Deutsche Redaktion

"Manfred Weber drückt sich vor Debatte mit Morawiecki"

09.08.2023 12:28
Während liberale Publizisten auf eine weitere, umfassende Aufarbeitung der Affäre rund um die Veröffentlichung sensibler Daten durch Ex-Gesundheitsminister Adam Niedzielski drängen, setzen die regierungsnahen Medien heute erneut auf antideutsche Ressentiments. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Nach regierungskritischen Aussagen des Chefs der Europischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, fordert Polens Premierminister Mateusz Morawiecki den deutschen Politiker zu einer Debatte auf.
Nach regierungskritischen Aussagen des Chefs der Europäischen Volkspartei (EVP), Manfred Weber, fordert Polens Premierminister Mateusz Morawiecki den deutschen Politiker zu einer Debatte auf. TomaszKudala / Shutterstock.com & Drop of Light / Shutterstock.com

Rzeczpospolita: Niedzielski hat das System gesprengt

Nach ein paar Tagen hin und her ist klar. Gesundheitsminister Adam Niedzielski muss, nach der Veröffentlichung von sensiblen Daten eines Arztes, seinen Posten räumen. Die Entscheidung hat Premierminister Mateusz Morawiecki kurz nach der Bekanntgabe des Wahltermins durch Staatspräsident Andrzej Duda verkündet.

Doch die Demission sollte nur der erste Schritt bei der Aufarbeitung der Affäre sein, nicht der letzte, betont in seinem Kommentar der Chefredakteur der konservativ-liberalen Rzeczpospolita, Bogusław Chrabota. Denn Niedzielski habe mit seinem Tweet einen gefährlichen Präzedenzfall geschaffen, der das Vertrauen in die Digitalisierung untergräbt. Genauer gesagt, sei es zu diesem Präzedenzfall gekommen, als der Politiker einen befreundeten Arzt angerufen und ihn gebeten habe, das Profil eines Patienten zu überprüfen, um herauszufinden, welche Behandlung dieser erhalte und welche Medikamente verschrieben worden seien. 

Für einen professionellen Arzt, so Chrabota, sei dies kein Problem. Die Software (KS SOMED), werde von jedem durchschnittlichen Arzt verwendet, der Medikamente verschreibe, um Rezepte auszustellen. Man müsse nur die PESEL-Nummer des Patienten kennen. Bei Ärzten, die einen Vertrag mit dem Nationalen Gesundheitsfonds NFZ oder der Sozialversicherungsanstalt ZUS unterzeichnet hätten, seien viel detailliertere Daten verfügbar. Daten, die ein unredlicher Arzt an jeden weitergeben könne. Das System werde aber den Patienten vermerken. Alles basiere auf Vertrauen und der Einhaltung der Geheimhaltungspflicht durch Ärzte. Niedzielski habe aber gezeigt, dass man diese grundlegenden Regeln brechen kann.

Aus politischer Perspektive habe der Minister deutlich gemacht, dass die von ihm vertretene Macht keine Geheimnisse respektiere und daher eine echte Bedrohung für die Zivilgesellschaft darstelle. Deshalb habe Niedzielski nichts vor dem Rücktritt retten können. Doch dieser reiche nicht aus. Es müsse nun genau untersucht werden, wer aus seinem Umfeld vertrauliche Daten weitergegeben habe und eine Mitschuld am Skandal trage. Dieser Fall dürfe nicht unter den Teppich gekehrt werden. Wenn die Verantwortlichen für diesen absurd anmutenden Skandal nicht angemessen bestraft werden, wird der Chef der Regierungspartei die Büchse der Pandora öffnen. Und die Überreste der "Digitalisierung" werden wir noch jahrelang bereinigen müssen, so Bogusław Chrabota in der Rzeczpospolita. 

Gazeta Polska Codziennie: Manfred Weber drückt sich vor Debatte

Der nationalkonservativen, regierungsnahen Gazeta Polska Codziennie scheint die Information über die Demission des Gesundheitsministers entgangen zu sein. Denn in der heutigen Ausgabe ist sie nirgendwo zu finden. Stattdessen konzentriert sich das Blatt in seinem heutigen Aufmacher auf den rhetorischen Schlagabtausch zwischen EVP-Chef Manfred Weber und Premierminister Mateusz Morawiecki. Konkret erfahren wir aus der Titelstory, dass Weber sich vor einer Debatte mit Morawiecki drücken wolle. 

Manfred Weber habe die Vision einer Debatte mit Premierminister Mateusz Morawiecki offenbar erschrocken, so die Zeitung. Der polnische Premierminister, lesen wir, habe Weber zu einem TV-Duell herausgefordert, nachdem der deutsche Politiker offen zugegeben habe, dass die Regierungspartei PiS für ihn ein Feind ist und mit allen Mitteln bekämpft werde. Morawiecki habe im Gegenzug an Weber appelliert, sich nicht hinter seinem Assistenten Donald Tusk zu verstecken. 

Der Vorsitzende der Europäischen Volkspartei, der Mutterpartei der Bürgerplattform und der Bauernpartei PSL, lesen wir weiter, habe erneut alle Illusionen über die Absichten Deutschlands gegenüber Polen zerstört, indem er die Regierung von Recht und Gerechtigkeit unerbittlich angegriffen und betont habe, dass jede Partei den Rechtsstaat akzeptieren müsse, der eine Barriere gegen die Vertreter der PiS in Polen darstelle.

