Deutsche Redaktion

Kommentar: Georgien - Wasser und Feuer

06.12.2025 06:00
Am Montag, dem 1. Dezember, veröffentlichte die BBC auf ihrem YouTube-Kanal den Film „When Water Burns: The Fight for Georgia“ (Wenn Wasser brennt. Der Kampf um Georgien). Der Reportage zufolge war das Wasser aus den Wasserwerfern, die von der georgischen Polizei zur Auflösung der Proteste Ende 2024 eingesetzt wurden, mit Kamit (Brombenzylcyanid) versetzt – einem chemischen Kampfstoff, der von den Armeen Frankreichs und der USA während des Ersten Weltkriegs verwendet wurde.
Die nchsten Parlamentswahlen finden 2028 statt.
Die nächsten Parlamentswahlen finden 2028 statt. IMAGO/Kirill Zykov/Imago Stock and People/East News

Die Recherchen decken sich mit den Berichten der Demonstrierenden, die von tagelang anhaltendem Brennen der Haut, des Rachens und der Augen, Atemnot, Erbrechen und Husten sprachen. Manche klagten über mehrere Monate andauernde Nasenbluten. Solche Symptome konnte reines Wasser nicht verursachen, selbst dann nicht, wenn ihm Pfefferspray beigemischt worden wäre. Als Reaktion auf den Film erklärte die UN-Sonderberichterstatterin für Folter, Alice Edwards, „Bevölkerungen dürfen niemals zu Experimenten herangezogen werden“ und dass der Fall unter dem Gesichtspunkt von Folter und Grausamkeit untersucht werden müsse.

Die Demonstrationen, bei denen Kamit eingesetzt worden sein soll, fanden nach den Parlamentswahlen des vergangenen Jahres statt, die von der Opposition und der damaligen Präsidentin Salome Surabischwili als gefälscht bezeichnet wurden. Die Proteste nahmen zu und erreichten ihren Höhepunkt, nachdem Ministerpräsident Irakli Kobachidse am 28. November erklärt hatte, Georgien werde den EU-Beitrittsprozess für einige Jahre einfrieren. Mit unterschiedlicher Intensität dauern sie bis heute an, auch wenn sie nicht mehr auf den Titelseiten der Zeitungen oder in den Schlagzeilen der Fernsehsender auftauchen.

Die Hauptforderung ist unverändert: Wiederholung der Wahlen unter internationaler Aufsicht. Die Demonstrierenden verlangen außerdem die Freilassung der im Zusammenhang mit den Protesten festgenommenen Personen. Praktisch jede Nacht versammeln sich mindestens einige Hundert Menschen (in Ausnahmefällen sogar einige Zehntausend). Das erfordert große Entschlossenheit. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Straßenproteste drohen hohe Geldstrafen wegen Sachbeschädigung öffentlichen Eigentums und Störung des Straßenverkehrs – sogenannte „unmittelbare Zwangsmittel“ werden jedoch nur noch sporadisch eingesetzt.

Die BBC-Dokumentation hat an die Menschen erinnert, für die die europäische Zukunft Georgiens jedes Opfer wert ist. Obwohl das Ziel eines Beitritts zur Europäischen Union und zur NATO in der georgischen Verfassung verankert ist und das Land im Dezember 2023 offizieller Beitrittskandidat zur EU wurde, rückt die Perspektive einer Integration mit diesen Strukturen rasch in die Ferne. Dazu tragen unter anderem Gesetze bei, die die staatliche Kontrolle über Institutionen der Zivilgesellschaft und die Medien ausweiten und mit dem europäischen Recht unvereinbar sind. Doch die seit 2012 regierende Partei Georgischer Traum behauptet, dass der außenpolitische Kurs Tbilisis unverändert bleibe. So erklärte etwa kürzlich der von der Opposition nicht anerkannte Präsident des Landes, Micheil Kawelaschwili, Georgien werde 2030 bereit sein, der EU beizutreten.

All dies verstärkt die Polarisierung der georgischen Gesellschaft noch weiter. Neben klar pro- und antieuropäischen Lagern gibt es diejenigen, die in die EU wollen, aber zu ihren eigenen Bedingungen. So sprechen sich in Umfragen 70–80 % der Befragten für eine Mitgliedschaft aus, doch unter ihnen sind Menschen wie ein Bekannter, mit dem ich Anfang November in Georgien sprach. Er versicherte mir – und wiederholte damit die Argumente der Regierungspropaganda –, die Union wolle sein Land in einen Krieg hineinziehen, und der schlimmste Feind Georgiens sei der EU-Botschafter Paweł Herczyński.

Die georgischen Behörden bestreiten kategorisch den Einsatz von Kamit – und kündigen eine Klage gegen die BBC an. Zugleich geben sie zu, dass dem Wasser in den polizeilichen Wasserwerfern ein chemischer Zusatzstoff beigemischt wurde. Der Staatssicherheitsdienst hat in dieser Sache ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, am 5. Dezember wurde der ehemalige Innenminister Wachtang Gomelauri vernommen. Eine gründliche Aufklärung der im Film erhobenen Vorwürfe liegt in erster Linie im Interesse Georgiens selbst.


Autor: Wojciech Osiński


Wojciech Osiński ist leitender Spezialist im Team für die Türkei, den Kaukasus und Zentralasien am Zentrum für Osteuropastudien (OSW). Autor von Reportagebüchern über den Kaukasus und Zentralasien.

 

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