Deutsche Redaktion

Soft Power in der Welt der Digitalisierung. Wie Russland sein Image mit Hilfe sozialer Medien verbessert

21.10.2025 13:52
Russland führt neben dem klassischen (kinetischen) Krieg derzeit auch einen Informationskrieg. Moskau versucht nicht mehr nur zu überzeugen, dass es Recht hat. Es versucht, dafür zu sorgen, dass wir uns mit seinem Narrativ wohl fühlen. Denn wenn das Bild warm ist, die Musik spielt und der Latte im Bild dampft – dann kann man sogar den Panzer im Hintergrund übersehen.
Media społecznościowe
Media społecznościoweImage by AzamKamolov from Pixabay

Wenn im klassischen Krieg um Menschenleben gekämpft wird (wobei man hinzufügen muss, dass dem Kreml das egal ist), wenn Logistik, territoriale Eroberungen und die Stärke der Armee zählen, geht es im Informationskrieg darum, die Herzen und Köpfe der Menschen zu erobern. Emotionen werden nicht durch trockene Tabellen mit Opferzahlen oder zerstörter Militärausrüstung geweckt, sondern durch eine positive Botschaft, schöne Aufnahmen und „heldenhafte" Geschichten. Deshalb schickt Russland nicht nur Menschen in Sturmangriffe (oft als „Fleischangriffe" bezeichnet, weil sie ein wahres Massaker sind), sondern investiert Millionen in Narrative über „Normalität", russische Gastfreundschaft, großartige Kultur und schöne Bilder von Orten fernab vom Artilleriedonner.

Liebe zu verkaufen

Eine dieser Investitionen sind „unabhängige" Influencer, die „sich nicht in die Politik einmischen". Doch wie sich später herausstellt, sind ihre Geschichten reine Fiktion. Im März 2025 enthüllte eine Untersuchung des Organized Crime and Corruption Reporting Project (OCCRP) und iStories, dass ein großer Teil solcher Blogger Geld vom Sender RT (ehemals Russia Today) erhält. Die Analyse liefert ein hervorragendes Beispiel: den YouTube-Kanal Russian Road. Laut Journalisten ist einer der RT-Produzenten, Artiom Worobiej, mit dem Kanal verbunden. Und die Videos auf dem Kanal erzählen Geschichten unter anderem von Amerikanern, Japanern und Briten, die „ihren Garten Eden" in Russland gefunden haben. In den Videos gibt es natürlich keine Informationen darüber, wer der Sponsor ist. Dafür gibt es viele Dinge, die die Aufmerksamkeit des Betrachters davon ablenken sollen, was in der Welt geschieht: Küche, Folklore, „sichere" Straßen und sogar Erzählungen über Russlad als Bastion traditioneller Werte. Aus PR-Sicht ist das ein Meisterstück. Wir sehen etwas Natürliches, eine authentische Faszination für Russland. Wenn wir jedoch beginnen, tiefer zu reflektieren, sehen wir ein Muster und verstehen, dass jemand versucht, uns zu manipulieren.

„Normalität" in Zeiten der Besatzung

Eine weitere, etwas neuere Investition sind die sogenannten Lifestyle-Blogger. Manchmal sehen wir sie auf Instagram, TikTok oder sogar in der Stadt. Sie spazieren mit einer Kamera herum und zeigen, was sie an einem bestimmten Tag tun, welche Pläne sie für heute haben, zum Beispiel – wo man am besten essen kann.

Man könnte geradezu sagen, dass Russland ein neues, anderes Level des Bloggens erreicht hat. Analysen des Digital Forensic Research Lab (DFRLab) zeigen, dass kremltreue Konten auf TikTok ihre Aufgabe hervorragend erfüllen: Mit einfachem Schnitt und guten Aufnahmen können sie etwa ein schönes Leben im völlig zerstörten und seit über drei Jahren besetzten Mariupol darstellen. Sie zeigen neu gebaute Wohnungen und erwähnen natürlich nicht die buchstäblich 100 Meter entfernten Massengräber. Ähnliche Tricks hat das Fernsehen verwendet, als es während des ersten und zweiten Tschetschenienkriegs “einfach zum Plaudern” zu den Tschetschenen reiste. Der Effekt? Vor allem Einfluss auf unser Unterbewusstsein. Der Empfänger dieser Inhalte denkt, wie man in Russland gerne sagt, dass „nicht alles so eindeutig ist".

