„Er war kein vergessener Schriftsteller, sondern ein verbotener Schriftsteller – das ist ein wesentlicher Unterschied“, sagte der Literaturwissenschaftler Prof. Włodzimierz Bolecki 2014 im Polnischen Rundfunk. Goetel sei einer von drei polnischen Schriftstellern gewesen, die 1943 die von den Deutschen organisierten Exhumationen der Massengräber von Katyn gesehen hätten. „Und dafür ist er nach 1945 aus der polnischen Literatur entfernt worden“, betonte Bolecki.
Goetel, 1890 in Sucha (heute Sucha Beskidzka) geboren, gehörte in der Zwischenkriegszeit zu den meistgelesenen polnischen Autoren. Seine Erzählung „Ludzkość“ („Die Menschheit“) war Schullektüre, seine Romane wurden ins Ausland übersetzt. Der Literaturhistoriker Krzysztof Polechoński erinnert daran, dass das renommierte Ossolineum in Lemberg bei Goetel Texte für Schulbücher bestellte und dass er zugleich als Journalist wirkte – unter anderem als Redakteur der Sportzeitung „Przegląd Sportowy“. In Artikeln und Feuilletons habe er als einer der Ersten neue sprachliche Wendungen und Fachbegriffe für den damals boomenden Fußballsport geprägt.
Auch sein Sohn Roman beschrieb ihn als Autor von großer Präzision. „Mein Vater sagte immer, dass Schriftstellerei nicht darin besteht, schön zu schreiben, sondern treffend. Und daran hielt er sich“, sagte er in einer Radio-Reportage. Goetels Beschreibungen seien „immer kurz, sachlich und ließen wenig Raum für Interpretation“.
Goetel hatte ein bewegtes Leben: Er studierte Architektur in Wien, war Skifahrer und Bergsteiger, wurde im Ersten Weltkrieg als österreichischer Staatsbürger nach Turkestan deportiert, engagierte sich in revolutionären Strukturen in Taschkent, floh über Persien, Indien und England und kehrte 1921 nach Polen zurück. Rasch wurde er zu einem der wichtigsten Prosaschriftsteller der Zweiten Republik. Sein Reisebericht „Przez płonący Wschód“ („Durch den brennenden Osten“) und der Roman „Z dnia na dzień“ („Von Tag zu Tag“) wurden international beachtet; die amerikanische Ausgabe wurde von John Galsworthy eingeleitet, Gilbert Keith Chesterton nannte ihn „den ersten Schriftsteller, der rational beschrieben hat, was es bedeutet, Schriftsteller zu sein“.
Wichtiger Zeuge der Katyn-Morde
Während der deutschen Besatzung blieb Goetel in Polen, arbeitete im Bürgerkomitee zur Hilfe für die Bevölkerung Warschaus mit und verfasste Texte für den Stadtpräsidenten Stefan Starzyński. 1943 nahm er auf Weisung des polnischen Untergrunds an der Delegation nach Katyn teil, die sich vor Ort ein Bild von den Massengräbern polnischer Offiziere machte. In seinem Bericht ließ er nach späteren Darstellungen keinen Zweifel daran, dass die sowjetische Seite für das Verbrechen verantwortlich war.
Der Historiker Krzysztof Niewiadomski schreibt, Goetel habe seinen Bericht als „öffentliches Dokument“ verstanden und ihn dem Polnischen Roten Kreuz sowie Untergrundstrukturen übergeben. Er habe das Gesehene nur in solchen halb offiziellen oder geheimen Berichten und in mündlichen Berichten im Widerstand geschildert, nicht in der von den Besatzern kontrollierten Presse.
Damit wurde er für die Sowjetunion und später für die Kommunisten in Polen zum gefährlichen Zeugen. Schon 1943 attackierte ihn die Schriftstellerin Wanda Wasilewska in der in Moskau erscheinenden „Wolna Polska“; es folgte eine lange Serie von Artikeln, die ihn als Kollaborateur diffamierten. Nach Kriegsende suchten ihn die kommunistischen Sicherheitsdienste; Goetel versteckte sich zunächst in einem Krakauer Karmelitenkloster, floh später mit falschen Papieren aus Polen und gelangte zum 2. Polnischen Korps in Italien. Schließlich ließ er sich 1946 in London nieder.
Dort gehörte er, wie Polechoński schreibt, zu den „bekanntesten Persönlichkeiten des unabhängigen Exils“, lebte aber „in permanentem Mangel und Bedingungen, die in keinem Verhältnis zu seinem Ansehen als international anerkannter Autor standen“. 1952 sagte er vor einem Ausschuss des US-Senats zur Katyn-Frage aus. 1959 veröffentlichte er den Roman „Nie warto być małym“ („Es lohnt sich nicht, klein zu sein“), dessen Titel oft als sein persönliches Lebensmotto verstanden wird.
In der Volksrepublik Polen hingegen wurden seine Werke verboten, aus Bibliotheken entfernt und teilweise vernichtet. „Die Teilnahme an der Delegation nach Katyn und sein Zeugnis wurden zur Ursache einer jahrzehntelangen Ächtung. Goetel sollte nicht existieren – weder als Schriftsteller noch als Aktivist“, schreibt Niewiadomski.
Mission seines Lebens
Für seine Haltung bezahlte Goetel auch mit dem Verlust seiner Familie. Trotz wiederholter Versuche gelang es ihm nie, Frau und Kinder nach London zu holen. „Entweder bekamen wir keinen Pass oder wir bekamen kein Visum“, erinnerte sich seine Tochter Elżbieta später. „So haben wir ihn nie wiedergesehen.“ Ein einziges Telefonat aus einem Postamt in Sopot sei die einzige direkte Verbindung geblieben; sie erinnere sich nur an die tiefe, barytonartige Stimme ihres Vaters.
Nach Angaben des Literaturwissenschaftlers Maciej Urbanowski gab es während der politischen „Tauwetter“-Phase 1956 in Polen kurzzeitig Überlegungen zu einer möglichen Rückkehr Goetels. „Als Bedingung stellte man, dass er seine Aussagen widerruft und die Schuld an Katyn den Deutschen zuschreibt“, sagte Urbanowski. Goetel habe das abgelehnt, weil er dies als „Mission seines Lebens“ verstanden habe.
Ferdynand Goetel starb am 24. November 1960 im Alter von 70 Jahren in London. Der Kritiker Tymon Terlecki schrieb damals im „Dziennik Polski i Dziennik Żołnierza“, Goetel sei „unbesiegt und unbezwungen“ gestorben.
Erst am 19. Juni 1989 erklärte der polnische PEN-Club offiziell die „Haltlosigkeit der Vorwürfe gegen die Person und das Wirken Ferdynand Goetels“ und forderte, seine Person und sein Werk „der Gesellschaft zurückzugeben“. Dennoch, so Niewiadomski, sei Goetel bis heute nur in einem relativ engen Kreis von Spezialisten bekannt. „Und das ist schade, denn die Popularisierung seines Werkes ist nicht nur eine moralische Wiedergutmachung für die Jahre der Verleumdung. Sie ist einfach die Förderung guter Literatur“, resümierte er.
Am 13. Dezember 2003 wurden Goetels sterbliche Überreste nach Polen überführt und auf dem Ehrenfriedhof Pęksowy Brzyzek in Zakopane beigesetzt.
PAP/IAR/jc