Deutsche Redaktion

Was jedes Kind in Polen über russischen Imperialismus weiß

21.04.2022 13:39
Russland hat schon zu Zarenzeiten und dann unter Lenin und Stalin Zivilisten verschleppt und russifiziert, nun tun es die Russen unter Putin wieder. Vielleicht werde die Welt nun das verstehen, was jedes polnische Kind über das Wesen des russischen Imperialismus weiß, heißt es in einem der heutigen Pressekommentare. Außerdem: wer ist Sieger der der gestrigen Debatte der französischen Präsidentschaftskandidaten? Wieso freut der Untergang der “Moskwa” außer der Ukrainern auch die Türkei? Und: Polens gerät in Konflikt mit den Impfstoffproduzenten. Die Einzelheiten in der Presseschau.
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Rzeczpospolita: Le Pen hat Macron nicht geschlagen 

Die Debatte zwischen Emmanuel Macron und Marine Le Pen im französischen Fernsehen war wohl die letzte Chance für die Anführerin der extremen Rechten, ihren Rückgang in den Umfragen umzukehren und ihre Chancen auf die Übernahme des Elysée-Palastes zu retten, schreibt Jędrzej Bielecki von der konservativ-liberalen Rzeczposplita. Dies, so der Autor, habe aber nicht geklappt. Emmanuel Macron habe in der Debatte mit Le Pen darauf gesetzt, die Widersprüche im Programm seiner Gegnerin aufzuzeigen. Und das in jedem Bereich. Mit großem Erfolg, so Bielecki.

Als Le Pen etwa behauptete, sie habe die ukrainische Unabhängigkeit immer unterstützt, erinnerte Macron sie daran, dass sie 2015 die Annexion der Krim durch Russland unterstützt habe. Zu dem Kredit, den Le Pen von einer russischen Bank erhalten habe, erklärte sie, dass keine französische Bank ihr einen Kredit geben wollte. Wie Macron jedoch einräumte, habe Eric Zemmour, ein Präsidentschaftskandidat mit ähnlichen Ansichten wie sie, keine derartigen Probleme gehabt.

Als sich das zweieinhalbstündige Duell dem Ende zuneigte, schreibt Bielecki, sei Le Pen immer mehr ins Schwitzen geraten und unruhig geworden. Sie habe den Überblick über die Zahlen und Fakten verloren, die Macron zitiert habe. Zum Beispiel, als die Präsidentschaftskandidatin erklärte, sie wolle die Europäische Union nicht verlassen, sondern diese in eine "Vereinigung europäischer Nationen" umwandeln. Ohne Schengen, Binnenmarkt und Freizügigkeit der Arbeitnehmer.

Macrons Antwort: Le Pen würde die Entsendung von Arbeitnehmern nach Frankreich abschaffen wollen, gleichzeitig aber die Franzosen nicht berücksichtigen, die auf derselben Grundlage im Ausland arbeiten. Damit mache sie dem französischen Volk falsche Versprechungen.

Im Jahr 2017, erinnert Bielecki, habe Le Pen bei einer ähnlichen Debatte mit Macron eine derartige Niederlage erlitten, dass sie nie wieder zu dieser Aufnahme zurückgekehrt sei. Stattdessen habe sie sofort mit den Vorbereitungen für die nächste Wahlkampagne in fünf Jahren begonnen. Gestern aber habe der Autor den Eindruck gehabt, dass sie nur langsam lerne und noch einige fünf Jahre brauchen werde, um Macrons Niveau zu erreichen. Eine solche Chance, den Elysée-Palast zu gewinnen werde Le Pen jedoch nicht noch einmal bekommen. Diese sei die letzte gewesen, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita. 

Rzeczpospolita: Sisyphusarbeiten 

Im Laufe der Jahre wechselten die Regierungen in Polen. Es habe verschiedene Bildungsminister gegeben. Die Lektüre unter dem Titel "Sisyphosarbeiten" würden Kinder in polnischen Schulen aber bis heute lesen, schreibt Michał Szułdrzyński von der Rzeczpospolita. Die in dem Buch von Stefan Żeromski beschriebenen Versuche der Russifizierung der Polen vor 150 Jahren seien eine völlig andere Welt. Zumindest auf den ersten Blick, so der Autor. Dank diesem Buch könnten ganze Generationen von Polen nämlich verstehen, was heute mit Zehntausenden von ukrainischen Kindern geschehe, die gewaltsam nach Russland verschleppt werden und dort der Russifizierung ausgesetzt seien. Aber es gehe um mehr, als nur um das Schicksal von Kindern, schreibt Szułdrzyński.

Etwas, das Polen aus Schulbüchern kennen und das eigentlich der Vergangenheit angehören sollte, würden heute mehr als eine halbe Million Ukrainer erleben. Sie seien Opfer von Deportation nach Russland, Zwangsumsiedlungen und Versuchen der Entnationalisierung. Polen, die all das aus der Geschichte kennen, sollten der Welt umso lauter sagen, was heute in der Ukraine geschehe, betont Szułdrzyński.

