Deutsche Redaktion

"Kiew enttäuscht, Moskau irritiert"

28.03.2022 13:28
Die Rede von US-Präsident Joe Biden in Warschau sei auch an die polnischen Eliten gerichtet gewesen, urteilt Rzeczpospolita. Außerdem geht es auch um die Reaktionen ukrainischer und russischer Medien auf den Auftritt und die ukrainische Verhandlungstaktik in den Gesprächen mit Russland. Dazu noch die Frage: Was bedeutet die Remilitarisierung Deutschlands für die polnische Außenpolitik?
Nie cichną echa przemówienia Joe Bidena w Warszawie
Nie cichną echa przemówienia Joe Bidena w Warszawietwitter.com/POTUS

Rzeczpospolita: Was Biden der PiS sagen wollte

Die Rede von US-Präsident Biden hatte viele Adressaten, schreibt in seinem Kommentar für die konservativ-liberale Rzeczpospolita der Publizist Michał Szułdrzyński. Es, so der Autor, sei sicherlich mit großer Aufmerksamkeit auf dem Kreml mitverfolgt worden, als Biden gesagt habe, dass Putin gehen müsse. Der Auftritt habe vielleicht auch den Ukrainern Hoffnung gegeben. Aber die Rede, so der Autor, sei auch an die polnischen Eliten gerichtet gewesen. 

Biden habe am Rande seiner Gespräche mit Polens Staatspräsident Andrzej Duda die Werte unterstrichen, die Polen und die USA verbinden würden: Freiheit, unabhängige Medien, das Mitbestimmungsrecht der Bürger, transparente Behörden und Rechtsstaatlichkeit. Kurz nach dem Auftritt Bidens, so der Autor, hätten die Politiker der PiS mit Genugtuung verkündet, dass der US-Präsident Polen für eine Demokratie halte, einen rechtsstaatlichen Staat, in dem die Medien frei seien. Die ganze Narration der Opposition von einem Anschlag auf die Demokratie, so der Tenor der Kommentare aus dem Regierungslager, sei damit hinfällig. Es sei natürlich erfreulich, dass die Regierungspolitiker gut gelaunt seien. Vor allem sollten sie sich aber selbst fragen, ob sie weiterhin am Bau einer nicht liberalen Demokratie festhalten und einen dritten Weg zwischen Ost und West suchen wollen. Oder die Änderungen im Justizwesen fortsetzen, die der Großteil der freien Welt kritisch beurteile. Auf einer Seite mit den USA im Kampf gegen Autokratien zu stehen bedeute, lesen wir, dass die PiS selbst auf alle autokratischen Versuchungen werde verzichten müssen. 

Polen, so Szułdrzyński, stehe heute erneut vor einer historischen Chance. Als größter Staat der Region und Ukraines Nachbar seien die Augen der Welt auf uns gerichtet. Dies sei eher ein Geschenk des Schicksals als der Verdienst der Regierenden, die Polen in den letzten Jahren vom Westen isolieren wollten. Und sich auch dann noch mit Putins Verbündeten in Europa getroffen hätten, als die USA vor einer nahenden Invasion gewarnt haben. Nun würden die Regierenden sehen, wo Polen in Bezug auf den Konflikt stehe und wo Orbans Ungarn. Es bleibe nur zu hoffen, dass sie die richtigen Schlüsse daraus ziehen. 

Staatspräsident Andrzej Duda, so der Autor, habe schon früher verstanden, wozu der Konfliktkurs der PiS führen könne und beispielsweise das gegen den oppositionsnahen und zu einem US-Konzern gehörenden Fernsehsender TVN gerichtete Mediengesetz mit einem Veto belegt. Die heutigen Gespräche mit Polen seien auch der Verdienst der Bemühungen des Staatspräsidenten in den letzten Monaten. Statt in Triumphalismus zu verfallen, sollte die Regierungspartei also besser eine Gewissenserforschung wagen, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Kiew enttäuscht, Moskau irritiert

Die ukrainischen Kommentatoren seien von der Rede von Joe Biden enttäuscht gewesen, schreibt in seiner heutigen Ausgabe das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Der Großteil der Analytiker, so das Blatt, habe auf konkrete Ankündigungen zu militärischer Hilfe gezählt. “Die Rede von Biden ist sehr schwach gewesen”, habe etwa Ivan Jakowin von dem Wochenblatt “NW” geschrieben. Biden habe Europa aufgerufen, sich nicht zu fürchten. Doch neue Raketen, Jets, Panzer, Artillerie und Kampfdrohnen habe er Kiew nicht zugesichert. Es sei von nichts die Rede gewesen, dass tatsächlich die Situation an der Front ändern würde. Wieso? Da er Angst habe, dass Putin bei weiteren Verlusten Polen mit Atomwaffen angreifen könnte  und die USA dann selbst in den Kampf eingreifen müssten. Er habe Putin einen Schlachter genannt, aber dieser werde diese Bezeichnung wohl herzlichst wenig angehen, so Jakowina. 

Die russischen Medien hätten sich indes auf die Aussage über Putin konzentriert, der, wie Biden einräumte, “nicht länger an der Macht bleiben darf”. Das Weiße Haus habe die Botschaft zwar schnell relativiert und erklärt, dass es sich nicht um einen Aufruf zu einem Regimewechsel handelt, doch die russische Propaganda habe keine Zweifel, dass diese Worte die wahren Absichten der USA in dem Konflikt verraten, so Dziennik/Gazeta Prawna.  

