Deutsche Redaktion

"Enttäuscht wie Jarosław Kaczyński"

17.02.2022 11:55
Die Entscheidung des EU-Gerichtshofs über den Mechanismus, der die Sperrung von Geldern im Falle eines Verstoßes gegen die sog. Rechtsstaatlichkeit ermöglichen soll, hat einen offenen Krieg im einst vereinten rechten Lager ausgelöst. 
Wicepremier, prezes PiS Jarosław Kaczyński.
Wicepremier, prezes PiS Jarosław Kaczyński.Foto: PRSA/Pr24

Rzeczpospolita: Enttäuscht wie Jarosław Kaczyński

Die Entscheidung des EU-Gerichtshofs (EuGH) über den Mechanismus, der die Sperrung von Geldern im Falle eines Verstoßes gegen die sog. Rechtsstaatlichkeit ermöglichen soll, hat einen offenen Krieg im einst vereinten rechten Lager ausgelöst. Das schreibt Publizist Michał Szułdrzyński in einem Kommentar für das konservativ-liberale Tagesblatt.

Die Entscheidung des EuGH vom Mittwoch sei wohl für niemanden eine Überraschung gewesen. Was überraschen könnte, so der Autor, sei, dass es eine Bestätigung der Schlussfolgerungen des EU-Gipfels von Ende 2020 enthalte. Dort habe Ministerpräsident Mateusz Morawiecki eine Bedingung ausgehandelt, wonach sich die sog. Konditionalität auf eine Bedrohung der finanziellen Interessen der EU beziehen müsse. Die EU, schreibt Szułdrzyńśki, habe somit ihr Wort gehalten.

Politiker aus dem regierenden Lager hätten nach dem Urteil einen Angriff auf die EU und ihre Institutionen gestartet. Der Vorsitzende der regierenden Partei PiS, Jarosław Kaczyński soll gesagt haben, Polen sei betrogen worden. Die ehemalige Regierungschefin Beata Szydło soll behauptet haben, der EuGH und die Europäische Kommission hätten die Ergebnisse des 2020-Gipfels ignoriert. Der stärkste Angriff, lesen wir, käme jedoch von Politikern der Solidarna Polska. Der Vorsitzende dieser Fraktion, Justizminister Zbigniew Ziobro, soll Polens Präsidenten vor einigen Tagen als Verräter dargestellt haben. Der Grund sei Dudas Gesetzentwurf, um die Erwartungen der Europäischen Kommission über die Abschaffung der umstrittenen Disziplinarkammer zu erfüllen.

Der Angriff, heißt es weiter, zielte auch auf Morawiecki ab. Ziobro soll über den „historischen Fehler des Ministerpräsidenten" gesprochen haben. Ihm nach hätte Polens Regierungschef damals sein Veto gegen den EU-Haushalt einlegen sollen. Morawiecki soll ihm erwidert haben, dass ein Veto damals Polen ca. 152 Milliarden Euro kosten würde. „Nur unsere Feinde könnten uns das wünschen", soll er geantwortet haben. Kaczyński wiederum soll in einem Interview zugegeben haben, er sei enttäuscht, dass Ziobros Rede die Öffentlichkeit erreicht habe. Seine Worte seien für die gemeinsame Verteidigung der Souveränität Polens sehr ungünstig. Doch abgesehen von seiner Enttäuschung, glaubt Szułdrzyński, könne der PiS-Vorsitzende Ziobro wenig antun. Beiden seien nämlich nicht nur zueinander, sondern auch zum Konflikt verdammt. Der PiS-Vorsitzende habe keine Alternative zur Solidarna Polska. Ohne sie hätte Kaczyński keine Mehrheit im Parlament. Ein Rauswurf von Ziobros Fraktion würde eine demütigende Minderheitsregierung oder vorgezogene Wahlen bedeuten. Deshalb wüsste Ziobro, dass er sich immer mehr erlauben könne.

DoRzeczy: „Rechtsstaatlichkeit" wichtiger für EU als Kriegsgefahr? 

Eine Sonderdelegation des Europäischen Parlaments soll in sechs Tagen Polen besuchen. Der formale Zweck sei, die Situation der sog. Rechtsstaatlichkeit in Polen zu untersuchen. Darüber schreibt der PiS- Abgeordnete in der EU, Ryszard Czarnecki, für das rechts-konservative Wochenblatt DoRzeczy.

