Deutsche Redaktion

Orban wieder siegreich, die EU hat ein Problem

23.07.2020 13:27
In der Gazeta Wyborcza analysiert Publizist Michał Kokot die Folgen des EU-Gipfels für die Glaubwürdigkeit der Staatengemeinschaft. Außerdem geht es auch um die fiktive EU-Verteidigungspolitik und einen der großen Gewinner der Pandemie.
Premier Węgier Viktor Orban.
Premier Węgier Viktor Orban.PAP/Radek Pietruszka

Gazeta Wyborcza: Orban wieder siegreich, die EU hat ein Problem

Orban wieder siegreich und die EU hat ein Problem, schreibt in seinem Kommentar zum Gipfel der Publizist der linksliberalen Gazeta Wyborcza Michał Kokot. In den Konklusionen des Gipfels, so der Autor, sei zwar ein Paragraph über die Rechtsstaatlichkeit als Bedingung für die Zuerkennung von EU-Mitteln zu finden. Werde die EU-Kommission, die in Bezug auf Orbans Politik bisher systematisch ein Auge zugedrückt habe, jedoch ausreichend determiniert sein, um sich auf diese Klausel zu berufen? Falls nicht, dann werde Orban agieren können, wie bisher. Und das bedeute Probleme für die ganze EU, die durch die Erosion der demokratischen Fundamente, auf denen sie stehe, ihre Glaubwürdigkeit verliere.

Für Orban, lesen wir weiter, sei die Bindung der EU-Mittel an die Rechtsstaatlichkeit ein Thema von kardinaler Bedeutung, denn der ungarische Premier habe sein System aus EU-Mitteln finanziert. In den letzten zehn Jahren habe die EU-Kasse die Unternehmen der ungarischen Oligarchen bezuschusst, die private Medien übernommen und sie in Propagandasprachrohre der Regierung verwandelt hätten. Vor zwei Jahren, erinnert Kokot, hätten sie schließlich gehorsam fünfhundert Redaktionen an eine Stiftung abgegeben (die meisten von ihnen kostenlos), an deren Spitze ein Mann der regierenden Fidesz-Partei stehe. Heute würden diese partei-staatlichen Medien sich nur mit der Aufzählung der Erfolge der Regierenden beschäftigen, zu Korruptionsskandalen schweigen und wenn sie über die Opposition schreiben, dann nur, um sie anzuschwärzen. 

Die staatliche Ideologie habe sogar Eingang in die Lehrbücher gefunden, laut denen die wahre Freiheit im Land erst begonnen habe, nachdem Orban 2010 seine Regierung formierte. Die Opposition habe, durch die Änderung des Wahlsystems und die Strafen für finanzielle Unregelmäßigkeiten, so gut wie keine Chancen auf einen Wahlsieg. Und wenn sie in den Kommunen unerwartet Erfolge erziele, dann beschneide die Regierung deren Kompetenzen und zentralisiere die Macht. Würden in alledem keine Parallelen zu dem zu sehen sein, was die Politikern der PiS sagen, fragt Kokot rhetorisch? 

All die Änderungen, so der Autor abschließend, seien Orban gelungen, da die EU nicht in der Lage gewesen sei, zu reagieren. Natürlich seien Verhandlungen, besonders so wichtige, wie die zum EU-Haushalt, mit schwierigen Kompromissen belastet. Aber weitere Nachsicht mit Autokraten könne die EU schwächen und sogar zu ihrer Spaltung, sowie einem Aufblühen von Autoritarismen außerhalb ihrer Grenzen führen, so Michał Kokot in der Gazeta Wyborcza. 