Dziennik/Gazeta Prawna: Schwierige Friedensverhandlungen mit Russland

Das ganze Projekt der russischen Vorschläge bei den Verhandlungen mit der Ukraine sehe aus, wie ein Dokument, dass noch vor Kriegsbeginn geschrieben worden ist, sagt im Gespräch mit Dziennik/Gazeta Prawna der Minister in der Präsidialkanzlei Jakub Kumoch. Aus der Zeit also, als die Russen noch geglaubt hätten, dass sie einen schnellen Sieg verbuchen werden, Selenskyj aus dem Land flüchtet und Moskau eine Marionettenregierung in Kiew installieren wird. Heute, so Kumoch, sei klar, dass eine solche Regierung nicht entstehen wird und auch keine Chancen auf Unterstützung hätte, da es so gut wie keine Fälle von Verrat auf ukrainischer Seite gibt. Es gebe keine Fraktionen in der Ukraine, die die russische Besatzung befürworten, so der Minister.

Die Russen, so der Politiker weiter, hätten auch darauf gezählt, dass die Ukraine die Verhandlungen abbrechen wird, wenn sie die russischen Vorschläge sieht. Stattdessen hätten die Ukrainer begonnen, diese Punkt für Punkt zu besprechen und auf intelligente Weise ihre Lächerlichkeit zu exponieren. So hätte die ukrainische Seite etwa eine Stellungnahme Russlands zum Memorandum von Budapest von 1994 gefordert, das der Ukraine die territoriale Integrität für den Verzicht auf Atomwaffen garantierte und dessen Unterzeichner unter anderem Russland gewesen sei. Die Russen hätten in Reaktion darauf erwidert, dass das Memorandum kein Bezugspunkt sein könne, da es die territoriale Integrität der Ukraine garantiere. Und damit zugegeben, dass Russland eben diese derzeit verletzt. Russland habe zudem gefordert, dass die Ukraine Moskau vieles garantiere, wie etwa die Russischsprachigkeit oder den Kult des “Väterländischen Kriegs”. Alles Forderungen, die es dem Kreml anschließend ermöglichen würden, der Ukraine immer wieder den Vertragsbruch vorzuwerfen und erneut militärisch einzugreifen.

Auch die von Russland vorgeschlagene Version der Neutralität, laut der die Ukraine ohne russische Erlaubnis keinen internationalen Bündnissen und Organisationen beitreten dürfte, könne die Ukraine nicht akzeptieren. Seiner Meinung nach, käme dies einer Einladung zu weiteren Kriegen gleich. Die Ukraine strebe in Bezug auf die Neutralitäts-Forderung eher das schwedische Modell an, in dem die volle Entscheidungsfreiheit in Bezug auf Bündnisse und die eigene Armee gewahrt bleibe.

Gefragt danach, ob Putin angesichts der militärischen Verluste auf Massenvernichtungswaffen zurückgreifen könnte, erinnert Kumoch daran, dass dies zweischneidige Waffen sind. Sie können Konsequenzen für die an die Ukraine grenzenden NATO-Staaten haben und Artikel 5 aktivieren. Sie können auch Folgen für Belarus und die Russen selbst haben. Und chemische Waffen habe auch Deutschland im Zweiten Weltkrieg genutzt. Solche Kriegsverbrechen würden keine Kriege gewinnen, sondern zusätzliche Wut und Widerstand schüren, so Jakub Kumoch im Gespräch mit Dziennik/Gazeta Prawna. 

Rzeczpospolita: Neudefinierung der Politik gegenüber Deutschland notwendig

Der Politologe Marek Cichocki appelliert in der Rzeczpospolita um eine Neudefinierung der polnischen Politik gegenüber Deutschland. Dies, so Cichocki, sollte neben der Vertiefung des Bündnisses mit den USA und der Stärkung der eigenen Armee eine Priorität der polnischen Regierung sein. Wenn Deutschland sich militärisch wieder aufbaue, so Cichocki, dann könne Polen dem Prozess nicht einfach passiv zusehen. Stattdessen sollte Warschau eine aktive Rolle bei der Definition dieser Wiederaufrüstung spielen, so dass diese der Stärkung der Sicherheit der ganzen Region und Polens dient. Daher sollte die Regierung sich darauf konzentrieren, Mechanismen der politischen und militärischen bilateralen Zusammenarbeit mit Deutschland zu schaffen und dabei auch die Möglichkeiten zu nutzen, die die Mitgliedschaft in der NATO und EU biete. Wir, so der Autor, sollten uns keine Illusionen machen, dass solche Bemühungen westlich der Oder auf Sympathie stoßen werden. In Deutschland gebe es sowohl Gegner einer Remilitarisierung, als auch diejenigen, die diese gerne für die Wiedererlangung der strategischen Unabhängigkeit Deutschlands auf dem Kontinent nutzen würden. Auch Paris würde seine eigenen Ideen zur strategischen Autonomie haben, die nicht unbedingt der Sicherheit der ganzen Region dienen. Umso mehr müsse Polen nun seinen Einfluss auf die deutsche Politik und die Zusammenarbeit im Verteidigungsbereich stärken, so Marek Cichocki in der Rzeczpospolita. 

Autor: Adam de Nisau