GAZETA WYBORCZA: "Der übersprungene Nawrocki"
Bartosz T. Wieliński schießt sich in seinem Leitkommentar zur Abwewsenheit Polens am Verhandlungstisch auf den neuen Staatspräsidenten ein. Hochmut, so der Autor, komme vor dem Fall. „In den letzten Tagen haben die Mitarbeiter von Karol Nawrocki – sein Kabinettschef Paweł Szefernaker, Kanzleichef Zbigniew Bogucki und der Chef des Büros für Internationale Politik Marcin Przydacz – mit Getöse von den Verbindungen erzählt, die sie im Weißen Haus haben, und von den wunderbaren Beziehungen des polnischen Präsidenten zu Donald Trump." Sie hätten es geschafft, aus der dem Ukraine-Krieg gewidmeten Telekonferenz europäischer Anführer Premier Donald Tusk herauszudrängen und ihn durch Karol Nawrocki zu ersetzen. „Und er – das ist wirklich eine unglaubliche Feststellung – erteilte Trump Hinweise, wie man mit Russlands Präsident Wladimir Putin sprechen solle. Tusk sollte sich in den Bart spucken, weil neben ihm ein Gigant der Diplomatie herangewachsen war."
Und jetzt, so Wieliński, hätten wir die harte Landung. Beim außerordentlichen Gipfel in Washington mit Selenskyj und den Anführern der wichtigsten europäischen Staaten sei Polen nicht vertreten gewesen. „Nawrocki sei – obwohl der Präsidentenpalast am Sonntag inoffiziell ankündigte, der Präsident bereite sich auf die Abreise vor – zu Hause geblieben.
Die offizielle Erklärung sei „kurios": Am 3. September sei ein offizieller bilateraler Besuch Nawrockis im Weißen Haus geplant. Würde der polnische Präsident jetzt nach Washington kommen, müsste das Treffen verschoben werden, „weil Trump sich nicht alle zwei Wochen mit derselben Person trifft". Wieliński fragt: „Ernsthaft, meine Herren Szefernaker, Bogucki, Przydacz? Ihr habt auf ein historisches Treffen verzichtet, bei dem das Gerüst – oder vielleicht das ganze – Abkommen über einen Waffenstillstand in der Ukraine geschmiedet wird, das Einfluss auf Polens Sicherheit haben wird, für ein paar Fotos mit Trump?"
Der Grund sei wohl ein anderer: „Nawrocki wollte sehr fliegen, aber niemand hat ihn eingeladen. Diese angeblich wunderbaren Kontakte zum Weißen Haus beschränken sich auf maximal ein paar Personen in der Administration." Eine von ihnen habe auf Bitten von Nawrockis Leuten letzte Woche Tusk aus dem Gespräch mit Trump herausgeschnitten. „Am Wochenende war sie hingegen nicht in der Lage, Nawrocki auf die Gästeliste zu setzen." Das Schlimmste sei, dass Polen „gerade den Platz in der Gruppe der Staaten verloren haben könnte, die über die Bedingungen eines Waffenstillstands in der Ukraine mitentscheiden", so Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza.
NIEZALEZNA.PL: "Warum war Tusk nicht in den USA?"
Das nationalkonservative Portal Niezalezna.pl fokussiert sich in seinen Kommentaren dagegen ausschließlich auf die Abwesenheit des Premierministers beim Gipfel. „Warum war Tusk nicht in den USA?”, fragt das Blatt. Und zitiert den Sprecher von Präsident Nawrocki, laut dem keine Teilnahmebereitschaft von der Regierung angemeldet wurde.
Geht es nach Rafał Leśkiewicz, Nawrockis Sprecher, hätten die Schlüsseldiskussionen und Gespräche darüber, wie das Treffen in Washington aussehen sollte, im Rahmen der Treffen der 'Koalition der Willigen' am Samstag und Sonntag stattgefunden – an diesen Treffen hätten Premier Donald Tusk und Minister Radosław Sikorski teilgenommen und keine keine Teilnahmebereitschaft eines Vertreters Polens am Gipfel in Washington angemeldet. Auch die polnische Botschaft in Washington habe keine Schritte unternommen, damit ein Vertreter Polens beim Treffen in Washington erscheint.
