Deutsche Redaktion

"Ukraine braucht Munition, aber auch schnelle und klare politische Gesten"

03.03.2022 11:40
Die Ukraine brauche jetzt sowohl Munition, als auch symbolische Gesten von Seiten der EU, sagt im Interview mit Dziennik/Gazeta Prawna der Europaabgeordnete der Bürgerkoalition und ehemalige polnische Vize-Außenminister Paweł Kowal. Das, so Kowal, bedeute auch, dass die ukrainische Gesellschaft, die sich vor der russischen Aggression zur Wehr setzt, eine Bestätigung erhalten sollte, dass ein EU-Beitritt in naher Zukunft möglich ist. Außerdem nehmen die Publizisten auch Stellung zu Berichten über rassistische Übergriffe an Flüchtlingen.
Parlament Europejski wzywa do przyznania Ukrainie statusu kandydata oraz osądzenia Putina i Łukaszenki za zbrodnie wojenne
Parlament Europejski wzywa do przyznania Ukrainie statusu kandydata oraz osądzenia Putina i Łukaszenki za zbrodnie wojennePAP/EPA/STEPHANIE LECOCQ

Dziennik/Gazeta Prawna: Ukraine braucht Munition, aber auch schnelle und klare politische Gesten

Die Ukraine brauche jetzt sowohl Munition, als auch symbolische Gesten von Seiten der EU, sagt im Interview mit Dziennik/Gazeta Prawna der Europaabgeordnete der Bürgerkoalition und ehemalige polnische Vize-Außenminister Paweł Kowal. Das, so Kowal, bedeute auch, dass die ukrainische Gesellschaft, die sich vor der russischen Aggression zur Wehr setzt, eine Bestätigung erhalten sollte, dass ein EU-Beitritt in naher Zukunft möglich ist.

Die Ukraine, erinnert der Politiker, habe ein sehr gutes und detailliertes Assoziierungsabkommen mit der EU, ähnlich wie Georgien und Moldawien. Es gebe auch einen Vertrag über eine vertiefte Freihandelszone. Im wirtschaftlichen und industriellen Bereich sei die Ukraine also de facto schon in der EU. Im politischen Sinne - noch nicht. Und eben in diesem politischen Bereich müsse man Zeichen setzen. Beispielsweise, indem man ukrainische Abgeordnete als Beobachter in das EU-Parlament einlade oder einen ukrainischen EU-Kommissar mit Beobachterstatus ernenne. Es gehe darum, klar zu zeigen, dass der Integrationsprozess der Ukraine mit der EU unumkehrbar sei. Es werde natürlich technische und juristische Fragen geben, die Zeit brauchen. Doch die politischen Gesten könne man schon jetzt machen. 

Denn all dies, so Kowal, funktioniere umgekehrt, als der Großteil des Westens geglaubt habe. Wenn die Ukraine früher zu Verhandlungen eingeladen worden wäre, gäbe es die Aggression nicht. Je weiter die politischen Verhandlungen fortgeschritten wären, auch in Bezug auf die NATO, desto größer wäre die die Sicherheit der Ukraine und damit auch Polens. Gleiches gelte übrigens auch für Georgien und Moldawien, die allesamt relativ fortgeschrittene Gespräche mit der EU führen würden. Politische Gesten seien vor allem klare Signale für die jeweiligen Gesellschaften, die zu den Wahlen gehen und auf der Grundlage ihres Wissens über den Stand der Dinge entscheiden würden. Und bisher hätten die ukrainischen Wähler keine klaren Signale erhalten, dass sie in der EU sein werden. Auch die polnische Regierung, so Kowal, habe in den letzten Jahren übrigens Fehler begangen, indem sie die Einheit der EU untergraben habe. Doch nun sollte man sich nicht darauf konzentrieren, sondern alle Kräfte für den Kampf um die Ukraine mobilisieren. Russland müsse sich damit abfinden, dass die Zeiten des Imperialismus, in denen der Stärkere über die Angelegenheiten souveräner Staaten entschieden habe, vorbei seien. Ebenso, wie Frankreich oder England sich damit hätten schon vor Langem abfinden müssen. 

