Deutsche Redaktion

Solidarisches Polen wird zum Dogma

13.07.2020 13:27
Die Rivalisation zwischen Trzaskowski und Duda sollte zwar drastische Unterschiede zwischen ihren Visionen Polens zeigen. Wenn man die Sache jedoch mit kühlem Kopf betrachte, habe es keine besonders großen Unterschiede gegeben, schreibt Dziennik/Gazeta Prawna. Die linksliberale Gazeta Wyborcza sieht in Trzaskowski eine neue Führungsfigur der Opposition. Und Politologe Marek Cichocki überlegt, ob Polens Institutionen der aktuellen Polarisierung standhalten werden.
Podział sondażowych wyników exit polls względem województw (Polskie Radio)
Podział sondażowych wyników exit polls względem województw (Polskie Radio)PR

Dziennik/Gazeta Prawna: Solidarisches Polen wird zum Dogma

PiS-Chef Kaczyński sei es gelungen, die Spielregeln in der polnischen Politik zu definieren, beobachtet in der heutigen Ausgabe das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Sozialtransfers, so das Blatt, seien zu einem unantastbaren Tabu geworden, so wie es einst der Glaube an die Macht des freien Marktes gewesen sei. Die Rivalisation zwischen Trzaskowski und Duda sollte zwar drastische Unterschiede zwischen ihren Visionen Polens zeigen. Wenn man die Sache jedoch mit kühlem Kopf betrachte, habe es keine besonders großen Unterschiede gegeben. 

Noch 2007, erinnert die Zeitung, habe die PiS zur Vision eines solidarischen Polens stets eine Prise Liberalismus hinzugefügt. In der diesjährigen Kampagne seien, außer dem nationalkonservativen Krzysztof Bosak, alle Kandidaten mit der Vision eines Staates zu den Wahlen gegangen, der noch mehr Mittel verteilen werde, als bisher. PSL-Kandidat Władysław Kosiniak-Kamysz habe ein weiteres Mal unbesteuerte Rente, freiwillige Sozialabgaben und 250 Euro Stipendium für Studenten vorgeschlagen, die sich verpflichten, mindestens zehn Jahre lang in Polen zu arbeiten. Robert Biedroń von den Linken habe ein Grundgehalt für die Zeit der Epidemie und eine Erhöhung der Ausgaben für das Gesundheitswesen auf 7,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts vorgeschlagen. -Szymon Hołownia habe keine Konkrete genannt, dafür von einer deutlichen Verbesserung des Bildungs- und Gesundheitssystems, sowie dem Ausbau des Pflegesystems für Senioren gesprochen, was er “Solidarisches Polen” nannte. Trzaskowski habe in der zweiten Runde viele Ideen übernommen und zusätzlich die Erhöhung von Renten für Frauen um 200 zł für jedes Kind sowie die Ausgabe von 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts für das Gesundheitswesen schon im kommenden Jahr versprochen, was er “Neue Solidarität” nannte.

Das zeige, dass durch die von der PiS diktierten Spielregeln gewisse politische Postulate unanfechtbar geworden seien. Diejenigen, die es versuchen würden, seien zur Marginalisierung verurteilt.

Und so habe Trzaskowski etwa wiederholt versichert, dass er das Flagschiffprogramm der PiS 500 Plus verteidigen und jeden Versuch, es zu beschränken, mit einem Veto belegen werde. Gemeinsame Punkte zwischen beiden Kandidaten habe man auch in polarisierenden Themen finden können, wie etwa LGBT. Sowohl Trzaskowski, als auch Duda seien gegen die Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare. Auch die Unterschiede in Bezug auf das Renteneintrittsalter seien verschwommen. Sogar in Bezug auf Pflichtimpfungen gegen COVID-19 - beide Kandidaten sind gegen eine solche Lösung - seien beide Politiker einer Meinung. Und beide wollen Investitionen in den Kommunen fördern.

Wenn jedoch alle mehr geben wollen, dann stelle sich die Frage, woher man das Geld nehmen soll. Der bisherige Anstieg der Ausgaben sei vom Wirtschaftswachstum und der Abdichtung im Steuerbereich gedeckt worden. Daher konnten die Einnahmen seit 2015, ohne Steuererhöhungen, von 39 Prozent auf 41 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöht werden. Doch 2020 werde das Haushaltsdefizit, unter anderem wegen der Pandemie, auf 10 Prozent steigen. Von einem griechischen Szenario sei Polen zwar noch weit entfernt. Doch wenn die politische Klasse nicht aufwache und in jeder Kampagne Milliarden von Złoty versprechen werde, dann könne man es nicht ausschließen, so Dziennik/Gazeta Prawna. 

 

Gazeta Wyborcza: Demokraten sagen “Nein”!

Unabhängig vom endgültigen Ergebnis, habe das demokratische Lager eine neue Führungsfigur erhalten, schreibt in seinem Kommentar für die linksliberale Gazeta Wyborcza der Publizist Jarosław Kurski. Das Lager der PiS, so Kurski, halte heute Rafał Trzaskowski für die größte Bedrohung für sein Machtmonopol. Und das, obwohl die Wahlen alles andere als fair gewesen seien. Amtsinhaber Duda, so der Autor, habe die Regierung, das Sicherheitszentrum der Regierung, die staatlichen Medien und den Medienrat, sowie einen Großteil der Bischöfe auf seiner Seite gehabt. Zudem habe der Staat den im Ausland wohnenden Polen die Briefwahlen erschwert. Trotz alledem hätte die Hälfte der Gesellschaft klar gesagt, dass sie dieser Regierung ein klares “Nein” mitzuteilen hat. Die Zivilgesellschaft sei aufgewacht - in nur fünf Tagen sei es gelungen fast zwei Millionen Stimmen zu sammeln. Szymon Hołownia habe diejenigen mobilisiert, die sich bisher nicht in die Politik engagiert hätten. Und es sei ein Politiker von großem Format geboren, auf den die Opposition seit sechs Jahren gewartet habe. Daher seien diese Wahlen, unabhängig vom Ergebnis, schon jetzt ein großer Erfolg für die Opposition, so Kurski in der Gazeta Wyborcza. 

 

Rzeczpospolita: Halb halb

Auch die Präsidentschaftswahlen hätten gezeigt, dass Polen zu einer Gesellschaft geworden ist, die in zwei etwa gleich große und feindselige Lager aufgeteilt ist, schreibt der Politologe Marek Cichocki in der konservativen Rzeczpospolita. An sich, so der Autor, sei das noch nichts Besonderes, wie etwa das Beispiel des zum Brexit zweigeteilten Großbritanniens oder der in Bezug zu Trump gespaltenen USA zeige. Das Interessante sei jedoch, dass es nicht einfach sei zu definieren, welches Thema es eigentlich konkret ist, das Polen so tief spaltet. Vielmehr scheine sich das politische Leben zunehmend in einen Kampf der Kulturen, Identitäten und Emotionen zu verwandeln. Die praktischen Folgen aus diesem Sachbestand: Erstens könne keine der Seiten darauf zählen, die zweite endgültig zu besiegen. Das bedeute jedoch nicht, dass beide Seiten einen solchen Sieg nicht anstreben werden. Und das führe zur nächsten Frage: inwiefern es in solchen Bedingungen überhaupt möglich sein werde, die politische Kohärenz des Staates zu bewahren. Denn es sei kein Geheimnis, dass die polnische Verfassung und die polnischen Institutionen nicht für den Fall einer starken Polarisierung in Bezug auf unterschiedliche Identitäten entworfen wurden, so Marek Cichocki in der Rzeczpospolita. 

Autor: Adam de Nisau