Deutsche Redaktion

Das Rennen hat begonnen

05.07.2021 13:03
Dominantes Thema auf den Titelseiten der meinungsbildenden Blätter ist heute die offizielle Rückkehr von Ex-Premier und Ex-EU-Ratschef Donald Tusk in die Landespolitik, nachdem dieser am Samstag nach langjähriger Pause in Brüssel erneut das Steuer der oppositionellen Bürgerplattform übernommen hatte.
Donald Tusk
Donald Tusk PAP/Wojciech Olkuśnik

Dominantes Thema auf den Titelseiten der meinungsbildenden Blätter ist heute die offizielle Rückkehr von Ex-Premier und Ex-EU-Ratschef Donald Tusk in die Landespolitik, nachdem dieser am Samstag nach langjähriger Pause in Brüssel erneut das Steuer der oppositionellen Bürgerplattform übernommen hatte.

Rzeczpospolita: Das Rennen hat begonnen

Das Rennen hat begonnen, schreibt dazu in ihrem Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Die Anführer der zwei stärksten Gruppierungen auf der polnischen politischen Szene - Tusk, der aus Brüssel zurückgekehrt ist und Kaczyński, der am Samstag als Parteichef wiedergewählt wurde - bereiten ihre Parteien auf eine weitere Schlacht vor. Und geben zu, dass dieser Kampf für sie die letzte politische Charge sein werde. “Als ein emeritierter Retter der polnischen Demokratie abzutreten, das wäre für mich mehr als Glück”, habe Tusk während der Pressekonferenz vor Journalisten betont. Auch Kaczyński habe offen von einer letzten Amtszeit am Parteisteuer gesprochen. “Ich stehe zum letzten Mal an der Parteispitze”, habe der PiS-Gründer während des Partei-Kongresses am Wochenende deklariert. Laut dem regulären Wahlkalender, so das Blatt, hätten die Politiker nun bis Herbst 2023 Zeit für Vorbereitungen. Bis dahin habe Tusk drei strategische Ziele: die Bestätigung seines Vorsitzes in der Bürgerplattform durch demokratische Wahlen. Die Beherrschung der Situation in den Regionen und die Erneuerung der Strukturen sowie der eigenen Position bei der Parteibasis. Und schließlich die Knüpfung von Partnerschaften in der Opposition, die einerseits einen Sieg mit der PiS andererseits aber auch den Erhalt der Position der PO als größte Oppositionspartei ermöglichen. Wie das gehen soll? Wie aus der Ansprache von Tusk hervorgehe, wolle er weiterhin auf eine Polarisierung setzen, denn nur durch scharfe Rhetorik und neue Energie sowie emotionale Motivation sei ein Sieg gegen die PiS möglich, urteilt Rzeczpospolita. 

Der PiS-Chef, lesen wir weiter, habe beim Kongress indes appelliert, die Reihen zu schließen, sich deutlich gegen Nepotismus in der Partei gestellt und einen für große Emotionen sorgende Beschluss durchgesetzt, der garantieren soll, dass Familienmitglieder von Politikern der Vereinigten Rechten nicht in Aufsichtsräten von Staatsunternehmen sitzen dürfen. Die Wahl der Vize-Chefs der Partei, in der Premierminister Mateusz Morawiecki die meisten Stimmen erhalten habe, habe zudem sowohl die starke Position des Premierministers als auch die anhaltende Popularität von Kaczyński gezeigt, der in einem gewissen politischen Duett mit Morawiecki agiere. 

Nun würden sowohl Tusk als auch Kaczyński intensive Gespräche mit der Parteibasis in den Regionen planen. Tusk wolle die Beziehungen zu alten Verbündeten erneuern, Kaczyński indes plane, die von den letzten Austritten verlorene parlamentarische Mehrheit wiederherzustellen. Das Wochenende habe damit die vielleicht längste und aufzehrendste Wahlkampagne seit 1989 eingeläutet, so Rzeczpospolita. 

Gazeta Polska Codziennie: Tusks Hatespeech

Auch die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie widmet ihren Aufmacher der Rückkehr des Erzrivalen von Kaczyński Donald Tusk in die Landespolitik. Tusk, lesen wir auf der Titelseite, habe eine emotionale Rede gehalten, die statt Fragen rund um die Verbesserung der Lebensqualität der Polinnen und Polen fast vollständig dem politischen Krieg gegen die Recht und Gerechtigkeit gewidmet gewesen sei. Auch die Karikaturen, satirischen Gedichte und Kommentare auf der zweiten Seite sind fast allesamt dem ehemaligen Premierminister gewidmet.