(Un)bewusste Bürger

Das Sahnehäubchen (nicht das einzige) ist eine Kampagne, die eine neue Generation ins Visier nimmt. Statt miteinander zu reden, werden Emojis verschickt. Das ideale Werkzeug und gleichzeitig die Plattform zur Stärkung der eigenen „Soft Power" ist heute TikTok. Dort kann man auf natürliche, fast unmerkliche Weise das Unterbewusstsein des Menschen durch den Kulturbereich beeinflussen. Und das sogar mit Hilfe von Konten, die mit staatlichen Einrichtungen verbunden sind. Ein Bericht der Brookings Institution aus dem Jahr 2024 stellte fest, dass es auf TikTok zwar weniger solcher Konten als auf Telegram oder X gibt, aber dafür die Häufigkeit der Veröffentlichungen und – was noch wichtiger ist – der Interaktionen der Nutzer zunimmt. Kurzformate ermöglichen es, Soft Power (Kultur, Musik, Sport, Folklore) mit Politik zu vermischen und die Aufmerksamkeit derer zu gewinnen, die Kriegsschlagzeilen lieber meiden. Ein gutes Beispiel sind zwei „virale" Lieder russischer Künstlerinnen: Sigmaboy (Betsy und Maria Jankowskaja) sowie Matushka (Tatjana Kurtkowa). Die Künstlerinnen selbst leugnen jegliche Verbindung zum Kreml, aber der sogenannte patriotische Inhalt und der blitzschnelle Medienerfolg sprechen für sich. Dies ist Teil des Krieges um Scroll-Gewohnheiten. Die Plattformen versuchen zu reagieren: Sie begrenzen die Reichweite staatlicher Medien und entfernen „getarnte" Operationen – aber das ist ein Katz-und-Maus-Spiel. Die Inhalte kehren ständig über andere Kanäle und mit neuen Gesichtern zurück. Vor Kurzem ist dafür auch KI engagiert worden.

Warum funktioniert das und wie kann man dem entgegenwirken?

Erstens: Ästhetik vor Information. Ein kurzes Video wirkt wie Parfüm – zuerst riechen wir einen „schönen Duft", erst dann lesen wir das Zutatenverzeichnis. Zweitens: Authentizität aus zweiter Hand. Wenn etwas ein „gewöhnlicher YouTuber" sagt, ist es leichter zu glauben als die Pressekonferenz eines Pressesprechers. Drittens: emotionale Weltkarte. Anstelle von Geopolitik bekommen wir ein Bild von einem „Land freundlicher Menschen mit großartiger Kultur und köstlicher Küche", und eine besetzte Stadt wird als „Ort zum Leben" wahrgenommen. Das macht die Fakten nicht ungültig, aber es verwischt sie effektiv.

Es reicht nicht aus, Lügen zu entlarven – man muss in der Form konkurrieren. Der Empfänger wird TikTok nicht für ein PDF aufgeben. Wir brauchen also schnelle, attraktive Formate: Gegen-Clips, die keine „Gegen-Werbung" sind, sondern eine bessere und wahre Geschichte über die Realität – mit Menschen, Details, Licht und Rhythmus. Die zweite Lektion: Transparenz der Inhaltsfinanzierung. Die Plattformen haben begonnen, die Reichweite staatlicher Medien zu begrenzen und versteckte Einflusskampagnen zu entfernen, aber dieser Prozess erfordert Druck von Regulierungsbehörden und Wachsamkeit der Redaktionen. Drittens: Medienbildung – Immunisierung gegen Emotionsmarketing, ohne zu predigen, sondern mit praktischen Werkzeugen: „wie man gesponserte Begeisterung erkennt".

Autor: Borys Sudin, Polskie Radio dla Zagranicy


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