Premier Morawiecki habe auf “diese skandalösen Äußerungen” reagiert und Weber aufgefordert, an einer Debatte am 2. Oktober teilzunehmen. Als Premierminister, der die in demokratischen Wahlen gewählte parlamentarische Mehrheit repräsentiere, werde er nicht zulassen, dass die Wahlen in Polen so verunglimpft werden. Weber habe sich bisher nicht zu der Angelegenheit geäußert, aber Mitarbeiter aus seinem Büro hätten Politico mitgeteilt, dass er an der Debatte nicht teilnehmen werde. Gazeta Polska Codziennie lässt Regierungspolitiker zu Wort kommen, laut denen Weber ein Feigling sei, der Angst vor der Konfrontation mit der Wahrheit habe. Weber werde vielleicht versuchen, seinen Vorgänger, Donald Tusk, zur Debatte zu entsenden. “Er glaubt, dass wir immer noch im Jahr 2015 leben, dass Polen besetzt wird, eine Kolonie ist und von Donald Tusk regiert wird. Diese Zeiten sind aber vorbei”, sagt der EU-Abgeordnete der PiS, Dominik Tarczyński. 

Weiter erinnert das Blatt daran, dass dies nicht das erste Mal ist, dass Weber sich in einem negativen Ton über Polen äußert und offen zugibt, dass Deutschland versucht, in die Wahlergebnisse in Polen einzugreifen. 

Abschließend appelliert das Blatt an die Leser, eine E-Mail an den deutschen Politiker zu senden, um den Druck auf Weber zu erhöhen, die Herausforderung anzunehmen. Die Zeitung druckt auch Webers offizielle E-Mail-Addressen ab und schlägt den Hashtag #WeberCoward für die Kampagne vor. 

Gazeta Wyborcza: Morawiecki will debattieren

Etwas anders setzt die Akzente zu diesem Thema der Publizist der linksliberalen Gazeta Wyborcza Bartosz Wieliński. Die Tatsache, dass Morawiecki mit dem Vorsitzenden der Europäischen Volkspartei debattieren wolle, sei eine gute Nachricht - in der heutigen Zeit gebe es nichts Erfreulicheres als einen zivilisierten und sachkundigen Dialog zwischen Politikern, die im wahren westeuropäischen Geist geprägt seien, ironisiert Wieliński. Weber, so der Autor weiter, habe in München studiert, Morawiecki in Hamburg und Frankfurt am Main. Polens Premierminister habe sogar einen intellektuellen Vorsprung gegenüber Weber, da er zusammen mit dem deutschen Juristen Prof. Frank Emmert ein Handbuch zum europäischen Recht verfasst habe. Allerdings könnte dieses Buch für Morawiecki in einer Debatte problematisch werden, da Weber es öffnen und ihn beispielsweise über die Rechtsstaatlichkeit befragen könnte, die Polen unter der PiS missachte. Wie werde Morawiecki wohl darauf reagieren? 

Die deutsche Sprache, so Wieliński weiter, biete dem Regierungschef viele rhetorische Möglichkeiten. Ach ja, er, so der Autor, sollte vielleicht erwähnen, dass Morawiecki fließend Deutsch spricht. Er habe schließlich ein Praktikum bei der Bundesbank, der deutschen Zentralbank, absolviert. Da Morawiecki fließend Deutsch spreche, sollte er vor der Debatte aber vielleicht auch die Unwahrheiten korrigieren, die in den ihm unterstellten, nationalkonservativen Medien verbreitet worden seien. Denn im Interview mit ZDF habe Weber nicht "PiS ist unser Feind", sondern "PiS ist unser Gegner" gesagt. Er habe also nicht das Wort "Feind", sondern "Gegner" benutzt. Für einen Propagandisten möge das ein kleiner Unterschied sein, aber für einen Kenner Deutschlands, wie Polens Premierminister, sei es sicherlich ein wesentlicher Punkt. Die Debatte sollte also auf Deutsch mit polnischen Untertiteln geführt werden, so Wieliński.

Generell, so der Autor weiter, sei diese Debatte eine großartige Gelegenheit für Morawiecki. Sein vorheriger Dialogpartner sei im Herbst 2016 der weißrussische Diktator Alexander Lukaschenko gewesen. Das Treffen sei nicht gut verlaufen; Lukaschenko habe den PiS-Politikern Versprechungen gemacht, an die sie geglaubt hätten, sei abschließend aber doch zu Putin gegangen. Danach habe Morawiecki versucht, mit EU-Kommissionschefin, Ursula von der Leyen, zu debattieren und habe weinerliche SMS-Nachrichten nach Brüssel geschickt, in denen er behauptet habe, der letzte Europäer in der PiS-Regierung zu sein. Von der Leyen habe ihn jedoch ignoriert. Aber das sei Vergangenheit. Er denke, nach der Debatte mit Weber werde Morawiecki genug Erfahrung gesammelt haben, um Donald Tusk gegenüberzutreten, vorausgesetzt, er habe den Mut dazu, so Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza.

Autor: Adam de Nisau