Deutsche Redaktion

"Gefährliches Spiel mit der Abtreibung"

06.03.2024 11:45
Gibt es im Sejm wirklich keinen sogenannten Gefrierschrank, wie es Sejmmarschall Szymon Hołownia versprochen hatte. Nach seiner neuesten Entscheidung zur Liberalisierung der Abtreibungsregelungen haben sowohl Koalitions-Kollegen als auch Kommentatoren daran große Zweifel. Und: Die PiS kann sich nach den verlorenen Wahlen immer noch nicht so recht erholen. Wird die Partei nach den Kommunalwahlen durch eine neue nationalkonservative Gruppierung ersetzt? Die Einzelheiten in der Presseschau. 
Projekty dot. aborcji. Politycy komentują decyzję marszałka Hołowni ws. prac Sejmu
Projekty dot. aborcji. Politycy komentują decyzję marszałka Hołowni ws. prac SejmuPAP/Rafał Guz & X

RZECZPOSPOLITA: Gefährliches Spiel

Dies waren nicht die von der neuen Regierung versprochenen Standards, und das Thema Abtreibung war eines der ersten, mit dem sich die Koalition befassen sollte. Das Wahlkampfspiel mit einem so wichtigen Thema kann einige Wähler verärgern. Der Vorsitzende des Sejm und die Regierung haben einen Fehler gemacht, schreibt in ihrem Kommentar die Tageszeitung Rzeczpospolita.

Der Gefrierschrank werde aus seinem Büro verschwinden. Der Sejm der Republik Polen werde nie wieder eine Regierungsdienststelle oder Wahlmaschine für irgendjemanden sein, verkündete im Spätherbst Sejmmarschall Szymon Hołownia. Wenige Wochen später bestätigte er, dass es im Sejm keine Kühltruhe mehr gebe. Zuvor waren daraus Gesetzesentwürfe herausgenommen worden, die Sejmmarschallin Elżbieta Witek während der PiS-Regierung dort versteckt hatte. Zehn Bürgerprojekte wurden zur Bearbeitung eingereicht und der neue Sejm hat sechs Monate Zeit, sie abzuschließen. Es schien, als sei ein neuer Standard etabliert worden. Aber das, so die Zeitung, sei offenbar nur eine Täuschung der Wähler gewesen.

Der Grund: Nun habe Marschall Szymon Hołownia, wie das Blatt erinnert, angekündigt, dass der Sejm erst am 11. April, also nach den Kommunalwahlen über Projekte zur Änderung des Abtreibungsgesetzes beraten wird.  Menschen, die im Oktober für einen Regierungswechsel gestimmt haben, würden sich beim Thema Abtreibung betrogen fühlen, sagt Marta Lempart vom Nationalen Frauenstreik. In einem Interview mit der „Gazeta Wyborcza“ bezeichnete die Aktivistin die Partei Dritter Weg von Hołownia als „Feiglinge“.

Man müsse den Forderungen des Frauenstreiks oder dem Projekt zur Liberalisierung der Abtreibung nicht zustimmen, stellt das Blatt abschließend fest. Aber es seien einige Versprechungen gemacht worden. Die aktuelle Koalition spiele politisch mit der Abtreibungsfrage. Dies stimme mit den Ankündigungen vom Herbst nicht überein, lesen wir in Rzeczpospolita.

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Es gibt immer irgendeinen Wahlkampf

Vor uns würden immer Parlaments-, Kommunal-, Präsidentschafts- oder Europawahlen liegen, und das Argument des Marschalls sei ein rein politisches, sagt der linke Politiker Tomasz Trela in einem Interview mit Dziennik/Gazeta Prawna in Bezug auf die Entscheidung des Sejmmarschalls, über die Liberalisierung des Abtreibungsgesetzes erst nach den Wahlen abzustimmen. Es werde keine Spaltung geben, denn die Koalition habe ihre festen Grundlagen. Allerdings sei das Verhalten von Herrn Hołownia für ihn unverständlich, seltsam und dem Willen der Wähler völlig unangemessen, sagt der Politiker, Tomasz Trela, weiter. Wenn Herr Hołownia dem Marschall der Linken Wlodzimierz Czarzasty vorwerfe, dieser lüge, wenn er behaupte, dass er einen Gefrierschrank habe, dann bedeute seine gestrige Entscheidung genau das Gegenteil. Tomasz Trela appelliert an Szymon Hołownia, diese Entscheidung noch einmal zu überdenken. Er möchte es dem Marschall sagen, denn vielleicht wisse es der Marschall als politischer Neuling nicht, dass man stets auf irgendeinen Wahlkampf warte, so Trela in Dziennik/Gazeta Prawna.

SUPER EXPRESS: Parteichef in Bedrängnis

Nach dem Machtverlust im Jahr 2023 kann sich die Partei Recht und Gerechtigkeit immer noch nicht erholen. Dies lässt sich am besten an den Umfragen erkennen, in denen die Bürgerkoalition immer wieder den höchsten Stimmenanteil erhält. Es gab sogar Stimmen, dass Jarosław Kaczyński den Namen der Partei ändern möchte, lesen wir in Super Express.  

Für Recht und Gerechtigkeit hatten die Oktoberwahlen einen sehr bittersüßen Beigeschmack. Einerseits habe die Partei von Jarosław Kaczyński die meisten Stimmen erhalten, aber hinsichtlich der Sitze habe es nicht für eine dritte Amtszeit an der Macht gereicht. Der PiS-Chef habe keine öffentlichen Diskussionen nach der Wahl erlaubt, und die Partei aufgerufen ihre Reihen schließen und sich auf die Rolle der größten Oppositionspartei vorzubereiten. Die Konzentration auf mehrere Themen – etwa die Verteidigung der verurteilten Parlamentarier Maciej Wąsik und Mariusz Kamiński – habe jedoch schnell dazu geführt, dass die Unterstützung schwand. Die jüngsten Umfragen würden zeigen, dass die Bürgerkoalition mit mehreren Prozentpunkten Vorsprung in Führung liegt. Dies wiederum habe Jarosław Kaczyński dazu veranlasst, über eine Namensänderung der Partei nachzudenken. Allerdings habe es sich, nach Medienberichten, um den Versuch gehandelt, dem stillen, aber harten Kampf um die Führung in der Gruppe ein Ersatzthema aufzuzwingen. Wie sich herausstelle, wolle Mateusz Morawiecki Kaczyński bereits als Parteichef der PiS ablösen. Den Durchbruch dürften die Wahlen zum Europäischen Parlament im Juni bringen, bei denen die Gruppierung voraussichtlich mehrere Sitze verlieren werde. Es ist nicht ausgeschlossen, dass danach eine neue konservative Partei entstehen wird, lesen wir in Super Express.

Autor: Jakub Kukla