 

Rzeczpospolita: Fiktive europäische Verteidigungspolitik

Der letzte EU-Gipfel habe gezeigt, dass die europäische Verteidigungspolitik offenbar weiterhin fiktiven Charakter haben werde, lesen wir in der konservativen Rzeczpospolita. Obwohl Donald Trump einen Teil der US-Truppen aus Deutschland zurückziehen wolle, so das Blatt, hätten die EU-Staatschefs während des Gipfels keine nennenswerten Mittel für gemeinsame Streitkräfte vorgesehen. Nach der Machtübernahme durch Emmanuel Macron, erinnert das Blatt, seien die Pläne noch enorm gewesen: man habe über die Schaffung einer europäischen Armee gesprochen, in Paris habe man sogar angedeutet, dass Frankreich mit seinem Atom-Schirm den Rest der EU abdecken werde. Letztendlich hätten die in Brüssel versammelten Staatschefs die Mittel für den Bau einer gemeinsamen Verteidigungspolitik auf eine absurd kleine Summe beschnitten. Jetzt, so die Zeitung, sei von 7 Milliarden Euro für die Jahre 2021-2027 die Rede und von zusätzlichen 1,5 Milliarden Euro für Investitionen in eine schnelle Verlegung von Soldaten im Rahmen der EU für den Fall einer Aggression von außen. Zum Vergleich - der Pentagon investiere jedes Jahr 750 Milliarden Dollar in die Verteidigungspolitik. 

Geht es nach Adriaan Schout vom holländischen Clingendael-Institut, sei dies eindeutig eine Folge der Pandemie. In Brüssel habe man überall Einsparungen gesucht, nur um Mittel für die Wiederbelebung der Wirtschaft zu finden. Und da an Verteidigung niemandem besonders gelegen gewesen sei, sei sie den größten Einschnitten zum Opfer gefallen. 

Es gebe aber auch längerfristige Gründe. Unter anderem das wachsende Misstrauen unter den Mitgliedsländern, die die Verwaltung ihrer Streitkräfte nicht an EU-Institutionen abgeben wollen. Das führe einerseits zu enormer Geldverschwendung, da die EU-Staaten auf eigene Faust in die Bearbeitung und Produktion von Waffen investieren. Andererseits aber auch zu Änderungen in der strategischen Balance der EU. Nach der Pandemie würden sich die Mitgliedstaaten in unterschiedlichem Tempo erholen. Und schon in diesem Jahr würde Deutschland mit 50 Milliarden Euro für Verteidigungspolitik erstmals seit drei Generationen an die Spitze der westeuropäischen Militärmächte zurückkehren. Und diesen Kurs werde die Bundesrepublik, unter anderem unter dem Druck von Trump, künftig auch beibehalten wollen, lesen wir in der Rzeczpospolita. 

 

Rzeczpospolita: Goldene Ära der Computerspiele

Der große Gewinner der Pandemie sei indes die polnische Spielebranche, lesen wir ebenfalls in der Rzeczpospolita. Nach dem kurzfristigen Absturz, gleich nach Beginn der Pandemie, berichtet das Blatt, sei der Aktienwert der polnischen Spieleproduzenten steil nach oben geschossen. Insgesamt sei der Wert des Index WIG.Games in diesem Jahr um 100 Prozent gewachsen und die Kapitalisierung der fünf größten Spielemacher (CD Projekt, Ten Square Games, Play Way, 11 bit studios und CI Games) seit Januar dieses Jahres um 45 Prozent auf 45,7 Milliarden Złoty gestiegen. Schon heute liege Polen mit 30 Unternehmen in der Branche, die auf der Börse notiert werden, weltweit nur hinter Japan. Bis Jahresende werde deren Zahl voraussichtlich auf über 50 steigen. 

Geht es nach Experten, würde die Branche von dem durch den Lockdown verursachten größeren Interesse an Spielen profitieren. Zudem würden sich nicht mehr nur die Jüngsten für Computerspiele interessieren. “Der Gaming-Markt ist gereift und wird nicht mehr nur als Unterhaltung für Kinder wahrgenommen. Aktuell sind die wichtigsten Kunden Erwachsene, die oft schon seit ihrer Kindheit Spieler sind, was wiederum schlussfolgern lässt, dass der Boom noch lange dauern wird”, prognostiziert der Chef des VR-Unternehmens Incuvo, Andrzej Wychowaniec. Laut Intel würden derzeit schon 15 Prozent der Spieler Personen über 55 ausmachen, so die Rzeczpospolita.


Autor: Adam de Nisau