Das Vorgehen der Russen in den besetzten Gebieten, heißt es weiter, sehe erschreckend methodisch aus. Die Ukrainer würden entweder nach Russland deportiert oder von der Armee rücksichtslos gefoltert, vergewaltigt oder ermordet. Dieser Bestialität und Entartung seien keine Grenzen gesetzt. Außerdem, fährt Szułdrzyński fort, würden die für ihre Grausamkeiten berüchtigten Truppen von Putin, statt hinter Gittern zu landen, mit Ehrenmedaillen ausgezeichnet.

Der faule Kompromiss, einen Teil des ukrainischen Territoriums unter russischer Besatzung zu belassen, stelle daher eine tödliche Gefahr für Hunderttausende von Ukrainern dar. Und genau dies sei, was in diesem Krieg heute auf dem Spiel stehe. Dafür würden Selenskyj und seine Landsleute kämpfen.

Der demografische und soziale Zusammenbruch in Russland bedeute, dass die Ukrainer, die Moskau in den Osten schicke für die Russen sogar eine Hoffnung für die Zukunft ihres eigenen Staates seien. Die entführten Ukrainer hätten also die Wahl: Russifizierung oder Tod. Die Tapferkeit und der Mut der Ukrainer würden jedoch zeigen, dass die Russifizierung nicht einfach verlaufen werde. So wie die von Żeromski beschriebene Russifizierung der Polen nach dem Januaraufstand gescheitert ist, so werde es sich wahrscheinlich als Sisyphusarbeit erweisen, die entführten Ukrainer zu Russen zu machen, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita. 

Dziennik: Türkei gewinnt Krieg in der Ukraine 

Kein Land habe in letzter Zeit so viele Gründe, dem Kreml dankbar zu sein, wie die Türkei, schreibt indes Andrzej Krajewski in Dziennik. Es sei nämlich Wladimir Putin, der Ankara die Möglichkeit eröffnet habe, seinen Großmachtstatus wiederzuerlangen, und zwar auf Kosten Russlands.

Als das Flaggschiff der Schwarzmeerflotte "Moskwa" unterging, lesen wir, habe sich gleichzeitig in aller Stille das Kräfteverhältnis in einer äußerst wichtigen Region der Welt geändert. Alle Importeure von ukrainischem und russischem Getreide, Sonnenblumenöl, Lebensmitteln und Hunderten von anderen Waren, stellt der Autor fest, würden jetzt erfahren, wie wichtig das Schwarze Meer als Transportweg sei. Dies gelte auch für die Abnehmer von Gas aus der TurkStream-Leitung, die unter der Meeresoberfläche verlaufe. Die Flotte, die das Schwarze Meer beherrsche, heißt es, habe ohne Zweifel die Möglichkeit, Kleinasien zu kontrollieren.

Seit dem Tag, an dem die "Moskwa" im Schwarzen Meer gesunken ist, gebe es jetzt dort keine stärkere Flotte, als die türkische. Diese Vormachtstellung würde auch dadurch verstärkt, dass in Kürze der Flugzeugträger "Anadolu" hinzukomme. Das Kriegsschiff werde Kampfflugzeuge, Hubschrauber und Bayraktar-Kampfdrohnen an Deck tragen. Angesichts der Tatsache, heißt es weiter, dass Ankara bereits die ungeteilte Kontrolle über die Meerengen habe, die das Schwarze Meer mit dem Rest der Welt verbinden, könne der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan in diesem Moment mit Recht sagen: Schachmatt.

Die Versenkung der "Moskwa" durch die ukrainischen Streitkräfte, lautet das Fazit des Autors im Online-Blatt, würde wieder einmal das alte Sprichwort belegen: "Wo zwei sich streiten, profitiert der Dritte". 

Dziennik/Gazeta Prawna: Nicht nur Pfizer. Zahlungsverweigerung könnte auch Moderna treffen 

Polen werde Pfizer nicht für weitere Impfstoffe zahlen, schreibt Dziennik/ Gazeta Prawna zu den neuesten Entwicklungen in der Pandemie. Eine Zahlungsverweigerung, so das Blatt, könnte auch den zweitgrößten Lieferanten des Anti-Covid-19-Präparats für Polen, Moderna treffen. Der Grund seien eine geringere Nachfrage nach Impfstoffen und neue Ausgaben im Zusammenhang mit der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Ukraine.

Die Europäische Kommission, lesen wir, sei bereit, Gespräche zwischen der polnischen Regierung und BioNTech und Pfizer zu erleichtern, um eine pragmatische Lösung für die besondere Situation Polens zu finden. Die Zeitung habe darüber hinaus festgestellt, dass Polen noch 12 Millionen der bestellten Präparate bei Pfizer abholen müsse. Das Gesundheitsministerium hoffe nun auf eine einvernehmliche Einigung, zum Beispiel in Form von verzögerten Lieferungen, kommen werde.


Piotr Siemiński