Deutsche Redaktion

„Polens Demokratie in schlechtem Zustand"

30.06.2025 13:30
Die polnische Demokratie befinde sich in einem schlechten Zustand. Eines der wenigen positiven Zeichen der letzten Jahre sei nur die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung. Das „dritte Polen“ will sich geistig aus den Schützengräben des polnisch-polnischen Bruderkriegs befreien und setze auf Polens Weiterentwicklung als oberstes Ziel. Und: Was hat Polen während der EU-Ratspräsidentschaft wirklich erreicht? Mehr dazu in der Presseschau.
Die polnische Demokratie befinde sich in einem schlechten Zustand. Demokratie bedeute schlielich nicht nur allgemeine Wahlen, sondern auch verfassungsmig geregelte Institutionen und Verfahren. Seit einiger Zeit funktionieren nicht alle dieser Institutionen. Ihre Handlungen werden oft von anderen Staatsorganen nicht anerkannt, schreibt Aleksander
Die polnische Demokratie befinde sich in einem schlechten Zustand. Demokratie bedeute schließlich nicht nur allgemeine Wahlen, sondern auch verfassungsmäßig geregelte Institutionen und Verfahren. Seit einiger Zeit funktionieren nicht alle dieser Institutionen. Ihre Handlungen werden oft von anderen Staatsorganen nicht anerkannt, schreibt AleksanderGlow Images/ East News

Rzeczpospolita: Höchste Zeit, Verantwortung für den Staat zu übernehmen

Die polnische Demokratie befinde sich in einem schlechten Zustand. Demokratie bedeute schließlich nicht nur allgemeine Wahlen, sondern auch verfassungsmäßig geregelte Institutionen und Verfahren. Seit einiger Zeit funktionieren nicht alle dieser Institutionen. Ihre Handlungen werden oft von anderen Staatsorganen nicht anerkannt, schreibt Aleksander Hall in der Rzeczpospolita.

Auch die Qualität der politischen Parteien, das Niveau der politischen Debatte und die Einigkeit der Gesellschaft in Fragen von nationalem Interesse beeinflussen den Zustand der Demokratie. Und in all diesen Bereichen stehe Polen schlecht da, lesen wir. Man sollte sich jedoch nicht damit trösten, dass auch andere westliche Demokratien – darunter die Vereinigten Staaten – mit einer ähnlichen Krise kämpfen. Polens geopolitische Lage und der Krieg an seiner östlichen Grenze würden solche Trostargumente nicht erlauben, heißt es. Eines der wenigen positiven Zeichen der letzten Jahre sei nur die deutlich gestiegene Wahlbeteiligung.

Wie der Autor weiter schreibt, seien die meisten Polen anscheinend der Gefahren einer sogenannten Kompetenzeskalation" nicht ausreichend bewusst – also für Situationen, in denen die Regierenden demokratische Institutionen einschränken, ohne sie formell abzuschaffen. Dafür messen sie den Wahlergebnissen große Bedeutung bei, so Hall. Sie erkennen den Siegern das Recht zu, ihre Programme umzusetzen. Zumindest in der Anfangsphase einer neuen Regierung seien sie bereit, ihnen einen Vertrauensvorschuss zu geben.

Gerade deshalb sei es besonders gefährlich, das Vertrauen in Wahlergebnisse ohne stichhaltige inhaltliche Grundlage infrage zu stellen. Ein solches Verhalten gefährde jede Demokratie – umso mehr jedoch eine Demokratie in einer tief gespaltenen Gesellschaft, in der der politische Konflikt ausgeprägt und das Misstrauen zwischen den Lagern so stark sei, wie in Polen, lesen wir im Blatt.

Was man derzeit über den Ablauf der Präsidentschaftswahl wisse, liefere dem Autor nach keinerlei Grundlage für den Vorwurf einer systematischen Wahlfälschung. Auch die Forderung nach einer vollständigen Neuauszählung der Stimmen oder für eine Verschiebung des Termins der Vereidigung des gewählten Präsidenten sei grundlos. Eine systematische Wahlfälschung würde nämlich eine Verschwörung mit der Beteiligung von zehntausenden Menschen voraussetzen. Und das sei mehr als unwahrscheinlich.