Außenminister Sikorski hat dieser Darstellung in einem Beitrag auf X jedoch widersprochen. Die Präsidialkanzlei habe einen asführlichen Bericht von der Schalte erhalten und wisse genau, dass es keine "Meldung von Teilnahmebereitschaft" gegeben habe. Ohne elementaren Respekt für Fakten und einem Minimum von gutem Willen werde es schwer sein zusammenzuarbeiten.
Zu Nawrockis bisherigen Aktivitäten erklärt Leśkiewicz: „Er ist seit einigen Tagen Präsident, es ist der 14. Tag der Amtszeit von Präsident Karol Nawrocki, und in der Zwischenzeit, noch als gewählter Präsident, sprach er zuerst mit Präsident Wołodymyr Selenskyj. Am 31. Juli sprach er über die Frage des Friedens in der Ukraine und die Beziehungen zwischen Polen und der Ukraine. Er hat sehr viele Maßnahmen ergriffen, bevor er das Amt des Präsidenten der Republik Polen übernahm, sowie als Staatsoberhaupt, im Kontext der Sicherheit der Region und des Friedens in der Ukraine."
RZECZPOSPOLITA: "Über uns ohne uns"
Auch der Publizist der konservativ-liberalen Rzeczpospolita Jędrzej Bielecki findet die Abwesenheit Polens in Washington bedauernswert, sieht allerdings die Schuld dafür bei beiden führenden politischen Lagern. Wie der Autor erinnert gebe Italien seit Jahren skandalös wenig für Verteidigung aus, und dennoch sei Giorgia Meloni in den engen Kreis europäischer Führer eingetreten, die zu Gesprächen mit Donald Trump eingeladen wurden. Die Italienerin habe sich nicht nur als verlässliche Verbündete der Ukraine erwiesen, sondern es auch verstanden, „in den letzten Monaten das Vertrauen des amerikanischen Präsidenten zu gewinnen".
Im Weißen Haus, fährt Bielecki fort, sei auch Alexander Stubb gewesen, der Präsident des fünf Millionen Einwohner zählenden Finnlands. „Sein Trumpf sind die außergewöhnlich scharfsinnigen Analysen zu Russland, auf die Trump selbst neugierig ist." Polen hingegen, „ein an Russland grenzendes Land, das relativ am meisten für Verteidigung in der ganzen NATO ausgibt", habe bereits vor Jahren vor Putins „imperialistischem Wahnsinn" gewarnt – Trümpfe, die eigentlich „eine Eintrittskarte zu Gesprächen mit Trump sein sollten".
Dazu, dass Polen nicht dabei gewesen sei, so Bielecki, hätten beide politische Lager beigetragen. Im Dezember sei Emmanuel Macron nach Warschau gekommen, um Polen von der Idee zu überzeugen, europäische Truppen in die Ukraine zu schicken. „Der von einer Welle nationalistischer PiS-Propaganda paralysierte Donald Tusk lehnte die Idee ab." Aus demselben Grund habe er die Chance auf eine enge Partnerschaft mit Friedrich Merz nicht genutzt, „der heute zur Führungsfigur des freien Europas aufsteigt". Es sei schließlich der Kanzler gewesen, der das Online-Treffen der europäischen Führer mit Trump organisiert habe, an dem Nawrocki teilnahm.
Auch Nawrocki habe in seiner noch sehr kurzen politischen Karriere nicht weniger Fehler in ukrainischen Angelegenheiten begangen. Ins Zentrum der Beziehungen mit Kiew habe er eine Tragödie von vor drei Generationen gestellt: Wołyń. Anders gesagt, er habe es für wichtiger gehalten, die Gunst der ukraineskeptischen Konfederacja-Wählerschaft zu gewinnen als in strategischen Staatskategorien zu denken. Aus durchgesickerten Informationen über sein Gespräch mit Trump gehe zudem hervor, dass er nicht wisse, wie man solche Verhandlungen führe. „Anstatt den Akzent auf ein, zwei Punkte zu legen, wie Amerikas Sicherheitsgarantien oder die Freiheit der Bündniswahl durch Kiew, begann der Präsident, sich auf den Jahrestag der Schlacht von Warschau 1920 zu berufen und dem US-Präsidenten zu raten, er solle 'hart mit Putin sein'. Punkte, auf die Trump nur mit einem Achselzucken reagieren konnte", so Bielecki.
