RZECZPOSPOLITA: Skorpion und Krokodil
Der Frauenprotest sei nicht seine Revolution, es sei nicht sein Generationskrieg. Es sei aber eine Revolution, die man nicht einfach so übersehen dürfe, schreibt in seinem Kommentar der Chefredakteur der Tageszeitung Rzeczpospolita Bogusław Chrabota. Vertreter der Regierungspartei (PiS) würden die Proteste auf Polens Straßen gegen die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes als einen ideologischen Exzess der Linken betrachten. Die Politiker der Regierungspartei hätten selbstverständlich das Recht zu einer solchen Interpretation. Auch wenn es sich aber tatsächlich um einen Exzess handle, habe er eine größere Kraft und könne schwerwiegendere Folgen bringen, als es die PiS-Politiker wohl erwarten. Der Frauenstreik sei im Stande gewesen, binnen weniger Stunden viele Menschen auf die Straßen zu bringen: sowohl im Herbst als auch jetzt, im kalten Januar. Wahrscheinlich werde die Organisation diese Fähigkeit weiterhin behalten und es werde weiterhin zu Demonstrationen kommen. Dies bedeute wiederum, dass die Spitze des Frauenstreiks auch dann werde Proteste veranstalten können, wenn die Regierenden in eine tiefe Krise geraten. Dann könnten Menschen auf den Straßen zum Machtwechsel führen, schreibt Chrabota.
Er verstehe das Verhalten von Jarosław Kaczyński nicht, gibt der Publizist zu. Er habe keine Ahnung, wieso sich die Regierenden auf eine weitere Konfrontation einlasen, die durch die Veröffentlichung des Urteils des Verfassungsgerichts verursacht wurde. Vielleicht wollte der Chef der Regierungspartei von der stockenden Impfaktion und der schwierigen Lage der Unternehmer in der Pandemie ablenken? Vielleicht aber wollte er den rechten Flügel der politischen Szene stärker integrieren? Er, so Chrabota weiter, habe jedoch eine ganz andere Vermutung.
Jarosław Kaczyński lebe vom Konflikt, erklärt der Publizist. Politische Kämpfe würden seinen Adrenalinspiegel erhöhen. Ohne Konflikte könne er nicht leben. Deshalb sei die Geschichte seiner Partei von ständigen Streitereien gekennzeichnet. Kampf gegen die Richter, gegen die Lehrer, gegen Ärzte, gegen Eliten, gegen LGBT+ und zuletzt gegen die extreme Linke. Seine langjährige Leidenschaft zeige aber zugleich ganz deutlich, dass er anders nicht funktionieren könne. Permanentes Krisenmanagement könne man sich leisten, wenn die Lage des Staates relativ stabil sei. In Zeiten eines ungleichen Kampfes mit der Pandemie gleiche die Ausrufung von weiteren Konflikten einem politischen Selbstmord. Kaczyński verhalte sich wie ein Skorpion, der das Krokodil tödlich beißt, auf dessen Rücken er durch einen großen See schwimme, schreibt Bogusław Chrabota in der Tageszeitung Rzeczpospolita.
DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Der Glaube an die Diplomatie
Polen und andere EU-Staaten aus dem östlichen Teil des europäischen Kontinents setzen sich für die Einführung weiterer Sanktionen gegenüber Russland ein, schreibt die Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna. Polen und fünf weitere Länder: Litauen, Estland, Lettland, Tschechien und Rumänien würden mit einer Stimme sprechen und forderten eine Bestrafung von russischen Beamten. Diese Maßnahme würden die Außenministerien als einen Gegenzug für die Verhaftung, den Prozess und die Verurteilung des Oppositionspolitikers Alexej Nawalny verstehen.
Zwar habe die deutsche Regierung die Meinung geäußert, dass man die Einführung von Sanktionen nicht ausschließen solle. Bei einem Treffen der Außenminister in Brüssel hätten sich aber sowohl deutsche als auch italienische Politiker für etwas mehr Zeit für diplomatische Handlungen eingesetzt. Heute (Freitag) solle sich der Hohe Vertreter der EU für Außenbeziehungen Joseph Borell in Moskau mit dem russischen Außenminister Siergiei Lawrow treffen. Auf der Agenda stehe angeblich auch die Verletzung der Menschenrechte, heißt es.
GAZETA POLSKA CODZIENNIE: Eine klare Antwort wird folgen
Die Haltung der EU gegenüber Russland analysiert auch die konservative Tageszeitung Gazeta Polska Codziennie. Das Blatt erinnert, dass der Kreml-Kritiker Nawalny zu mehr als zwei Jahren Haft in einem Straflager verurteilt worden war. Das zuständige Gericht in der russischen Hauptstadt entschied, dass der 44-Jährige eine bereits verhängte dreieinhalbjährige Bewährungsstrafe nun in einer Strafkolonie ableisten müsse, wobei ein früherer Hausarrest von der Zeit abgezogen wird. Nawalny habe gegen Bewährungsauflagen in einem früheren Strafverfahren verstoßen, teilte die Richterin mit.
Unmittelbar nach Bekanntgabe des Urteils demonstrierten Tausende in Moskau, es gab Hunderte Festnahmen. Dagegen protestiere die internationale Gemeinschaft, sagt im Gespräch mit dem Blatt der Europaabgeordnete der Regierungspartei PiS, Ryszard Czarnecki. Der Politiker habe zugleich keine Zweifel – die Niederschlagung der Proteste werde eine klare Antwort provozieren. Mit Sicherheit werde sich der EU-Rat im Juni für die Verlängerung der Sanktionen gegen Russland aussprechen, so Czarnecki im Blatt GPC.
Jakub Kukla