Trotz des Wahlsiegs 2023 war die rechtspopulistische Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) nicht in der Lage, eine stabile Regierung zu bilden. Die Macht übernahm die Bürgerkoalition (KO). Die nächsten Parlamentswahlen sind für 2027 angesetzt.
Es wäre schwer, die Unterstützung der Trump-Administration für einen wenig bekannten Kandidaten mit zahlreichen Kontroversen zu rechtfertigen (unter anderem die Übernahme einer Wohnung von einem älteren Mann unter fragwürdigen Umständen, umstrittene Entscheidungen während seiner Leitung des Museums des Zweiten Weltkriegs und des Instituts für Nationales Gedenken, Teilnahme an Hooligan-Schlägereien), wenn die US-Republikaner in Nawrocki nicht eine Gegenfigur zur proeuropäischen Regierung Donald Tusks sowie ein strategisches Interesse an starken transatlantischen Beziehungen sähen.
Wie lange bleibt PiS der „Kugelschreiber“ Nawrockis?
Obwohl Nawrockis Vorgänger Andrzej Duda zwei volle Amtszeiten absolvierte, beschränkt sich seine Präsenz im kollektiven Gedächtnis vieler Polen auf mehr oder weniger bedeutende Episoden. Eine Ausnahme bildet seine aktive Rolle in den Beziehungen zu Kiew nach dem 24. Februar 2022, dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine.
Was die Innenpolitik betrifft, so unterschrieb Duda nahezu automatisiert Gesetze im Sinne des PiS-Vorsitzenden – weshalb seine Gegner ihm den Spitznamen „Kugelschreiber“ verliehen – oder blockierte solche, die von Jarosław Kaczyński nicht abgesegnet waren.
Nach der Machtübernahme durch die Koalition am 15. Oktober stellte sich Duda zudem gegen mehrere Botschafterkandidaten und strapazierte die Geduld des Außenministers Radosław Sikorski.
Vieles deutet jedoch darauf hin, dass Nawrocki nicht bereit ist, sich ähnlich instrumentalisieren zu lassen – nicht nur wegen der geänderten geopolitischen Lage, sondern auch, weil der Einsatz für den neuen PiS-Nominierten deutlich höher zu sein scheint.
Anstelle des neuen „Kugelschreibers“ würde Nawrocki wohl lieber mit Begriffen aus dem Sport assoziiert werden – wie Rocky Balboa, mit dem er sich im Wahlkampf gern verglich, wobei er ein Wortspiel mit seinem Namen und dem Filmhelden nutzte.
Die US-Administration hätte sicher nichts dagegen, wenn sich Polen stärker von der EU distanzierte – noch lieber sähe sie wohl ein Präsidialsystem nach amerikanischem Vorbild.
Das Problem ist jedoch, dass die polnische Verfassung klarstellt: Der Präsident wirkt in der Außenpolitik mit, aber die Richtung wird vom Premierminister und vom Außenminister bestimmt. Nawrocki wird sich also dem Kurs von Donald Tusk und Radosław Sikorski fügen müssen. Die Frage ist nur: Wird er das akzeptieren?
Die Amerikaner wissen genau, dass Tusk auf einen proeuropäischen Kurs in der Außenpolitik setzt. Für die USA könnte Nawrocki daher ein sicherer Puffer gegenüber der EU sein. In der Praxis aber könnten nicht die internationalen Beziehungen zur größten Herausforderung für den neuen Präsidenten werden.
Premierminister Donald Tusk (l) und Präsident Karol Nawrocki
Die Rechte radikalisiert sich
Für Nawrocki könnte es schwieriger sein, sich auf der Rechten durchzusetzen – im Wettbewerb mit der rechtsradikalen Konfederacja, der zunehmend radikalisierten PiS sowie populistischen Milieus, die immer offener mit Extremismus flirten – als gegen die Regierung Tusks anzukämpfen. Trotz innerer Spannungen (etwa in der Abtreibungsfrage) regiert die Bürgerkoalition weiterhin und nutzt ihren institutionellen Vorteil. Das gilt auch angesichts wachsender Enttäuschung, insbesondere unter Frauen, die sich durch nicht eingehaltene Wahlversprechen betrogen fühlen.