Die große Zahl an Wahlprotesten indes sei kein Beweis für ihre inhaltliche Berechtigung. In Zeiten einer scharfen politischen Polarisierung und der dominierenden Rolle sozialer Netzwerke sei es für eine große Partei problemlos möglich, tausende Anhänger zu mobilisieren unbegründete Beschwerden einzureichen. Solche Motive hätten jedoch keine rechtliche, sondern lediglich emotional-politische Natur, heißt es.

Das Anheizen der Emotionen rund um das Ergebnis der Präsidentschaftswahl könnte der regierenden Bürgerkoalition (KO) nützen, indem es ihre Anhänger mobilisiere. Ebenso wahrscheinlich sei jedoch, dass es auch die rechtskonservative PiS stärke, die bereits ihre Unterstützer aufrufe, am 6. August nach Warschau zu kommen, um die Vereidigung des gewählten Präsidenten zu überwachen.

Geht es nach Aleksander Hall, sei in diesem Fall jedoch eines klar: Was dem dominierenden politischen Duopol womöglich diene, diene nicht dem polnischen Staat, lesen wir abschließend in der Rzeczpospolita.

Rzeczpospolita: Kein Sieg ohne Kampf

Die Polen wollen gewinnen – schreibt Marek A. Cichocki in einem Kommentar ebenfalls in der konservativ-liberalen Rzeczpospolita. Mit Ausnahme des Fußballs vielleicht, der für den Autor ein völlig rätselhafter Bereich der nationalen Psyche bleibe und an eine Art kollektiven Masochismus grenze. In vielen anderen Bereichen hingegen verbreite sich in Polen Cichocki nach zunehmend die Erwartung von Erfolg und Siegen. Dieser neue, erwünschte Ethos des Siegers stehe im Widerspruch zum bislang dominierenden historischen und kulturellen Muster des Polen als Opfer. Geht es nach dem Autor, hätten die Polen bis jetzt bestenfalls das bittere Gefühl eines moralischen Sieges gehabt.

Wie wir im Tagesblatt lesen, seien Polen in diesem traditionellen Muster über Generationen hinweg geprägt worden. Heute jedoch hätten viele das wachsende Bedürfnis, moralische Trostpflaster endlich durch greifbare Erfolge des Staates zu ersetzen. Diesen neuen Ethos des Sieges verkörpere eine zunehmend stärkere gesellschaftliche Gruppe, die Marek A. Cichocki als das „dritte Polen“ bezeichne. Sie wolle sich geistig aus den Schützengräben des polnisch-polnischen Bruderkriegs befreien und setze auf Polens Weiterentwicklung als oberstes Ziel.

Zu dieser Gruppe gehören laut Cichocki Befürworter des Zentralflughafens CPK, der Atomenergie, neuer Umschlaghäfen, der Ernährungssouveränität, eigener Technologieentwicklung, einer starken Armee und abgesicherten Grenzen. Ungeachtet politischer Unterschiede, heißt es, treibe sie der gemeinsame Ehrgeiz an, endlich Abhängigkeiten und Barrieren zu überwinden, um das volle Potenzial Polens freizusetzen.

Doch verstehen Polen wirklich die ganze Tragweite dieser Aufgabe, fragt der Autor. 
Wie wir lesen, hätten genau von diesen Abhängigkeiten und Begrenzungen andere derzeit profitiert – und sie würden es weiterhin tun wollen. Sie würden alles daransetzen, um Polens Eigenständigkeit zu verhindern. Aus Angst, solche Kräfte herauszufordern, aber auch aus einem tief verankerten Gefühl eigener Schwäche, hätten viele „aufgeklärte und vernünftige“ Stimmen, wie sie der Autor nennt, über Jahre hinweg davor gewarnt, „aus der Reihe zu tanzen“, sich zu sehr hervorzuwagen. Sie hätten gemahnt: Polen sollte seinen Platz kennen. So sei es besser, hieß es. Diese Strategie des Mauselochs lasse sich heute jedoch nicht mehr aufrechterhalten. Und das nicht nur wegen der wachsenden Ambitionen vieler Polen. Geht es nach Cichocki, sei das Potenzial Polens heute auch in Europa längst kein übersehenes oder unterschätztes Thema mehr.

