Deutsche Redaktion

"Image-Katastrophe an der Grenze"

21.02.2024 13:14
Die Eskalation der Proteste der Landwirte an der polnisch-ukrainischen Grenze ist ein wichtiges Thema der Pressekommentare. Außerdem geht es auch um die estnische Perspektive auf den russischen Angriffskrieg und ein symbolisches Ende des Konflikts zwischen Warschau und Brüssel.
Rolnicy będą protestować nawet w 200 miejscach w Polsce
Rolnicy będą protestować nawet w 200 miejscach w PolscePAP/Wojtek Jargiło

Die Eskalation der Proteste der Landwirte an der polnisch-ukrainischen Grenze ist ein wichtiges Thema der Pressekommentare. Gestern hatten die Protestierenden ukrainisches Getreide auf die Gleise geschüttet, was zu kritischen Kommentaren aus Kiew geführt hat.

Rzeczpospolita: Image-Katastrophe an der Grenze

Fotos von den Protesten seien um die Welt gegangen, betont in seinem Kommentar zum Thema der Publizist der konservativ-liberalen Rzeczpospolita, Michał Szułdrzyński. Kurz vor dem zweiten Jahrestag der russischen Aggression gegen die Ukraine, so der Autor, würden Agenturen Bilder von polnischen Bauern verbreiten, die Getreide aus dem mit Russland kämpfenden Land zerstören. Für die Kreml-Propaganda könne es nichts Besseres geben. Dabei sei die Reparatur des Images von Polen im Ausland eines der Versprechen der Koalition vom 15. Oktober gewesen. Die Situation würden zusätzlich die nervösen Reaktionen der ukrainischen Behörden komplizieren. 

Wie Szułdrzyński erinnert, würden die Protestierenden einen Stopp des Grünen Deals, der europäischen Klimapolitik im Bereich der Landwirtschaft, sowie eine Grenzblockade für landwirtschaftliche Produkte aus der Ukraine fordern. Bislang habe die Partei von Tusk die EU-Klimapolitik jedoch unterstützt. Die Einführung eines Embargos würde auch polnische Exporteure treffen, denn die Ukraine würde mit dem Gleichen antworten. Schlimmer noch sei, dass ein solcher Schritt die Beziehungen zu Kiew radikal verschlechtern würde. Er würde zeigen, dass die Handlungen der Regierungskoalition sich gar nicht so sehr von den Handlungen der Regierung PiS unterscheiden. Es sei Zeit, diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Die Regierung könne die Schuld nicht länger auf die Vorgänger oder den von der PiS nominierten EU-Kommissar für Landwirtschaft schieben. Es dürfe auch nicht den geringsten Verdacht geben, dass die Behörden die für Polen gefährlichen Aktionen der Protestierenden unterstützen. Man dürfe den Protestierenden nicht länger zuzwinkern, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita. 

Gazeta Polska Codziennie: Landwirte lähmen das Land. Regierung machtlos

In der nationalkonservativen Gazeta Polska Codziennie sind die Proteste heute die Titelstory. “Landwirte lähmen das Land. Die Regierung ist machtlos”, urteilt das Blatt in seinem Aufmacher und betont, dass sich in Bezug auf die zwei wichtigsten Postulate - also das Einfuhrverbot für ukrainische Agrarerzeugnisse und Einschränkungen in der Grünen Ordnung - wenig tue. Erste Hilfsprogramme sollen erst im März starten. Zudem bemühe sich das Landwirtschaftsressort auch darum, das Versprechen der PiS zu realisieren, Zuschüsse für Getreide sowie Dünger einzuführen und den Treibstoffzuschuss zu erhöhen. Die Volkspartei PSL scheine sich dem Druck der Landwirte langsam zu beugen, denn gestern habe Minister Krzysztof Hetman die Einführung eines Getreide-Embargos nicht mehr ausgeschlossen, lesen wir in der Gazeta Polska Codziennie.

