Deutsche Redaktion

Gemeinden ohne Gas

29.04.2022 12:55
Putin versucht mit dem Gaslieferstopp erneut ,die EU zu spalten, sagt im Gespräch mit der Rzeczpospolita Thomas Pellerin-Carlin. Seit dem Lieferstopp fließt in einigen Gemeinden in Polen kein Gas mehr. Und: Geopolitik-Experte sieht EU auf dem Scheideweg. Die Einzelheiten in der Presseschau.
Jak pisze Die Weltwoche, zakręcenie kurka z rosyjskim gazem to szok dla wielu krajów, ale nie dla Polski
Jak pisze "Die Weltwoche", zakręcenie kurka z rosyjskim gazem "to szok dla wielu krajów, ale nie dla Polski"63ru78/Shutterstock

Ein wichtiges Thema in der Presse ist heute der Abbruch von Gaslieferungen an Polen und Bulgarien sowie die möglichen weiteren Entwicklungen im Bereich der Energiesicherheit.

Rzeczpospolita: Wem wird Putin nach Polen den Gashahn abdrehen?

Wie Thomas Pellerin-Carlin vom Jacques-Delors-Institut in Paris im Gespräch mit der konservativ-liberalen Rzeczpospolita beobachtet, hätten höchstwahrscheinlich nicht nur Polen und Bulgarien die Einrichtung eines Rubelkontos bei der Gazprom-Bank abgelehnt. Putin habe sich aber entschieden, vor allem diese beiden Staaten zu bestrafen, um erneut zu versuchen, die EU zu spalten. “Polen ist seit jeher sein Ziel gewesen. Und im Falle von Bulgarien will er einen Sturz der sowieso schon geschwächten Regierung erreichen”, so der Experte.

Nun würden am kommenden Montag die Energieminister der EU-Staaten während einer Sondersitzung über Unterstützungsmöglichkeiten für die von russischen Lieferungen abgeschnittenen Staaten beraten. Auch bilaterale Hilfe wäre laut Pellerin-Carlin angebracht. “Nach Jahren der prorussischen Politik in der Gasdebatte könnte Deutschland endlich zeigen, dass es Polen unterstützt und wenigstens symbolisch eine gewisse Menge von Gas aus seinen Reserven nach Polen schicken. Auch wenn Polen dies derzeit nicht so sehr brauche”, meint der Experte des französischen Think Tanks.

Zudem müsse die EU sich dringend auf einen totalen Lieferstopp von russischer Seite vorbereiten. Nicht nur durch Gaseinkäufe aus anderen Quellen, aber auch durch die schnelle Umsetzung von Energiesparmaßnahmen innerhalb der Staatengemeinschaft, so Thomas Pellerin-Carlin im Gespräch mit der Rzeczpospolita. 

Gazeta Wyborcza: Gemeinden ohne Gas

Nach dem Lieferstopp fließt in einem Teil der polnischen Gemeinden seit Mittwoch kein Gas mehr, schreibt in ihrem heutigen Aufmacher die linksliberale Gazeta Wyborcza. In Mieścisko in Großpolen betrifft das Problem einige Dutzend Haushalte, die Stadtbehörden und einen großen Produktionsbetrieb für Tierfutter. “In der Schule, die von 500 Schülern besucht wird, funktioniert die Küche nicht. Gas fehlt auch in 250 Haushalten”, sagt wiederum Justyna Cholewińska Michalczyk von der nahe Warschau gelegenen Gemeinde Cegłów. Auch im Touristenort Łeba seien, kurz vor dem Maiwochenende, 80 Prozent der Bewohner von Gas abgeschnitten. Und natürlich Hotels, Pensionen sowie Ferienwohnungen. “Wir haben keinen Notfallplan”, so Vize-Bürgermeister Krzysztof Król. Grund für die Probleme, so das Blatt, sei die Tatsache, dass sich ein Teil der Infrastruktur für Gaslieferungen in den Händen des vom russischen Konzern OAO Novatek kontrollierten Unternehmens Novatek Green Energy aus Krakau befinde, das Polen zuletzt auf seine Sanktionsliste gesetzt habe. Laut Vize-Innenminister Maciej Wąsik sei nun nicht ausgeschlossen, dass der Premierminister auf der Grundlage der Vorschriften zum Krisenmanagement die Übernahme der Gasinstallationen durch polnische Firmen anordnen wird.

Der Winter könnte hart werden, lesen wir weiter, aber das Gas werde Polen nicht ausgehen. Die Magazine seien zu 76 Prozent gefüllt (der EU-Durchschnitt liege bei 32 Prozent), was bedeute, dass Polen schon jetzt über den Großteil der für den Winter notwendigen Reserven verfüge. Zudem soll noch in diesem Jahr die Baltic Pipe in Betrieb genommen werden, über die Gas aus Norwegen nach Polen fließen werde, erinnert die Gazeta Wyborcza.

Dziennik/Gazeta Prawna: EU auf dem Scheideweg 

Die EU befindet sich infolge des Kriegs in der Ukraine auf einem Scheideweg, schreibt in seiner Analyse für die Wochenendausgabe des Wirtschaftsblatts Dziennik/Gazeta Prawna der Geopolitik-Experte Witold Sokała. Heute, so der Autor, sei deutlich eine Schwächung des deutsch-französischen Duetts zu erkennen, die sowohl von Umwälzungen in der Innenpolitik der beiden Staaten, als auch von geopolitischen Fehlern der vorherigen Regierungen befördert werde. Das bedeute, dass Deutschland entweder zur Politik der Loyalität gegenüber Washington zurückkehren wird (und Frankreich, ob es will oder nicht, diesem Beispiel folgt). Oder dass das Projekt der europäischen Integration durch zentrifugale Tendenzen verschwimmt und mit der Zeit auf externe Formen ohne echten Inhalt reduziert wird. Unabhängig davon, welches Szenario gewinnen werde, sei schon jetzt sicher, dass die “harte” Sicherheit des Alten Kontinents, und vor allem seiner östlichen Grenzen künftig vor allem auf bilateraler Kooperation mit den USA, vielleicht auch in Zusammenarbeit mit Großbritannien und bestimmt mit den NATO-Strukturen beruhen wird, so Witold Sokała in Dziennik/Gazeta Prawna.

Autor: Adam de Nisau