In den letzten Tagen habe es Anzeichen dafür gegeben, dass die polnischen Politiker zu begreifen beginnen, dass es so nicht weitergehen kann. Tusk sei im Präsidentenpalast erschienen, wo es ihm gelungen sei, sich auf die Grundlagen der polnischen Position zu einigen, wie die Ablehnung jeglicher gewaltsamer Grenzveränderungen in Europa. Es werde jedoch noch viel mehr und viel schnellerer Initiativen dieser Art bedürfen, damit Polen wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren kann, an dem über das Schicksal Europas entschieden wird, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita.
DZIENNIK GAZETA PRAWNA: Wie soll das militärische Engagement am Dnjepr aussehen?
Das Wirtschaftsblatt Dziennik Gazeta Prawna konzentriert sich auf die praktischen Aspekte einer möglichen Friedensmission. Wojciech Kubik schreibt: „Nach dem Treffen zwischen Trump und Putin ist die Idee zurückgekehrt, internationale Friedenstruppen in die Ukraine zu schicken. Werden sich Polen in ihrer Zusammensetzung befinden?"
Die Zeitung berichtet, dass Putin während des Treffens auf Alaska seine Zustimmung signalisiert habe, dass die Ukraine nach Erfüllung seiner territorialen Forderungen von westlichen Staaten Sicherheitsgarantien erhalte. Laut Steve Witkoff, Trumps Sondergesandtem, würden die Garantien „Schutz ähnlich dem aus Artikel 5" des NATO-Vertrags umfassen. Giorgia Meloni habe bestätigt, die Sicherheitsklausel „würde es der Ukraine ermöglichen, Unterstützung von allen Partnern zu nutzen, einschließlich der Vereinigten Staaten, die bereit wären zu handeln im Falle eines erneuten Angriffs".
Zu einer eventuellen Beteiligung Polens erklärt der Abgeordnete Andrzej Szewiński (KO): „Wir erfüllen andere Rollen. Wir haben einen Kommunikationshub und viele andere Verpflichtungen, die ebenfalls entscheidend für Stabilisierung und Sicherheit sind, sollte es zu einer solchen Vereinbarung kommen. Wir übernehmen Verantwortung für die Logistik und sind in voller Bereitschaft, die daraus resultierenden Maßnahmen zu ergreifen, aber nicht auf dem Territorium der Ukraine."
General Roman Polko, ehemaliger Chef des Büros für Nationale Sicherheit, widerspricht: „Keine Militärmission in der Ukraine kann ohne Polens Beteiligung stattfinden. Über unser Territorium müssen Transporte, Lieferungen und Versorgung laufen." Es sei „nicht klug, sich aus einer solchen Koalition auszuschließen, bevor Vereinbarungen getroffen werden. Wenn wir von vornherein sagen, dass kein Fuß eines polnischen Soldaten die Ukraine betreten wird, bedeutet das, dass auch die Logistik nicht dorthin fahren kann." Er warnt: „Der Abwesende hat nicht recht."
Die Zeitung verweist auf eine Umfrage von United Surveys für Wirtualna Polska vom März: 86 Prozent der Befragten waren gegen die Entsendung polnischer Soldaten in die Ukraine. Der ehemalige Vizeaußenminister Paweł Jabłoński (PiS) meint, „die Anwesenheit von NATO-Soldaten in der Ukraine ist heute nicht notwendig". Er schlägt vor: „Wir sollten bei der Mobilisierung ukrainischer Soldaten helfen, auch derer, die zum Dienst in der Armee verpflichtet sind und sich auf unserem Territorium aufhalten. Wir können den Prozess der Rekrutierung, Mobilisierung und, wenn nötig, auch der Deportation erleichtern."
Autor: Adam de Nisau