RZECZPOSPOLITA: Churchill-Parallelen und geopolitische Illusionen
Die konservativ-liberale Rzeczpospolita schlägt in gleich zwei Beiträgen Alarm. Bogusław Chrabota erinnert in seinem Kommentar zum Gipfel an Winston Churchill, der in einer Radioansprache am 1. Oktober 1939 verkündete, Polen sei erneut von zwei der drei Mächte erobert worden, die es 150 Jahre lang versklavt hätten, ohne seinen Geist brechen zu können. Die heldenhafte Verteidigung Warschaus beweise, dass Polens Seele unzerstörbar sei und bald wieder auftauchen werde „wie ein Felsen, den die Wellen nur zeitweise bedecken können".
Die bittere Pointe: Churchill, so der Autor, habe selbstverständlich nicht erwähnt, dass seine eigene Regierung „nicht einmal den Finger rührte", um die Bündnisverpflichtungen zu erfüllen und das im September 1939 kämpfende Polen zu unterstützen. Der Autor verfolgt Churchills Wandlung weiter und zitiert dessen Brief vom 5. März 1945 an den britischen Außenminister: „Ich beabsichtige, bis zum Ende für ein freies Polen zu kämpfen, in das die polnischen Soldaten, die jetzt gemeinsam mit uns kämpfen, gerne zurückkehren würden."
Trotz dieser Worte und Absichten, die auch Roosevelt und später Truman teilten, fährt der Autor fort, hätten sich alle vom „blutigen Zaren aus dem Osten, Josef Stalin, übertölpeln lassen". Wenn man die Geschichte der Nachkriegsordnung aufmerksam lese, sehe man, wie gute Absichten langsam den harten Realitäten weichen. „Russland verwirklicht seine Politik durch die Methode vollendeter Tatsachen, und die Verbündeten aus dem Westen wundern sich. Und fügen sich, im Namen der für sie wichtigsten Kategorie, des politischen Realismus."
Daher, so Chrabota, empfinde er ein „bitteres Déjà-vu" beim Anblick des amerikanischen Präsidenten, der die Hand des „Verbrechers aus dem Kreml" schüttele. „Ist das nicht eine Reminiszenz an die Herzlichkeit zwischen den Führern der USA, Großbritanniens und Stalin in Jalta? Damals sollte es auch schön werden; es ging darum, den Krieg schnell zu beenden, damit nicht mehr Menschen sterben."
Der „wütende Angriff der Russen auf Pokrowsk einen Tag nach dem ‚bedeutenden Fortschritt' in Richtung Frieden" höre, den Trump in Anchorage verkündet habe, rufe in ihm ein bitteres Lachen hervor. Er fürchte, „ob sich der Polen respektierende US-Präsident nicht hat wie ein Kind übertölpeln lassen", so Bogusław Chrabota in der Rzeczpospolita. Viele hätten keine Zweifel; das Treffen in Alaska sei bereits als "neues Jalta" bezeichnet worden. Er persönlich glaube, dass es nicht zu spät ist und Europa noch genug Kraft habe, sich zu wehren. “Wir haben noch etwas Zeit, um stärker zu werden, um die NATO zu stärken, um Entschlossenheit zu zeigen, trotz des Klimas des Verrats, das uns umgibt. Denn Verrat an der Ukraine ist auch Verrat an Polen und der gesamten mitteleuropäischen Region.” Es sei eine Zeit für politische Einigkeit in Polen, die nicht von Illusionen über irgendeine besondere Beziehung Trumps zu Polen zerschlagen werden sollte.
“Erinnern wir uns: Churchill war auch ein Freund der Polen, aber es hat nicht viel gebracht. Er beugte sich dem Druck der Fakten. Die Geopolitik hat gesiegt. So könnte es auch bei Donald Trump sein”, so Bogusław Chrabota in seinem Kommentar für die Rzeczpospolita.
RZECZPOSPOLITA: „Putin will die Sicherheitsordnung Europas umstürzen"
In einem ausführlichen Interview mit Wojciech Konończuk vom Zentrum für Oststudien (OSW) vertieft die Rzeczpospolita die Analyse. Konończuk betont darin unter anderem die Bedeutung von Putins Kreml-Treffen nach Alaska, an dem etwa 20 Personen teilnahmen – „der Kreis derer, die Russland regieren". Die zwei Minuten, die veröffentlicht wurden, seien aufschlussreich: „Das russische Ziel bleibt unverändert die Beseitigung der ‚ursprünglichen Ursache der ukrainischen Krise'."
Der Experte warnt vor Trumps fundamentalem Missverständnis: „Donald Trump macht einen Fehler, wenn er annimmt, dass es Wladimir Putin ausschließlich um Territorium der Ukraine geht. Das ist eine falsche Wahrnehmung der russischen Ziele." Putin fordere eine Revision der Sicherheitsordnung, was bedeute, dass in den Ländern Mitteleuropas, die nach 1999 der NATO beigetreten seien, verschiedene Einschränkungen gelten sollten – „eine Art Mitgliedschaft zweiter Klasse".
Konończuk erklärt, die russischen Kriegsbedingungen seien „dieselben wie bei Kriegsbeginn. Anders gesagt: Es geht nicht um die Ukraine.” Wenn Putin eine Revision der Sicherheitsordnung fordere, wolle er, dass auf dem Territorium der mitteleuropäischen Staaten verschiedene Beschränkungen gelten, so Wojciech Konończuk im Gespräch mit der Rzeczpospolita.