Daraus wachse das starke Interesse externer Kräfte, Polen in Abhängigkeit und unter Kontrolle zu halten, heißt es weiter. Im Fall von Polens großem Gegenspieler im Osten bestehe sogar die fortwährende Absicht, es zu zerstören.

Diese Realität stelle den neuen Siegesethos in Polen vor sehr konkrete und harte Herausforderungen, lesen wir am Schluss im Blatt. Denn es gebe keinen Sieg ohne Kampf. Und jeder Sieg habe seinen Preis, den man kennen und bereit sein muss zu zahlen. Sind die Polen dazu bereit, fragt Marek A. Cichocki als Fazit in der Rzeczpospolita.

Forsal: Was hat Polen während der EU-Ratspräsidentschaft wirklich erreicht?

Die sechsmonatige polnische EU-Ratspräsidentschaft endet heute. Damit beginnt die Zeit der Bilanz und der Frage, was Warschau in diesem Zeitraum tatsächlich erreicht hat, schreibt das Wirtschaftsportal Forsal. Beobachter seien sich einig: Zu den wichtigsten Leistungen zähle die Vorbereitung einer Rekordzahl an Sanktionspaketen gegen Russland. Zudem sei es Polen gelungen, entscheidende Prozesse zur Stärkung der europäischen Verteidigungsunion voranzutreiben. Nicht alle Ziele seien jedoch erreicht worden.

Es wäre jedoch übertrieben zu behaupten, Polen habe die sicherheitspolitische Wende der EU ausgelöst, betont Tomasz Bielecki, Analyst bei Polityka Insight. Ähnlich verhält es sich mit der von Premierminister Donald Tusk angekündigten Deregulierung auf nationaler Ebene. Sie habe gut zum bereits zuvor von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen ausgerufenen Ziel, europäische Vorschriften zu vereinfachen, gepasst. Ein direkter Verdienst der polnischen Ratspräsidentschaft sei sie somit nicht gewesen.

Die sicherheitspolitische Wende in der EU, die mit Russlands Angriff auf die Ukraine begann, habe sich deutlich nach dem Wahlsieg von Donald Trump im November 2024 beschleunigt. In den EU-Staaten sei die Einigkeit gewachsen, dass Europa sich militärisch selbst stärken müsse – in Abstimmung mit, aber unabhängig von den USA. Dies habe zu einem umfangreichen Rüstungspaket geführt, das von der Europäischen Kommission vorgeschlagen und unter polnischer Präsidentschaft in weniger als zwei Monaten verabschiedet wurde – ein ungewöhnlich schnelles Verfahren auf EU-Ebene, lesen wir.

Als weiteren Erfolg werte Rikard Jozwiak, Journalist bei Radio Free Europe, die Rekordanzahl an ausgehandelten Sanktionspaketen sowie das durchgesetzte Importverbot für russische und weißrussische Düngemittel. Das Embargo habe damit die langjährige Blockade durch die Agrarlobby durchbrochen. Polen habe die Einigung der Mitgliedsstaaten über das 16. und 17. Sanktionspaket erreicht.

Die polnische Ratspräsidentschaft habe auch zur weiteren Verschärfung der EU-Position gegenüber dem Kreml beigetragen. Einen Durchbruch bei der EU-Beitrittsperspektive der Ukraine brachte sie jedoch nicht. Wie Jozwiak zusammenfasst, habe sich Polen während seiner zweiten Ratspräsidentschaft seit dem EU-Beitritt als erfahrener Akteur auf der europäischen Bühne präsentiert. Damit habe Warschau das in manchen westlichen diplomatischen Kreisen noch immer präsente Klischee einer Trennung zwischen „alten" und „neuen" Mitgliedstaaten widerlegt.

Tomasz Bielecki hebt abschließend hervor, dass sich diese Präsidentschaft deutlich von der ersten im Jahr 2011 unterschieden habe. Damals habe man teilweise übertrieben versucht zu demonstrieren, dass Polen „Europa regiert“. Diesmal habe man bewusst auf symbolträchtige Großveranstaltungen und politischen Pomp verzichtet und sich stattdessen auf konkrete Arbeit konzentriert.

Autor: Piotr Siemiński

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