Deutsche Redaktion

Wladimir Putin verliert den Krieg um die Geschichte

02.01.2020 12:23
Der Westen wird nicht glauben, dass Polen für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mitverantwortlich ist.
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Rzeczpospolita: Wladimir Putin verliert den Krieg um die Geschichte

Der Westen wird nicht glauben, dass Polen für den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs mitverantwortlich ist, schreibt die Tageszeitung Rzeczpospolita. Das Blatt erinnert, dass der russische Staatspräsident die Weihnachts- und Neujahrsperiode wählte, um Polen fünfmal für die Unterstützung von Hitlers Politik zu beschuldigen. Wladimir Putin hoffte dabei, dass die westlichen Staatsbehörden keine Reaktion zeigen werden. Er zählte auch darauf, dass die öffentliche Meinung in Europa auf seine Geschichtsrevision reinfällt. Putins Rückblick auf die Geschichte des Zweiten Weltkriegs wurde jedoch sofort von den Botschaftern Deutschlands und Amerikas in Polen verurteilt, stellt die Rzeczpospolita fest. Auch die Pulitzer-Preisträgerin und Gattin eines ehemaligen polnischen Außenministers, Anne Applebaum, schrieb in ausländischen Medien, dass Polen auf die Anschuldigungen des Kremls nicht reagieren müsse. Die Welt wisse nämlich, dass Putin ein Lügner ist und dass die polnische Interpretation der Geschichte eine allgemein anerkannte Wahrheit ist. Der Kreml versuche, überzeugt Applebaum, die in den letzten 30 Jahren festgelegte Ordnung in Europa umzukehren, um die Legitimität der gegenwärtigen Grenzen zu untergraben. Dafür müsse er, so die Historikerin, das Image Russlands als Opfer des Zweiten Weltkriegs aufbauen, und nicht als Verbündeten des Dritten Reiches, dass zu dieser Katastrophe geführt hat. Der unmittelbare Grund für den Angriff auf Polen aber, heißt es weiter, könnte auch die Vorbereitung der Annexion von Weißrussland oder die Reaktion auf die von den USA verhängten Sanktionen gegen das Konsortium Nord Stream 2 sein.

Laut Applebaum wäre die Reaktion der polnischen Diplomatie auf die Provokationen des Kremls jedoch viel effektiver, wenn sie in Abstimmung mit Deutschland durchgeführt sein würde. - Von den großen westlichen Ländern ist nur Deutschland so stark an historischen Erinnerungsfragen interessiert. Eine gemeinsame Erklärung des polnischen Premierministers und der deutschen Bundeskanzlerin hätte eine große Durchsetzungskraft, überzeugt die amerikanische Historikerin Anne Applebaum.

Rzeczposplita: Russlands irrationale Denkweise

Der Publizist Paweł Łepkowski schreibt indes in der Rzeczpospolita, dass selbst die hartnäckigsten und heuchlerischsten russischen Propagandisten es nicht gewagt haben, die Erinnerung an die Opfer des Zweiten Weltkrieges zu verletzen, so wie es Wladimir Putin in den letzten Tagen getan hat. Der 67-jährige Politiker neigt zunehmend dazu, Fakten zu vermischen, Märchen zu erzählen und Opfer mit Tätern gleichzustellen. Den historischen Molotow-Ribbentrop-Pakt, sehe Putin zudem nur als Verschwörungstheorie an. Obwohl der Pakt ein Funke war, der die Welt in Brand setzte und das Leben von etwa 85 Millionen Menschen, darunter 27 Millionen Bürger der Sowjetunion, kostete. Es sei erstaunlich, heißt es weiter, dass Putins historischer Revisionismus von einem Mann dargestellt werde, dessen Eltern durch die Hölle von Leningrad gegangen sind und dort ihr erstes Kind verloren haben.

- Warum diese ständige Liebe zu Stalin und all diese Versuche, ihn zu rechtfertigen - fragt sich Łepkowski abschließend und kommt zu dem Schluss, dass Wladimir Putin in seinem Denken nicht alleine stehe. 70 Jahre sowjetischer Indoktrination haben ihren Job gemacht, lautet sein Fazit. Und obwohl Russland den grauen sowjetischen Mantel ausgezogen habe und jetzt modische westliche Kleidung trägt, so stecken Russen geistig immer noch in der Breschnew-Ära fest.


Dziennik: Polen ist der bequemste Feind für Putin

Auch das Tagesblatt Dziennik greift den Skandal um Putins Geschichtsmanipulation auf. Putin brauche auf die Schnelle einen Feind, der die Nation mit dem Zaren verbindet, so das Blatt, weil das Jahresende für den Kreml völlig schief verlaufen sei. Zuerst gab es einen gescheiterten Versuch, Weißrussland mit Moskau zu vereinen. Dieser Plan würde es der russischen Gesellschaft ermöglichen, die seit sechs Jahren andauernde Armut zu verschlucken.
In Russland gehe es nämlich nur noch den reichsten Russen gut, während alle anderen immer ärmer werden. Zum Glück für Putin, heißt es weiter, habe sich die Mentalität der Bewohner seines Landes seit der Zeit des Zaren nicht wesentlich verändert. Russen können immer noch, was für Westler unvorstellbar sei, den Gürtel enger schnallen, wenn sie Nationalstolz als Ersatz für Lebensmittel erhalten. Auch die Gespräche in Paris zur Krise in der Ukraine waren nicht erfolgreich, bemerkt das Blatt, Sanktionen der Europäischen Union bleiben somit auch im neuen Jahr weiterhin intakt. Eine weitere schmerzliche Überraschung für den Kreml waren die US-Sanktionen gegen Unternehmen, die an der Verlegung der Nord Stream 2-Gasleitung beteiligt sind. Deshalb brauche Putin ad hoc einen Feind, mit dem er seine Misserfolge unter den Teppich fegt. Die Vereinigten Staaten bleiben zwar der Hauptgegner des Kremls, aber es sei der schlimmste Feind, der das Budget Moskaus am meisten koste. Der bequemste Feind, überzeugt Dziennik, sei Polen. Der Streit um die Geschichte, die Beseitigung sowjetischer Denkmäler oder die Katastrophe von Smolensk und die gegenwärtigen, sehr frostigen Beziehungen, können nach Belieben jederzeit aufgegriffen werden. 

Aus der Sicht des Kremls sei es sogar großartig, wenn die polnische Regierung auf Putins groben Anschuldigungen reagiert, denn dass gäbe Anlass, eine Spirale des Hasses aufzubauen. Wenn die Reaktion gemäßigt bleibe, so reiche dass dem Kreml aus, um Russen zu zeigen, wie verabscheuungswürdig Polen seien. Vor allem aber wisse Putin, lautet das Fazit in der Tageszeitung, dass Warschau nur sehr begrenzte Möglichkeiten habe, um Russland in irgendwelcher Weise zu schaden. Und genauso wähle sich Russland den bequemsten Feind aus, schreibt Dziennik.


Piotr Siemińśki