Das eigentliche Ziel der Delegation, so der Politiker, scheine zu sein, die polnische Regierung zu attackieren und die Opposition zu stärken. Die meisten Mitglieder dieser Delegation sollen nämlich denselben EU-Fraktionen angehören, wie die polnischen Oppositionsparteien im EP. Die Delegation habe sich hohe Ziele gesetzt, lesen wir, da sie sich mit Polens Präsidenten und dem Regierungschef treffen wolle. Das Treffen, glaubt Czarnecki, scheine aber sinnlos zu sein, da die Besucher ihr Urteil über Polen schon im Vorfeld gefällt hätten.

Abgesehen von der seit Jahren andauernden Konfrontation zwischen der EU und Polen, heißt es weiter, scheine jedoch der Zeitpunkt des Besuchs viel wichtiger zu sein. Er falle zusammen mit der größten Kriegsgefahr in Europa seit drei Jahrzehnten. Seit dem Ende des Kalten Krieges. Angesichts dieser Gefahr, so Czarnecki, sollte Europa sich in Solidarität darauf konzentrieren, die Möglichkeit eines militärischen Konflikts in der Nähe seiner Grenzen zu begrenzen. Man sollte die Nachbarländer des imperialen Russlands unterstützen. Statt dessen verhalte sich das Europäische Parlament, als ob diese Bedrohung weit entfernt und eine unwichtige Angelegenheit sei.

Dieser Besuch des Europaparlaments sei deshalb praktisch ein Angriff auf Polen, schreibt Czarnecki abschließend im Blatt. Polen, an dessen Grenzen zu Belarus russische Truppen konzentriert sind. Es sei ein Beispiel für extreme politische Dummheit und Gedankenlosigkeit. Was schlimmer, es sei ein Geschenk für Putin, der Polen, das Europa seit langem vor Russland gewarnt habe, bestrafen wolle.


Dziennik/ Gazeta Prawna: Russische Eliten ohne Begeisterung für offenen Krieg mit der Ukraine

Das Blatt Dziennik/Gazeta Prawna schreibt indes, dass die Versuche Russlands, die beiden separatistischen ukrainischen Republiken Donezk und Lugansk anzuerkennen, das Risiko einer Eskalation des Konflikts in der Ukraine erhöhen würden. Trotzdem wäre eine Invasion, einschließlich der Bombardierung Kiews und der Besetzung des gesamten linken Ufers der Ukraine, vor der westliche Politiker warnen sollen, unwahrscheinlich. Der Grund? Russlands Elite soll von der Aussicht auf einen offenen Krieg überhaupt nicht begeistert sein. Selbst in Kreml-treuen Kreisen gebe es Stimmen, die den Sinn eines massiven militärischen Engagements in Frage stellen sollen.

Dies sei eine radikale Veränderung gegenüber 2014, lesen wir im Blatt. Damals habe die Annexion der Krim in Moskau eine hurra-patriotische Euphorie auslöst. Der einzige Abgeordnete, der sie im Parlament nicht unterstützt habe, erinnert das Blatt, sei gezwungen worden, Russland zu verlassen.

Wie wir lesen, soll der pensionierte General Leonid Iwaschow, Putins Vorgehen gegenüber der Ukraine scharf kritisieren. Er habe auch einen Protest gleichgesinnter Offiziere veröffentlicht. Iwaschow sei überzeugt, dass die derzeitige Krise die Position Russlands in der Region untergrabe. NATO-Strukturen, soll der pensionierte General erklärt haben, hätten die Annexion der Krim nur kritisiert „und das war's". In der aktuellen Situation sollen sie die Zugehörigkeit der Halbinsel zur Ukraine wieder bejahen. Über all die Jahre seien auch Waffenlieferungen an die Ukraine verweigert worden. Jetzt aber stelle der Kongress Geld zur Verfügung und verpflichte den Präsidenten, die Ukraine zu bewaffnen. Militärflugzeuge würden jetzt regelmäßig dorthin fliegen, soll Iwaschow in der russischen Presse überzeugen.

Solche Stimmungen, schreibt die Tageszeitung, seien in der russischen Armee weit verbreitet. Auch ein russischer Oberst hätte in der Presse von „blutrünstigen Politologen“ gesprochen. Sie sollen einen bevorstehenden Zusammenbruch der Ukraine unter dem Druck der russischen Armee übereifrig und optimistisch voraussehen. „Es wird keinen ukrainischen Blitzkrieg geben. Der bewaffnete Konflikt mit der Ukraine entspricht in der aktuellen Situation vollständig nicht den nationalen Interessen Russlands“, zitiert Dziennik/ Gazeta Prawna zum Abschluss den russischen Oberst.


Piotr Siemiński