GAZETA WYBORCZA: Putins peinlicher Abgang ohne Abendessen
Wacław Radziwinowicz präsentiert in seinem Kommentar für die linksliberale indes eine völlig andere Lesart des Treffens. Unter der Überschrift „Ohne Abendessen und wirtschaftliche Erfolge" seziert er akribisch, was Putin nicht erreicht hat.
Der Autor listet detailliert Putins ursprüngliche Pläne auf: Gespräche unter vier Augen (erfolgten im Wagen Trumps), Dreier-Gespräche mit Lawrow und Uschakow (fanden statt), aber dann – so Radziwinowicz – „sollten sogar mehrstündige Verhandlungen in größerer Runde folgen". Putin habe dafür extra seinen Geschäftsemissär Kirill Dmitrijew, Finanzminister Anton Siluanow und Verteidigungsminister Andrej Belousow mitgebracht. „In dieser Runde wurden Gespräche und ein gemeinsames Mittagessen angekündigt."
Stattdessen, so der Autor, „endete alles beim Dreier-Treffen. Danach gab es nur noch inhaltsleere Pressemitteilungen und Putins Flucht vor Journalistenfragen." Es habe keinen gemeinsamen Besuch auf dem Friedhof sowjetischer und amerikanischer Piloten gegeben. „Aus Anchorage flog Putin, wie vor einigen Monaten Präsident Wolodymyr Selenskyj nach dem Eklat im Weißen Haus, mit leerem Magen davon. Hastig und leise." Radziwinowicz erinnert daran, wie Kreml-Medien sich über Selenskyj lustig gemacht hätten, der ohne Mittagessen von Trump verabschiedet worden sei – „wie detailliert und tagelang sie daran erinnerten, was er nicht gegessen hatte". Nun sei Putin das gleiche Schicksal widerfahren.
Das Scheitern der Wirtschaftsgespräche sei für Putin besonders schmerzhaft. In Moskau seien Gespräche über eine schnelle Aufhebung der Sanktionen geplant gewesen, über wirtschaftliche Zusammenarbeit, insbesondere über die von Dmitrijew beworbenen „Milliarden bringenden" gemeinsamen Projekte zur Erschließung der Arktis. „Und das ist für Putin außerordentlich wichtig", betont der Autor.
Egal wie sehr er seine wirtschaftlichen Muskeln spielen lasse, lesen wir weiter, könne Putin nicht verbergen, dass seine Wirtschaft bremse und ihr ziviler Teil im Gegensatz zum militärischen „ins Minus gegangen" sei – ein Zitat der Ökonomin Natalia Zubarewicz. Die für den Staatshaushalt entscheidenden Einnahmen aus Öl und Gas seien in den letzten drei Monaten im Vergleich zum Vorjahr um 30 Prozent geschrumpft. „Und es wird nur schlimmer werden", prognostiziert Radziwinowicz.
Russische Ölfirmen böten den Käufern immer größere Rabatte an. Heute wollten sie Indien ein Barrel Öl für einen Preis verkaufen, der drei Dollar unter dem im bereits im Juni wegen des lawinenartig wachsenden Defizits korrigierten Haushalt geplanten liege. Eine weitere Korrektur stehe bevor, da das Geld in der Staatskasse schneller schwinde als noch vor zwei Monaten angenommen. „Das Scheitern der Gespräche über wirtschaftliche Zusammenarbeit ist also ein unangenehmes Ergebnis von Putins effektvoller Reise über die Beringstraße", schließt Radziwinowicz seinem Kommentar für die Gazeta Wyborcza.
Dziennik Gazeta Prawna: „Putin erhielt mehr als erwartet"
Der Vorsitzende des parlamentarischen Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten der Ukraine, Ołeksandr Mereżko, zeigt sich in einem Interview für Dziennik/Gazeta Prawna dennoch alarmiert. Selenskyjs Hauptaufgabe für den Besuch im Weißen Haus sei es, „die Schäden des Freitagsgipfels rückgängig zu machen".
Das Gefährlichste sei Trumps Unterstützung für Putins Idee, „statt eines Waffenstillstands direkt zur Arbeit an einem Friedensabkommen überzugehen". Dies bedeute, dass Trump sein ursprüngliches Ziel eines Waffenstillstands nicht erreicht habe. „Statt dies als diplomatisches Scheitern anzuerkennen und frühere Versprechen zu erfüllen, die Sanktionen gegen Russland zu verstärken oder die Waffenlieferungen an die Ukraine zu erhöhen, stimmte er Putins Konzept zu. Der Kreml versteht unter einem Friedensabkommen jedoch die Kapitulation der Ukraine."
Zur Frage der Sicherheitsgarantien ist Mereżko eindeutig: „Die einzige und vernünftige Garantie ist die NATO-Mitgliedschaft." Er verweist auf Henry Kissingers Plan, der einen Waffenstillstand und die Aufnahme der Ukraine in die NATO vorsah, mit auf kontrollierte Gebiete begrenzten Garantien, aber ohne rechtliche Anerkennung der Gebietsverluste. Andere Ideen, wie NATO-ähnliche Garantien seien Augenwischerei, denn es sei unklar, wie viele Staaten Polen solche Garantien erteilen würden und wie belastbar diese wären. „Wäre Polen bereit anzuerkennen, dass im Falle eines erneuten Angriffs Putins auf uns dies gleichbedeutend mit einem Angriff auf Polen selbst ist?”, fragt Mereżko. Das Fazit von Gazeta Wyborcza: Bei den gegenwärtigen Tendenzen in der polnischen Innenpolitik sei das zu bezweifeln. Leider.
Autor: Adam de Nisau