Jarosław Kaczyński erklärte kürzlich, die Welt radikalisiere sich – was seiner Ansicht nach „alle Studien“ belegten. Der Politiker scheint diesen Trend selbst zu nutzen, indem er antimikrative und rassistische Stimmungen schürt. Die Folge? Immer häufiger kommt es zu Übergriffen mit nationalistischem Hintergrund. Nicht durch Migranten – wie PiS es darzustellen versucht – sondern durch junge Polen, die sich rassistischer Taten schuldig machen.
Politisches Kapital aus rechtsextremen Tendenzen versuchen seit Langem auch radikale Parteien in Deutschland zu schlagen – allen voran die AfD, die aus Bewegungen wie den Reichsbürgern hervorgegangen ist, unterstützt von Millionären und Gruppen unterschiedlichster Couleur – von Impfgegnern, Anhängern alternativer Medizin bis hin zu Zeugen Jehovas.
Die Popularität des verschwörungsideologischen Reichsbürger-Milieus führte sogar zu einem versuchten Staatsstreich. Zwar konnte dieser von den deutschen Behörden vereitelt und zahlreiche Anführer verhaftet werden, doch gelang es nicht, den Zulauf zu anderen Radikalen zu bremsen. Die legal operierende AfD, die ideologisch stark von den Reichsbürgern beeinflusst ist, gewinnt heute sogar in traditionell gemäßigten Regionen an Boden. Selbst Elon Musk ließ es sich nicht nehmen, politisches Kapital aus der Aufmerksamkeit rund um diese Gruppierungen zu schlagen – etwa durch Gesten, die an Nazi-Grüße erinnerten, bei einem Event der Partei.
Rechtspopulisten surfen auf der Welle von Fremdenfeindlichkeit
Trotz der öffentlich zur Schau gestellten Abneigung der polnischen Rechten gegenüber Deutschland verbeugen sich extrem rechte Konfederacja-Politiker regelmäßig vor der deutschen AfD. Antisemitische Töne finden sich zudem immer häufiger in Aussagen zahlreicher PiS-Politiker – auch von Jarosław Kaczyński selbst.
Im Kampf um die Unterstützung innerhalb des rechten Lagers muss Nawrocki auch die Interessen jener berücksichtigen, die – zumindest finanziell – zu seinem Wahlsieg beigetragen haben. Er wird sich zudem mit einer Reihe von lange vorbereiteten, aber bislang aufgeschobenen kontroversen Gesetzen auseinandersetzen müssen – etwa dem US-Gesetz 447 über jüdische Restitutionsforderungen –, die möglicherweise auf einen radikaleren Nachfolger von Andrzej Duda warteten.
Karol Nawrocki ist neuer Präsident Polens. Der 43-jährige Historiker und bisherige Leiter des Instituts für Nationales Gedenken (IPN) legte am Mittwochvormittag vor der Nationalversammlung in Warschau seinen Amtseid ab. fot. PAP/Paweł Supernak
Die politische Zukunft Nawrockis
Was bedeutet die Präsidentschaft von Karol Nawrocki für Polen? Obwohl Analysten und Meinungsforschungsinstitute mit Prognosen wetteifern, überrascht die politische Realität zunehmend und entzieht sich gängigen Mustern.
Es mangelt nicht an skeptischen Stimmen. So kritisierte etwa der ehemalige Präsident und Solidarność-Legende Lech Wałęsa Nawrocki offen und verweigerte seine Teilnahme an der Vereidigung – aus Protest gegen das Chaos um die Nachzählung von Stimmen in einigen Wahlkreisen nach der zweiten Runde der Präsidentschaftswahl.
Solche symbolischen Gesten haben heute besonderes Gewicht – denn Polen steht an einem Scheideweg. Einerseits ist das Land wirtschaftlich auf Augenhöhe mit den asiatischen „Tigern“ und spielt eine wichtige Rolle in der Europäischen Union. Andererseits wachsen, befeuert durch die Rechte, fremdenfeindliche und antisemitische Stimmungen.
Der Journalist, Historiker und ehemalige Auschwitz-Häftling Marian Turski erinnerte immer wieder: „Auschwitz ist nicht vom Himmel gefallen.“ Seine Warnung bleibt aktueller denn je – das Ignorieren der Geschichte und das Schüren von Spaltung sind oft der erste Schritt in eine Tragödie. Nawrocki muss entscheiden, welches Polen er vertreten will.
Autor: Monika Piorun