Polen, schreibt in ihrer Stellungnahme Publizistin und PiS-Abgeordnete Joanna Lichocka, habe mit Kaczyński einen guten, herausragenden Anführer. Seine Wiederwahl zum Parteichef garantiere Stabilität und Effektivität bei der Realisierung des Wahlprogramms. Der PiS-Chef und die neugewählte Parteiführung mit Mateusz Morawiecki seien die unangefochtene politische Elite, von der der Zivilisationssprung des Landes abhänge. Wir sollten Gott danken, dass wir einen solchen Parteichef haben, so Lichocka. 

Piotr Lisiewicz erinnert in seinem Kommentar daran, dass US-Präsident Biden, mit dessen Freundschaft sich Tusk am Wochenende gebrüstet habe, ihn 2015 für die Ansprache in Tbillisi während der russischen Invasion auf Georgien gelobt und damit mit dem verstorbenen Bruder des PiS-Chefs Lech Kaczyński verwechselt habe. Was sage dieser Irrtum über die Tiefe der Bekanntschaft von Tusk und Biden, fragt Lisiewicz. Solche Prahlerei darüber, wen Tusk kenne, werde nun wohl zur Alltäglichkeit werden. Es sei nicht ausgeschlossen, dass wir bald erfahren, dass Tusk auch Roosevelt, Churchill und Stalin gekannt habe. Was nützen diese Bekanntschaften aber, wenn es sich doch nicht gehöre, bei den Starken der Welt Unterstützung anzufordern? Der Stolz, dass Tusk sie kenne, müsse für uns wohl Belohnung genug sein, so Lisiewicz.

Und in dem Artikel zu Tusks Auftritt unter dem Titel “Tusks Hate-Speech” zitiert das Blatt den Soziologen prof. Henryk Domański, laut dem die Rede eine weitere Polarisierung in der polnischen Politik ankündige. “Das, was wir am Samstag gehört haben, war Hassrede. Der Auftritt eines Menschen, der von Hass gegenüber der PiS erfüllt ist und die PiS mit allen Mitteln bekämpfen wird. Das ging in die Richtung einer Vertiefung des Konflikts und nicht einer Versöhnung. So etwas nimmt anderen politischen Gruppierungen die Lust zur Zusammenarbeit”, so Domański. Zudem sei der Wechsel an der Parteispitze, bei dem der bisherige Chef der Partei Borys Budka das Parteisteuer Tusk überlassen habe, nicht in Übereinstimmung mit demokratischen Regeln verlaufen, so Gazeta Polska Codziennie.

Rzeczpospolita: Totale Schlacht zweier Parteiführer

Auch Michał Szułdrzyński von der Rzeczpospolita macht auf den polarisierenden Charakter des Auftritts von Tusk aufmerksam. Und erinnert daran, dass die Bürgerplattform inzwischen schon ein paar Wahlen in Folge mit eben dieser scharfen, anti-PiS-Rhetorik verloren hat. Die Rückkehr zu dieser Strategie durch Tusk, so der Publizist, sei also noch kein Rezept für einen Sieg bei den nächsten Wahlen. Auch eine glaubwürdige Vision, wie Polen nach einer Machtübernahme durch die PO möbliert werden sollte, sei notwendig. Bei einem Parteitag sei polarisierende Rhetorik natürlich hilfreich. Es wäre jedoch nicht gut, wenn sie die Gräben in der sowieso schon aufgeheizten öffentlichen Debatte weiter vertieft. 

Wenn indes die PiS an diesem Wochenende mit irgendetwas überrascht habe, so der Autor weiter, dann vor allem damit, wie defensiv die Partei gewesen sei. Der Kongress sei als großer Event geplant worden, der der Partei einen neuen Impuls geben sollte. Doch Tusk habe Kaczyński die Show gestohlen. Die PiS habe das Wochenende auf eigenen Wunsch verloren, indem sie keine Journalisten eingeladen habe. Dadurch hätten die Medien vor allem Tusks Ansprache zitiert. Die Regierungspartei habe erst später begriffen, dass man den Auftritt von Kaczyński ins Netz stellen sollte. Dies seien fundamentale Kommunikationsfehler, ebenso wie die fehlende Möglichkeit, PiS-Politikern Fragen zu stellen. Auch an den Vorstoß Kaczyńskis gegen Vetternwirtschaft glaube er nicht so recht, so Szułdrzyński. Denn diese sei kein Unfall bei der Arbeit, sondern eine notwendige Konsequenz der PiS-Logik, laut der man alle Ämter und Unternehmen mit seinen Leuten besetzen sollte. Kaczyński habe schon einmal ein Verbot eingeführt, das die Verbindung von Parteifunktionen und einer aktiven Rolle in Aufsichtsräten und Vorständen von Staatsunternehmen untersagt habe. Doch infolge des Widerstands aus der Partei sei die Vorschrift tot geblieben, erinnert Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.

Autor: Adam de Nisau