Deutsche Redaktion

„Heinz Reinefarth: Vom NS-Kriegsverbrecher zum Landtagsabgeordneten“

16.08.2022 11:57
In den ersten Tagen des Warschauer Aufstands wurden im Stadtteil Wola zahlreiche Gräueltaten verübt: Vom 5. bis zum 7. August 1944 ermordeten die deutschen Besatzer auf Anordnung von Adolf Hitler und Heinrich Himmler zwischen 15.000 und 60.000 Personen – Männer, Frauen und Kinder. Die Verbrechen wurden von Soldaten und Polizeieinheiten begangen, die dem SS-Gruppenführer Heinz Reinefarth unterstellt waren. Reinefarth arbeitete nach dem Krieg als Rechtsanwalt, wurde Bürgermeister auf Sylt und Abgeordneter des GB/BHE im Schleswig-Holsteinischen Landtag.
Rekonstruktion eines Erschieungsortes whrend des Warschauer Aufstands auf einem Foto aus dem Jahr 1962 (LASH Abt. 354 Nr. 11256)
Rekonstruktion eines Erschießungsortes während des Warschauer Aufstands auf einem Foto aus dem Jahr 1962 (LASH Abt. 354 Nr. 11256)Quelle: Landesarchiv

Die zwei Karrieren des Heinz Reinefarth zeigt die zweiteilige Ausstellung „Heinz Reinefarth: Vom NS-Kriegsverbrecher zum Landtagsabgeordneten“. Sie ist ab dem 18. August 2022 im Landesarchiv zu sehen. Die polnisch-deutsche Kooperation stellt Reinefarths Wirken vor und nach 1945 ins Zentrum.

In der Wanderausstellung „Wola 1944: Auslöschung. Bilder aus dem Ermittlungsverfahren gegen Heinz Reinefarth“ des polnischen Pilecki-Instituts sind über hundert Bilder zu sehen, die während des Ermittlungsverfahrens gegen Reinefarth von der Staatsanwaltschaft Flensburg in den Jahren 1961 bis 1967 gesammelt wurden. Sie erzählen vom dramatischen Schicksal der Bevölkerung von Wola und beleuchten zudem die Hintergründe der deutschen Nachkriegsjustiz, die sich in diesem Fall als äußerst ineffektiv erwiesen hat. Die Wanderausstellung basiert auf langjährigen Recherchen der Institutsleiterin Hanna Radziejowska und dem umfangreichen Archiv-Programm des Pilecki-Instituts. Die Ausstellung ist in Schleswig erstmals in deutscher Sprache zu sehen und wird anschließend an weiteren Stationen in der Bundesrepublik gezeigt. Ausschlaggebend war ein seit dem vergangenen Jahr bestehendes Kooperationsprojekt zwischen dem Landesarchiv Schleswig-Holstein und dem Pilecki-Institut in Warschau. In den Archivmagazinen des Prinzenpalais sind die mehr als 120 Aktenbände der Ermittlungsverfahren der Flensburger Staatsanwaltschaft gegen Reinefarth überliefert. Sie wurden im Rahmen der Kooperation digitalisiert und den polnischen Forscherinnen und Forschern zur Auswertung zur Verfügung gestellt. Bei diesen Recherchen wurden zahlreiche bisher unveröffentlichte Fotos und Dokumente entdeckt, die in der Ausstellung erstmals einer breiten Öffentlichkeit präsentiert werden.

Die vielfältige Wanderausstellung wird im Landesarchiv durch ein „regionales Fenster“ ergänzt. Denn die zweite Karriere Reinefarths ist in Schleswig-Holstein verortet: Nach dreijähriger Kriegsgefangenschaft und Internierung zog Reinefarth nach Sylt, wo die Familie seit 1927 ein Sommerhaus besaß, und lebte bis zu seinem Tod im Jahr 1979 in Westerland. Durch sein höfliches und bescheidenes Auftreten und seinen Einsatz für die zahlreichen Geflüchteten auf der Insel erlangte er schnell die Sympathien der Sylter. Im Jahr 1951 wurde er zum Bürgermeister von Westerland gewählt. Die von ihm maßgeblich mit zu verantwortenden Massenmorde in Warschau und seine ehemalige Stellung als hochrangiger SS-General schienen keine Rolle mehr zu spielen. Erst mit der Wahl zum Landtagsabgeordneten im Jahr 1958 gelangten die Kriegsverbrechen an die Öffentlichkeit. Fortan ermittelte die Staatsanwaltschaft Flensburg gegen Heinz Reinefarth, jedoch konnte ihm die direkte Verantwortlichkeit für die Massenmorde in Wola nicht nachgewiesen werden, sodass die Ermittlung im Jahr 1966 eingestellt und Reinefarth außer Verfolgung gesetzt wurde.

Nach dem Ende seiner politischen Karriere praktizierte Reinefarth bis zu seinem Tod als Rechtsanwalt in Westerland. Die Aufarbeitung dieser dunklen Episode in der schleswig-holsteinischen Geschichte begann erst viele Jahrzehnte später. Im Jahr 2014 wurde eine Gedenktafel am Westerländer Rathaus eingeweiht, die an den Warschauer Aufstand und Reinefarths Täterschaft erinnert. Die damalige Bürgermeisterin Petra Reiber reiste mit einer Delegation nach Warschau und entschuldigte sich im Namen der Sylter und aller Deutschen dafür, dass jemand wie Heinz Reinefarth in der Nachkriegszeit eine solche Karriere machen konnte.

Anhand von Originaldokumenten aus den Ermittlungsakten, Filmen, Fotografien und Zeitungsartikeln stellt die zweiteilige Ausstellung anhand des Falls Reinefarth dar, wie mühelos ein ehemals führender Nationalsozialist in den 1950er-Jahren in die Gesellschaft und die politische Landschaft integriert werden konnte. Zugleich zeigt sie die polnische Sichtweise auf den Zweiten Weltkrieg und seine Aufarbeitung. Die Stimmen von Zeitzeugen und Nachkommen der Opfer des Warschauer Aufstands spiegeln die emotionale Betroffenheit wider, die das Thema bis heute hervorruft.

In einem umfangreichen Begleitprogramm werden ebenfalls Aspekte aus Vergangenheit und Gegenwart zur Aufarbeitung des Nationalsozialismus aufgegriffen. Neben Vorträgen deutscher und polnischer Referentinnen und Referenten sowie einer Filmvorführung werden Ausstellungsführungen und Workshops für Schulklassen angeboten. Den Abschluss bildet eine Podiumsdiskussion zum Thema „Umgang mit der NS-Vergangenheit in Schleswig-Holstein“ am 29. März 2023.

Die Ausstellung „Heinz Reinefarth: Vom NS-Kriegsverbrecher zum Landtagsabgeordneten“ ist vom 18. August 2022 bis zum 31. März 2023 im Landesarchiv im Schleswiger Prinzenpalais zu sehen.

Der Eintritt ist frei. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag 8.30–17 Uhr. Alle Termine auch online unter www.schleswig-holstein.de/landesarchiv.

Die Ausstellung ist vom 18. August 2022 bis zum 31. März 2023 im Landesarchiv Schleswig-Holstein, Prinzenpalais, zu sehen.


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