Deutsche Redaktion

Ukrainische Armee triumphiert bei Kupjansk – doch das ändert wenig

13.12.2025 15:52
Kupjansk scheint weiterhin in den Händen der Ukraine zu sein. Doch insgesamt befindet sich die Ukraine weiterhin in einer tiefen Defensive. Ein strategischer Durchbruch ist nicht in Sicht, schreibt Leon Pińczak von Polityka Insight in einem Kommentar für den Auslandsdienst des Polnischen Rundfunks. 
Ukraińscy żołnierze w ogniu walki (źródło: General Staff of the Armed Forces of Ukraine)
Ukraińscy żołnierze w ogniu walki (źródło: General Staff of the Armed Forces of Ukraine)General Staff of the Armed Forces of Ukraine

Am 12. Dezember nahm der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj ein Video am Ortseingang von Kupjansk in der Oblast Charkiw auf, wo die Verteidiger Fortschritte erzielt haben: Sie befreiten einen erheblichen Teil der Stadt und kesselten offenbar russische Einheiten ein. Noch vor zwei Wochen sollte die Stadt von russischen Truppen „befreit" werden – was Wladimir Putin zweimal öffentlich verkündete. Angesichts der erneut ins Stocken geratenen Friedensgespräche werden beide Seiten während der Winterkampagne eine maximale Stärkung ihrer Positionen anstreben.



Eine Stadt mit besonders schwerem Schicksal

Kupjansk hat während des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine ein besonders schweres Schicksal erlitten. Die Stadt wurde bereits in den ersten Tagen der Invasion besetzt und lebte sieben Monate lang unter russischem Besatzungsterror – mit Folterkammern in Kellern. Im September 2022, während der ersten ukrainischen Offensive, kehrte Kupjansk unter die Kontrolle Kiews zurück. Von da an bis zur Intensivierung der russischen Offensive im Raum Charkiw blieb die Stadt relativ sicher – soweit dies unter den Bedingungen dieses Krieges möglich ist. Die Lage verschlechterte sich dramatisch an der Wende von Sommer zu Herbst 2025, als russische Truppen die ukrainische Verteidigung durchbrachen und ab September massiv in die Stadt eindrangen.

Am 20. November meldete der Chef des russischen Generalstabs, Waleri Gerassimow, Wladimir Putin, dass die russische Armee die Kontrolle über Kupjansk übernommen habe. Am 2. Dezember erklärte der russische Präsident dann, in der Stadt sei „die ukrainische Garnison eingekesselt" und die Truppen hätten „mit ihrer Vernichtung begonnen". Er lud ausländische Journalisten ein, nach Kupjansk zu fahren, um sich persönlich davon zu überzeugen. „Kupjansk besteht aus zwei Teilen – der größere, zentrale Teil, also das Stadtzentrum, liegt am rechten Flussufer. Der kleinere Teil am linken Ufer. Die russischen Truppen kontrollieren sowohl den gesamten rechten als auch den gesamten linken Uferbereich", erklärte Putin damals.

Lage vor Ort spricht für die Ukraine

Unabhängig davon, welchen Bericht der russische Präsident erhalten hat – die Lage vor Ort scheint für die Ukraine günstig zu sein, was unter anderem das Portal DeepState bestätigt, auch wenn es das Stadtzentrum nicht als vollständig befreit ausweist. Ungeachtet der weiteren Entwicklung hat heute jeder ukrainische Erfolg auf dem Schlachtfeld enorme Bedeutung: Einerseits stärkt er die Moral der Gesellschaft, andererseits zeigt er, dass die Armee – trotz massiver Personalengpässe und einer schwierigen Lage entlang der gesamten Frontlinie – weiterhin zu wirksamen taktischen Offensivoperationen fähig ist.

Dies ändert jedoch nichts an der allgemeinen Frontdynamik. Die Ukraine befindet sich weiterhin in einer tiefen Defensive, und die Lage im Großraum Pokrowsk – insbesondere in Myrnohrad, das nach ukrainischen Analysten operativ eingekesselt ist – bleibt sehr schwierig. Die Zusicherungen der ukrainischen Armee über eine „kontrollierte Lage" stehen im Widerspruch zu Materialien russischer Propagandisten wie Wladimir Solowjow, der am Freitag eine Reportage aus dem Zentrum von Pokrowsk aufnahm.

Nach dessen endgültiger Einnahme wird der Schwerpunkt des russischen Vorstoßes mit ziemlicher Sicherheit auf Kostjantyniwka gerichtet – das „Tor" zu den letzten großen, von Kiew kontrollierten Städten des Donbass: Slowjansk und Kramatorsk. Innerhalb des nächsten Monats ist wahrscheinlich auch der Beginn von Kämpfen um Huljaipole in der Oblast Saporischschja. Ein taktischer Erfolg in einem Sektor ändert somit nichts an der allgemeinen, stellenweise bereits kritischen Lage in den übrigen Frontabschnitten.

Krieg als Fortsetzung der Politik

„Der Krieg ist nichts anderes als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln" – schrieb der preußische General Carl von Clausewitz im 19. Jahrhundert. Die russische Invasion fügt sich vollständig in diese Logik ein: Ihr Ziel ist es, den Gegner zur Akzeptanz des Willens des Aggressors zu zwingen. Beide Seiten haben – schon bevor Donald Trump an die Macht kam – ihre Kriegsführung der Verwirklichung politischer Ziele untergeordnet. Ein Beispiel war etwa die ukrainische Gegenoffensive im Sommer 2023, deren Ankündigungen monatelang den öffentlichen Diskurs dominierten – auf Kosten der operativen Geheimhaltung.

Dieselbe Logik gilt heute. Sowohl Russland als auch die Ukraine bemühen sich, ihre Verhandlungspositionen in den Gesprächen zu stärken, die nun bereits zum vierten Mal in eine Endphase eintreten. Im Spiel mit den Stimmungen des US-Präsidenten wollen sich beide Seiten aus einer Position der Stärke präsentieren. Doch die Befreiung, Einkesselung oder Vernichtung russischer Einheiten an einem von Hunderten Frontpunkten bringt – so wichtig sie für unsere gemeinsame Sicherheit auch ist – keinen strategischen Durchbruch näher.

Leon Pińczak, Analyst für Sicherheit und Ostfragen bei Polityka Insight

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