Deutsche Redaktion

"Kosaken und Moskowiter"

05.05.2022 12:50
Die Wesensart der politischen Kultur der Ukrainer seien Freiheit und Selbstorganisation. Die russische Kultur hingegen sei eine Kultur des Gehorsams, schreibt Jarosław Myjak in der Rzeczpospolita. Die ukrainische Kultur sei nicht nur von Freiheit und Anarchismus geprägt, sondern auch von der Fähigkeit zur Selbstorganisation. Die Ukrainer, die an Freiheit gewöhnt seien, würden diese Werte mehr als Stabilität schätzen. Für die Russen, lesen wir, sei die Stabilität wichtiger als die Freiheit. Im aktuellen Krieg gehe es deshalb darum ob in Osteuropa ein politisches System aufgebaut werden könne, das keine "stabile Diktatur", sondern eine freie, offene Demokratie sei.
Presseschau
PresseschauShutterstock.com

Im Weiteren beruft sich der Autor auf russische Intellektuelle, die erkannt haben sollen, dass die Einheit der russischen Politik immer nur um den Zaren herum möglich gewesen sei. Russlands Gesellschaft sei immer vom Zaren geformt worden. Die Ukrainer hingegen, heißt es im Blatt, hätten ihre politischen Eliten immer in freien Wahlen selbst bestimmt. Die ukrainische Armee, fährt Myjak fort, sei deshalb in der Lage, Widerstand zu leisten, weil ihr dezentraler Geist mit den von der NATO übernommenen Ansätzen der militärischen Organisation übereinstimme. Ukrainische Befehlshaber, lesen wir in der Rzeczpospolita hätten dadurch mehr Handlungsfreiheit als die russischen Befehlsgeber.

Wie der Autor auch bemerkt, übe Russlands Machthaber seit Beginn des Krieges eine nahezu totalitäre Macht aus. Er sei von einem kleinen Kreis von Beratern - dem "kollektiven Putin" - umgeben, die ihr Handeln nach seinen vorhersehbaren Wünschen ausrichten. Putin selbst zeige unerschütterliches Vertrauen in seine eigene Fähigkeit, alle Ereignisse zu kontrollieren. Durch die wirtschaftliche Stabilisierung sei es ihm auch gelungen, die Massen zu entpolitisieren. Russen hätten ihr gesellschaftliches Engagement gegen einen relativen Wohlstand und "ein bisschen Stabilität" eingetauscht.

Was mehr, Russen seien, eigenen Politologen nach, davon überzeugt, dass es unmöglich sei, etwas durch einen demokratischen Prozess zu verändern. Und nicht nur das: Sie würden auch glauben, dass ein politischer Umschwung überhaupt nicht möglich sei. Der heutige Zar habe Russen somit zur militärischen Aggression getrieben. Die Öffentlichkeit werde überwacht und eingeschüchtert. Sie werde ständig in Angst versetzt, dass ihr von außen jemand drohe. Die Russen, so Myjak, hätten nicht an das Streben der Ukrainer nach Freiheit und Eigenständigkeit des Volkes glauben wollen. Als die Ukrainer aber begonnen haben, ihre Denkweise zu verwirklichen, habe dies den Hass der Russen nur noch verstärkt.

Putin habe nun im Alleingang eine Situation geschaffen, in der die Ukraine entweder frei, unabhängig und europäisch sein werde, schreibt das Blatt, oder sie werde überhaupt nicht mehr existieren. Damit habe Putin seine Mentalität des 19. Jahrhunderts offenbart. Es ähnele dem damaligen Kampf des britischen Imperiums gegen die Bestrebungen der englischsprachigen Iren, lesen wir am Schluss. In der Auseinandersetzung mit einem mächtigen Imperium habe sich das kleinere Irland seine Unabhängigkeit erkämpft, lautet Myjaks Fazit in der Rzeczpospolita. 

Dziennik: Schweden und Finnland in der NATO. Was wird Russland tun? 

Dziennik indes schreibt über die Pläne von Finnland und Schweden der NATO beizutreten. Für die NATO, lesen wir, habe die Bedeutung ihrer Mitgliedschaft in erster Linie eine strategische Dimension, die mit ihrer geographischen Lage zusammenhänge. Vor allem würde ihr Beitritt den baltischen Staaten helfen, sagt Wojciech Lorenz, Sicherheitsanalyst am Polnischen Institut für Internationale Angelegenheiten, gegenüber dem Blatt. Seit Hunderten von Jahren, so der Experte, ermögliche die schwedische Insel Gotland den Schutz der Seewege und die Verteidigung der Küste. Dieser Raum sei für die Durchführung von Marine- und Luftoperationen in der Ostsee von entscheidender Bedeutung. Von dort aus könnten Abwehrraketen gegen Flugzeuge oder Schiffe eingesetzt werden. 