In der EU, so Kowal, entstehe durch den Krieg indes Raum für stärkere Integration. Für Polen werde dies vielleicht auch den Beitritt zur Eurozone und zum Programm der Europäischen Legion, also Zusammenarbeit beim Aufbau einer europäischen Armee  bedeuten. Und hoffentlich auch ein Ende der Flirts mit Politikern, wie Le Pen. Denn die polnische Souveränität werde nicht von der brüsseler Bürokratie, sondern von russischen Panzern bedroht, so Paweł Kowal im Gespräch mit Dziennik/Gazeta Prawna. 

Rzeczpospolita: Lasst uns nicht von Putlers Helfern spalten

In Polen hätten sich hunderttausende in selbstlose Hilfe für die Flüchtlinge engagiert, schreibt in seinem Kommentar für die konservativ-liberale Rzeczpospolita der Publizist Michał Szułdrzyński. All dies werde auf internationaler Arena wahrgenommen und trage dazu bei, dass die Stimme Polens auf internationaler Arena besser gehört wird. Umso wichtiger sei es nun, sich nicht durch gegen Flüchtlinge und teils von Rassismus geleitete Rhetorik spalten zu lassen und diese im Keim zu ersticken. In der Ukraine, erinnert Szułdrzyński, würden auch Tausende von Gästen aus fernen Ländern wohnen, Studenten aus Indien, Marokkaner, Äthiopier usw. Auch sie würden vor Bomben und Panzern flüchten. 

In der heutigen Situation sei jeder Beitrag zu einem Anstieg von rassistischen Stimmungen, sei es durch anonyme Internet-Trolle, braune Politiker oder Hooligans, ein Handlung gegen die polnische Staatsräson und im Interesse Putins. Er hoffe, dass die polnischen Behörden diejenigen, die sich offen gegen die polnischen Interessen stellen und zu Putins Handlangern werden, im Auge behalten werden. Lasst uns dieses Gute, das in Polen in den letzten Tagen zum Vorschein getreten ist, nicht verschwenden und uns nicht von den Verbündeten Putlers teilen, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita. 

Gazeta Wyborcza: Putins Trolle und ihre Handlanger anprangern

Ebenfalls zum selben Thema ein Kommentar von Dominika Wielowieyska in der linksliberalen Gazeta Wyborcza. Vor dem Hintergrund von Berichten über rassistische Übergriffe, wie etwa in Przemyśl, wo Rassisten drei dunkelhäutige Flüchtlinge aus der Ukraine zusammengeschlagen haben, appelliert die Publizistin an Innenminister Mariusz Kamiński um eine entschiedene und eindeutige Reaktion auf solche Übergriffe. Wie die Autorin schreibt, sei die Aggression unter anderem durch im Internet verbreitete Falschinformationen verursacht, laut der dunkelhäutige Personen polnische Frauen und Kinder angegriffen hätten. Dies sei eine Lüge, die die Polizei übrigens systematisch dementiere. Trotzdem würde sich die Epidemie von Fake-News ausbreiten. Das Innenministerium müsse daher in viel größerem Maße auf Prävention in den betroffenen Städten setzen. Aktuell müsse sich Polen leider jedoch wegen der Passivität des Ministeriums für die rassistischen Exzesse schämen. 

Heute müsse man allen, die vor dem Krieg auf der Ukraine auf der Flucht seien, klar Unterstützung leisten und diejenigen, die zu Hass aufrufen, sowie die sie unterstützenden Politiker, Verbündete von Putins Trollen anprangern, so Dominika Wielowieyska in der Gazeta Wyborcza. 

Autor: Adam de Nisau