exposés stellte der Politiker mehrere Vorschläge vor, kritisierte scharf die Vorgängerregierung der Partei Recht und Gerechtigkeit und verlas das Manifest von Piotr Szczęsny – einem Mann, der sich im Oktober 2017 im Zentrum von Warschau aus Protest gegen die damalige Regierung selbst in Brand setzte. Der neue Premierminister ging auch auf die Politik der neuen Regierung gegenüber der Ukraine ein. „Wir werden – und ich zähle auf die Zusammenarbeit aller politischen Kräfte – lautstark und entschieden die volle Mobilisierung der freien Welt, der westlichen Welt, fordern, um der Ukraine in diesem Krieg zu helfen“, sagte er.

Der ukrainische Botschafter in Polen, Wasyl Zwarycz, betonte nach dem Exposé, dass er sehr dankbar für die unterstützenden Worte für sein Land sei. Die Tatsache, dass Polen immer noch solidarisch mit der Ukraine sei, die gegen die russische Aggression kämpfe, die Tatsache, dass die Welt auch die Ukraine verstehen müsse, wofür sie wirklich kämpfe, sei sehr konstruktiv, sagte Zwarycz. Der Botschafter fügte hinzu, dass Tusks Worte ihn mit Optimismus erfüllten, und er sei überzeugt, dass beide Länder „gewinnen“ würden. 

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Selbstmordmanifeste darf man nicht instrumentalisieren 

Die Tatsache, dass Donald Tusk in seiner Rede das Manifest eines Selbstmörders verlas, wird in der heutigen Presse heftig diskutiert. Der neue Regierungschef sagte, dass schon vor sechs Jahren jemand die Ängste, Befürchtungen und die Wut, die in polnischen Herzen geboren wurden, so genau benannt habe. Der Politiker wurde für diesen rhetorischen Trick vom ehemaligen Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak von der PiS-Partei dafür kritisiert, dass er den Abschiedsbrief gelesen hatte. Danach zitierte Błaszczak selbst einen weiteren Abschiedsbrief von einem anderen Selbstmörder, der vor Jahren gegen die erste Tusk-Regierung protestiert hatte.

Laut Psychiatern ist das öffentliche Lesen von Abschiedsbriefen unethisch, sie erklären auch, warum es sehr schädlich ist, lesen wir in der Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna. Das Lesen eines Selbstmordmanifests ist absolut schädlich, da es zu weiteren möglichen Selbstmorden führt - sagt die Psychiaterin Dr. Ewa Kramarz in einem Interview mit dem Blatt. Warum hat Tusk es überhaupt zitiert? – staunt die Ärztin und betont, dass sie dieser Idee sehr kritisch gegenübersteht. „Ein Selbstmordmanifest zu lesen sei ein Skandal“, sagt sie und fügt hinzu, dass es sich um eine "Romantisierung des Selbstmordes" handelt.

Am meisten Angst hat die Expertin vor dem sogenannten Werther-Effekt. Jeden Tag hilft sie bei ihrer Arbeit Patienten, die mit Selbstmordgedanken zu kämpfen haben. Wenn eine solche Person bei der konstituierenden Sitzung der neuen Regierung dem Manifest zuhört, kann ein potenzieller Selbstmörder darin die Zündung hören. Vor allem junge Menschen mit Selbstmordgedanken werden dadurch in ihrem Denken befestigt, sagt Dr. Kramarz. Anstatt der Gesellschaft etwas Optimistisches zu sagen, zitiert Tusk ein Selbstmordmanifest. Es ist ein großer Fehler.

Der Politiker sollte mal eine psychiatrische Klinik besuchen. Wenn er hören würde, womit Mediziner jeden Tag zu tun haben, würde er das nicht sagen, fügt wiederum Psychiater Dr. Tomasz Piss hinzu. Das sei unethisch. Der Abschiedsbrief sei intim und persönlich. Die Motive eines Suizids seien selten klar und eindeutig. Dabei werde das Unglück anderer Menschen instrumentalisiert und die Gefühle der eigenen Anhänger ausgenutzt, urteilt der Psychiater im Gespräch mit Dziennik/Gazeta Prawna.


Autor: Jakub Kukla