Auf die Frage, was Finnland und Schweden von diesem Beitritt haben werden, überzeuge Kędzierski, dass sie Mitglieder eines Nuklearbündnisses werden. Gegenwärtig, heißt es, sei die Androhung einer nuklearen Eskalation nämlich ein fester Bestandteil der Politik Moskaus. Das Hauptszenario, lesen wir, das die Nachbarstaaten Russlands beunruhige sei, dass Russland ihr Territorium angreifen und dann durch die Androhung einer nuklearen Eskalation unmöglich machen könnte, es zurückzuerobern. Geht es nach dem Analysten, werde dieser Konflikt mit dem Westen noch jahrelang andauern. Finnland und Schweden wüssten, dass wenn sie nicht dem Bündnis beitreten, so werde die Gefahr eines konventionellen russischen Angriffs viel größer. Diese Bedrohung, bemerkt Kędzierski, habe unabhängig von der Politik dieser Länder zugenommen. 

Früher, heißt es im Blatt, habe Finnland Russland mit einem NATO-Beitritt nicht provozieren wollen. Nach Russlands Angriff auf die Ukraine habe sich die Wahrnehmung der Bedrohung diametral geändert. Die Unterstützung für die NATO-Mitgliedschaft in beiden Gesellschaften habe drastisch zu genommen. Nukleare Drohungen Russlands, lesen wir, zeigen deutlich, dass es jetzt unmöglich sei, am Rande zu bleiben. Beide Länder seien sich der Risiken bewusst, die mit einem NATO-Beitritt verbunden seien. Heute aber seien die Gefahren eines Verbleibs außerhalb des Bündnisses viel größer, lautet die Schlussfolgerung des Experten in Dziennik. 

WP: "Der Krieg hat das Potenzial, sich auf das Bündnis auszuweiten" 

Als der Krieg in der Ukraine ausbrach, beschlossen die Vereinigten Staaten ihr gesamtes politisches Kapital und ihre Autorität einzusetzen, um Putin die Stirn zu bieten, sagt Michael O'Hanlon, Experte für amerikanische Außenpolitik und Leiter der analytischen Abteilung einer der größten amerikanischen Denkfabriken Brookings Institution, in einem Interview mit Wirtualna Polska.

Aus amerikanischer Sicht sei das russische Verhalten gefährlicher als das von China. Und das obwohl Peking die zehnfache Bevölkerung Russlands und eine viel stärkere Wirtschaft habe. Russland verfüge nämlich über fünftausend Atomsprengköpfe.

Wenn Putin die Ukraine so einfach erobern und besetzen könnte, dann müsse man sich vorstellen, heißt es, was er als nächstes tun könnte. Wie seine Selbstsicherheit gestärkt werden würde. Er könnte beispielsweise ähnliche Maßnahmen gegen Estland ergreifen. Er könnte die Probleme der dort lebenden russischsprachigen Minderheit als Argument für einen Angriff nutzen. Deshalb, argumentiert der Experte, hätten die USA beschlossen, dass die Ukraine für Amerikas eigene Sicherheit und für die Sicherheit der gesamten NATO wichtig sei.

Einige Russen, heißt es weiter, würden Europa als ihren Herrschaftsbereich ansehen. Diese Haltung mache Russland gefährlich. Deshalb glaube O'Hanlon nicht, dass Amerika darüber nachdenken sollte, welche Bedrohung größer sei. Es müsse sowohl Russland als auch China vor Augen haben. Mit Hinblick auf den Einsatz des US-Militärs oder der NATO werde deutlich, fährt der Sicherheitsexperte fort, dass die USA nicht Europa verlassen oder irgendwo zurücklassen werden. Durch den Krieg in der Ukraine hätten sich die USA zweifellos stärker als zuvor in Europa engagiert und ihr Interesse an dessen Sicherheit verstärkt.

Dieser Krieg führe zu einer Destabilisierung im Herzen unseres wichtigsten Bündnisses, sagt O'Hanlon. Er bedrohe auch seine Außengrenzen und habe das Potenzial, sich auf das Bündnis selbst auszuweiten. Die Taliban, lesen wir abschließend in Dziennik, würden es nicht wagen, die USA oder Europa anzugreifen, aber Russland schon. Und anders als die Taliban verfüge es über Atomwaffen. 


Piotr Siemiński