Rzeczpospolita: Für Putin ist Polen auch Teil der russischen Ordnung

Geht es nach dem estnischen Geheimdienst, wird Russland, im Falle eines Sieges im Krieg gegen die Ukraine, innerhalb von höchstens zehn Jahren die NATO angreifen. Woher kommt diese Angst, wo doch Putin fast ein Jahr gebraucht hat, um das kleine Awdijiwka zu erobern, fragt Jędrzej Bielecki von der Rzeczpospolita den estnischen Außenminister Markus Tsahkna. Es, so der Politiker, handle sich nicht um Angst, sondern um Realität. Als Verteidigungsminister in den Jahren 2016–2017, so der Politiker, habe er gewusst, dass er mehr als 100.000 russische Soldaten auf der anderen Seite der Grenze hatte, die jederzeit bereit waren, Estland anzugreifen. Heute seien sie nicht mehr dort: Sie würden in der Ukraine kämpfen. Man könne also wörtlich sagen, so Tsahkna, dass die Ukrainer an unserer Stelle kämpfen. Russland, fährt der Politiker fort, plane, diese Kräfte wiederherzustellen, und ihre Zahl sogar zu verdoppeln. Das werde drei, vielleicht fünf Jahre dauern. Aber es werde geschehen, denn die russische Kriegsmaschinerie funktioniere effizient und produziere Munition sowie Waffen in großer Zahl. Putin sei ein Kriegsfürst. Er brauche den Krieg, der Krieg werde sein Erbe sein. Deshalb müssen wir uns auf einen russischen Angriff vorbereiten. Denn Putin werde die NATO testen wollen. Und sollte sich herausstellen, dass Russland siegt, würde das Sicherheitssystem für uns alle zusammenbrechen. Wir, so Tsahkna, müssen uns also unbedingt gegenseitig unterstützen. Denn Putin würde die baltischen Staaten und Polen gleichermaßen hassen. Es gehe hier nicht nur um eine historische und territoriale Vision, sondern auch um eine Bedrohung für sein autoritäres Regime. Alle unsere Länder seien ein Funke der Freiheit, der die russische Diktatur sprengen könnte, betont Estlands Außenminister. 

Gefragt danach, wer den Krieg zwei Jahre nach Beginn der russischen Invasion gewinne, macht der Politiker darauf aufmerksam, dass Russland heute ein Vielfaches mehr an Munition und Waffen als Europa produziere, was sich, bei der Blockade der Unterstützung im amerikanischen Kongress, in einer dramatischen Situation an der Front widerspiegele. Aber der Westen habe sich aufgerafft. Die EU habe gerade 50 Milliarden Euro Unterstützung für die Ukraine freigegeben und entwickele ihre Rüstungsindustrie schnell weiter. Er sei Optimist, sagt Markus Tsahkna im Gespräch mit der Rzeczpospolita. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Symbolisches Ende des Konflikts mit Brüssel

Die Europäische Kommission hat positiv auf den Aktionsplan der polnischen Regierung in Punkto Justizreformen reagiert, berichtet das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Das Paket von Gesetzesentwürfen und legislativen Vorschlägen, das gestern vom Justizminister Adam Bodnar vorgestellt worden sei, lesen wir, solle es Brüssel ermöglichen, das seit 2017 laufende Verfahren nach Artikel 7 des Vertrags über die Europäische Union, der einen Verstoß gegen die Werte der EU betrifft, zu beenden. Die belgische Präsidentschaft erwarte nun die Fertigstellung des Plans und den Abschluss des Verfahrens bis zum Ende ihrer Amtszeit, d.h. bis zur Mitte des Jahres. Wie das Blatt betont, bedeute dies jedoch noch nicht die Freigabe von Geldern aus dem Nationalen Wiederaufbauplan oder dem Kohäsionsfonds – dieser Prozess werde durch separate Verfahren geregelt. Der Abschluss des Verfahrens nach Artikel 7 habe – wie der Justizminister erklärte – einen größtenteils symbolischen Charakter.

Autor: Adam de Nisau