Deutsche Redaktion

"Jetzt ist nicht die Zeit für Streitigkeiten in der EU"

10.03.2022 12:43
Am Mittwoch verhängte die EU gegen Polen eine Geldstrafe in Höhe von 69 Millionen Euro, weil es Urteile des Europäischen Gerichtshofs nicht befolgt habe. Sei dies der richtige Zeitpunkt für einen solchen Schritt? Welche Logik stecke hinter einer solche Entscheidung inmitten der größten Flüchtlingskrise seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa? Außerdem: Keine Fortschritte, was die Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine betrifft. Dies und mehr in der heutigen Presseschau.
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Interia.pl: Pattsituation um MiGs für die Ukraine

Eines der grössten Online-Portale interia.pl schreibt indes über den Versuch Amerikas, Polen für die Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine alleine die Verantwortung tragen zu lassen. Die Frage der Übergabe von MiG-29-Kampfflugzeugen an die Ukraine könne nicht Gegenstand einer "unabhängigen polnischen Entscheidung" sein, schreibt Publizist Marcin Makowski. Wir hätten es mit einer gemeinsamen Verantwortung der NATO und vor allem der USA zu tun. Aus diesem Grund habe Warschau vorgeschlagen, seine Kampfflugzeuge auf den Stützpunkt in Rammstein zu verlegen. Polen, heißt es, wollte dadurch die Amerikaner dazu bringen ihre Karten zu enthüllen. Das Pentagon habe daraufhin bekannt gegeben, dass die amerikanisch-deutsche Variante zu riskant sei.

Als Schlüsselmoment in dieser Angelegenheit, lesen wir, habe sich die Position des US-Außenministers Antony Blinken erwiesen. Er habe "grünes Licht" gegeben, falls Polen beschließen sollte, der Ukraine seine Kampfjets zu liefern. Aber was sollte dieses "grüne Licht" bedeuten, fragt der Autor. Es gab nämlich im Gegenzug keinen konkreten Vorschlag zum Ausgleich des Verteidigungspotenzials eines NATO-Landes, das einen Teil seiner Luftwaffe an die Front verlegen könnte.

Da der Druck auf Polen immer größer wurde, heißt es weiter, und andere NATO-Staaten nicht mitmachen wollten, soll die polnische Regierung beschlossen haben, grünes Licht zu geben, um ihren Ausweg aus der Sackgasse vorzuschlagen. Es handelte sich um die Verlegung von MiGs zur US-Basis in Rammstein und die Bereitschaft, den USA F-16-Kampfjets abzukaufen. Bei dieser Option würden die Verantwortung und das Risiko gleichermaßen auf die USA, Deutschland und Polen verteilt werden, überzeugt Makowski.

Die polnische Diplomatie, heißt es, habe in dieser Angelegenheit verantwortungsbewusst und reif gehandelt. Sie habe gezeigt, dass selbst die eventuelle Einbeziehung von NATO-Ausrüstung, die der Ukraine in einem Konflikt mit Russland zur Verfügung gestellt würde, in die kollektive Verantwortung der NATO und nicht nur eines einzelnen Landes fallen müsse. Vor allem auch nicht in der Situation, wo Polen die größte Flüchtlingswelle seit dem Zweiten Weltkrieg aufnehme und gleichzeitig Kiew mit Munition und Raketensystemen versorge.

Wenn also weder die Amerikaner noch die Deutschen an der Verlegung von Kampfflugzeugen teilnehmen wollen, weil sie behaupten, dass dies die Sicherheit des Bündnisses gefährden würde, warum sollte sich Polen in einer ähnlichen Situation sicher fühlen?

Politico: Schade, dass der Westen über Russland nicht auf Polen gehört hat

Westeuropäische Staats- und Regierungschefs haben Politiker aus Polen und den baltischen Staaten jahrelang ignoriert, als sie vor der expansiven Bedrohung durch Wladimir Putin Alarm schlugen. Jetzt sei es an der Zeit, Asche auf das Haupt zu streuen, schreibt die US-amerikanische Tageszeitung Politico.

