Deutsche Redaktion

“Funken der Hoffnung” vs. “Marsch des Hasses”. Kampf um Deutungshoheit nach Oppositionsmarsch in Warschau

05.06.2023 10:47
Oppositionsführer Donald Tusk hat am Montagmorgen eine positive Bilanz der Kundgebung gezogen und den Sicherheitsdiensten sowie Teilnehmern für den ruhigen Verlauf des Marsches gedankt. Der Protest habe vielen die Hoffnung wiedergegeben, dass ein Wandel möglich sei. Regierungspolitiker sprechen indes von einem "Marsch des Hasses".
Uczestnicy antyrządowego marszu opozycji
Uczestnicy antyrządowego marszu opozycjiPAP/Leszek Szymański

Nach dem gestrigen Marsch der Oppositionsanhänger in Warschau kämpfen Opposition und Regierungslager heute in den Medien um die Deutungshoheit in Bezug auf das Ereignis. Oppositionsführer Donald Tusk hat sich am Montagmorgen bei einer Pressekonferenz bei den Sicherheitsdiensten und Teilnehmern bedankt. “Ich möchte allen danken, die gestern dabei waren. Einige sind mehrere hundert Kilometer gefahren. Ich möchte mich bei denen bedanken, die dadurch mehr Arbeit hatten, auch bei der Polizei. Alles war auf höchstem, europäischem Niveau. Ich wollte zeigen, dass es mehrere Hunderttausend von uns geben kann, die wütend sind über das, was passiert, und gleichzeitig sehr ruhig", sagte er. Zuvor hatte die Polizei eine positive Bilanz in Bezug auf die Sicherheit der Veranstaltung gezogen.

Geht es nach Tusk, werde "nach diesem Tag in der polnischen Politik in den nächsten Monaten sicherlich nichts mehr so sein wird wie vorher". “Daran habe ich keine Zweifel. Jeder hat gesehen, dass es eine große Chance gibt, die Situation in Polen zu ändern. Ich habe den Eindruck, dass die Partei Recht und Gerechtigkeit gestern verstanden hat, dass es keine Straffreiheit und keine fehlende Verantwortung geben kann und dass man gegen eine solche Masse von Menschen nicht mehr ungestraft Böses tun kann", fügte der PO-Vorsitzende hinzu. All diejenigen in Polen, die einen Wandel wollen, hätten echte Hoffnung gewonnen, so Tusk.

Geht es nach Bartosz Wieliński von der “Gazeta Wyborcza”, habe sich der Charakter der Proteste gegen die Regierung deutlich gewandelt. Heute gehe es nicht mehr nur um Rechtsstaatlichkeit. “Jetzt geht es um die Rechte der Frauen, jetzt geht es um die weltanschauliche Neutralität des Staates, jetzt geht es um die Freiheit der wissenschaftlichen Forschung (...). Der Staat dringt mit zunehmender Gewalt in die normalen Schulen ein, um die Kinder zu indoktrinieren. Das sind die greifbaren Probleme der jungen Generation", sagte er mit Blick auf die hohe Beteiligung junger Menschen an der Demonstration am Sonntag in Warschau.

Regierungspolitiker: “Marsch des Hasses”

In Kommentaren aus dem Regierungslager herrscht die Botschaft vor, es habe sich um einen “Marsch des Hasses” gehandelt, der kleiner ausgefallen ist, als es sich die Organisatoren erhofft hatten. Gestern hatte das Warschauer Rathaus die Zahl der Teilnehmer auf etwa eine halbe Million beziffert. Die Polizei spricht von 100-150 Tausend Teilnehmern. Der Marsch habe einen böswilligen Charakter gehabt, sagt im Gespräch mit dem 1. Programm des Polnischen Rundfunks der Europaabgeordnete der Regierungspartei PiS Ryszard Legutko. “"Peinliches Verhalten, es scheint sogar körperliche Gewalt im Spiel gewesen zu sein, nicht nur Beleidigungen und Beschimpfungen. Daraus kann nichts Gutes entstehen", so der Politiker.

Auch die Parlamentsabgeordnete der PiS, Joanna Borowiak, bezeichnete die Kundgebung als “Marsch des Hasses”. Es habe viele Vulgarismen und Drohgebärden gegeben. Kurz gesagt: “Hass auf den Standarten”, so Borowiak. Es habe auch Kommentare gegeben, laut denen “Turisten und die Einwohner Warschaus den Marsch gerettet haben”, so die Politikerin.

Viele Teilnehmer waren dem Aufruf von Bürgerplattform-Chef Donald Tusk zur Kundgebung nach der Unterzeichnung des kontroversen und von einem Teil der Verfassungsrechtler als “eindeutig verfassungswidrig” eingestuften Gesetzes zur Sonderkommission zur Untersuchung russischer Einflüsse gefolgt. Die Opposition befürchtet, dass die Regierungspartei den mit weitreichenden Kompetenzen ausgestatteten Ausschuss dazu nutzen will, politische Gegner im Vorfeld der Wahlen zu diffamieren. Staatspräsident Andrzej Duda hatte vier Tage nach der Unterzeichnung des Gesetzes zur Einrichtung der Sonderkommission einen Novellierungsvorschlag im Parlament eingereicht, der einige der von Verfassungsexperten und Opposition kritisierten Lösungen addressiert. 

IAR/tvn24/adn