Jetzt lerne der Westen eine bittere Lektion aus der Zeit, als er die Stimmen der Länder ignoriert habe, die Russland viel besser kennen als die weit entfernten Nachbarstaaten. Jetzt sei es an der Zeit, nachzudenken und die bisherige Politik zu revidieren, so die Zeitung.

Seit Jahren, heißt es weiter, hätten die baltischen Staaten, darunter auch Polen, eine verstärkte NATO-Präsenz in der Region gefordert. Dies sei im Westen nur auf Unverständnis gestoßen. Auch die Rufe nach entschlossenem Handeln im Jahr 2014, als Putin die Krim besetzte, seien praktisch nicht erhört worden.

Politico erinnert am Schluss an Putins Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz aus dem Jahr 2007. Sie müsste als die Grundlage für viele seiner späteren Entscheidungen dienen. Darin habe er die Vereinigten Staaten für die Schaffung einer einseitigen Welt kritisiert, "in der es nur einen Herrn und einen Souverän gibt". Putin habe auch die NATO mit scharfen Worten verurteilt. Russlands Staatschef, stellt Politico abschließend fest, habe damals auch die Ordnung in Europa nach dem Kalten Krieg in Frage gestellt.

Rzeczpospolita: Jetzt ist nicht die Zeit für Streitigkeiten in der EU 

Die Rzeczpospolita indes schreibt, Brüssel zögere, Polen und andere Länder, die bereits mehr als eine Million ukrainische Kriegsflüchtlinge aufgenommen haben, finanziell zu unterstützen. Jahrelang sei die Aufnahme von Flüchtlingen ein Dogma der EU-Politik gewesen, heißt es. Sie habe zu einer Krise und zu Spaltungen innerhalb der Gemeinschaft geführt. Einige Länder, darunter Polen, erinnert das konservative Blatt, hätten keine kulturell fremden Besucher aus dem Nahen Osten gewollt. Heute, heißt es, habe sich die Perspektive geändert. Russlands Aggression gegen die Ukraine habe eine beispiellose Flucht von Millionen von Menschen aus Kriegsgebieten und eine humanitäre Krise ausgelöst, wie es sie seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben habe. Kein Land, lesen wir, könne eine Millionen Menschen versorgen, die innerhalb von zehn Tagen in seinen Grenzen eintreffen. Auch nicht das bestorganisierte und reichste. Die offenen Herzen und Häuser der Polen, Litauer und Slowaken würden nicht ausreichen. Genau wie Regierungsprogramme, Initiativen der lokalen Behörden oder Eigeninitiativen der Bürger. Die polnischen Steuerzahler allein werden auf Dauer nicht in der Lage sein, eine so große Flüchtlingswelle zu finanzieren.

Deshalb, fährt das Blatt fort, sei die Beteiligung der Kräfte und des Geldes der westlichen Steuerzahler an dieser Mission unverzichtbar. Andernfalls könnte sich die humanitäre Krise zu einer Katastrophe ausweiten, wenn nicht eine, sondern mehrere Millionen Flüchtlinge die Grenze überqueren.

Die Europäische Union sei ein Organismus, der seine Kraft aus seiner Einheit und Solidarität schöpfe - der tatsächlichen, und nicht nur deklarierten, lesen wir. Heute sei somit eine Zeit der Prüfung für die EU. Umso mehr sei es traurig, schreibt das Blatt, wenn im Europäischen Parlament eine ideologische Diskussion über eine Sperrung von Finanzmitteln für Polen wichtiger sei, als die Hilfe für Frauen und Kinder, die vor dem Krieg fliehen.

EU-Politiker, die täglich über Menschenrechte sprechen, so die Tageszeitung, würden heute ihre ganze Energie auf den Rechtsstreit mit Polen konzentrieren. Europa müsse sich im Namen der Solidarität selbst aufrütteln. Wenn EU-Politiker angesichts russischer Panzer und Millionen von Flüchtlingen an der EU-Grenze weiterhin darüber diskutieren werden, wie Polen zu bestrafen sei, dann hätten wir es mit einer tragischen Komödie zu tun. Einer Farce, über die Putin am lautesten lache.


Piotr Siemiński