Deutsche Redaktion

"Die Selbstaggression des Westens"

04.05.2022 11:24
In den letzten Wochen nach der russischen Aggression auf die Ukraine sei die Gefahr für viele real geworden, schreibt in seinem Feuilleton der Philosoph, Professor Marek Cichocki. Im Grunde, sei es ein Krieg zwischen Russland und den Vereinigten Staaten oder, breiter gefasst, dem Westen in einer Form, in der wir ihn seit dreißig Jahren kennen.
Der Blick in die polnische Presse
Der Blick in die polnische PressePixabay.com

RZECZPOSPOLITA: Die Selbstaggression des Westens 

In den letzten Wochen nach der russischen Aggression auf die Ukraine sei die Gefahr für viele real geworden, schreibt in seinem Feuilleton der Philosoph, Professor Marek Cichocki. Im Grunde, sei es ein Krieg zwischen Russland und den Vereinigten Staaten oder, breiter gefasst, dem Westen in einer Form, in der wir ihn seit dreißig Jahren kennen.

Bisherige akademische Diskussionen über den Zusammenprall der Zivilisationen, den Wettkampf zwischen dem Westen und solchen Staaten wie China, Indien oder eben Russland würden nun von blutigen Kämpfen auf dem ukrainischen Territorium begleitet. Man sollte dabei in Erinnerung behalten, dass in den vergangenen zwei Jahrzehnten keiner so verbissen gegen den Westen gekämpft habe, wie der Westen selbst. Die Selbstaggression sei seit langem der wichtigste Faktor, der zu einer Dekonstruktion der westlichen Welt beitrage. Sie schwäche die Position des Westens in der Welt und zweifle seine weitere Existenz an, führt der Autor fort. Der Westen habe einfach angefangen, sich selbst zu hassen.

Man müsse dabei festhalten, so Cichocki weiter, dass die Selbstkritik immer ein wichtiger Faktor gewesen war, der die westliche Welt vor einer gefährlichen Selbstzufriedenheit geschützt habe. Das selbstkritische Denken sei ein Motor der Entwicklung gewesen, das dem Westen verholfen habe, mit der Zeit eine privilegierte Stellung einzunehmen. Die Tendenz, die man aber seit über 20 Jahren in Europa beobachten könne, habe nichts mit einer gesunden Selbstkritik gemeinsam. Vielmehr sei es ein unverständlicher Drang zu Selbstzerstörung. Plötzlich erfahre man, dass der Westen für das größte Übel der Welt die Verantwortung trage: die Sklaverei, Rassismus, Kriege, Ausbeutung – der Westen beute die Erde aus und zerstöre die Natur. Kein anderer in der Geschichte der Menschheit habe es getan, die anderen seien nur Opfer des aggressiven Westens gewesen. Es wäre daher an der Zeit, dass sich der Westen nun zurückziehe und in seiner Expansion beschränke, meinen die Konservativen. Oder sollt sich der Westen einfach auflösen, fügen die Linken hinzu. Dann wäre die Welt besser.

Beide Lösungen würden europäischen Intellektuellen und der Öffentlichkeit seit langem aus Peking und Moskau zugeflüstert. Das Ziel sei klar: Der Westen sollte das Vertrauen an sich selbst verlieren, und die Welt solle zugleich vergessen, dass der Westen immer noch ein besserer Ort zum Leben sei, als China oder Russland, schreibt in seinem Kommentar die Tageszeitung Rzeczpospolita. 

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Problempapst 

Die Haltung des Papstes sorgt in Polen für Unmut, schreibt in der neuen Ausgabe die Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna. Papst Franziskus habe dem Corriere della sera in einem Interview gesagt, dass die NATO zumindest teilweise die militärische Intervention Russlands in der Ukraine provoziert haben könnte. Der Papst merkte an, dass das Bellen der NATO an Russlands Tür Moskau möglicherweise dazu veranlasst habe, eine militärische Operation in der Ukraine zu starten, oder zumindest zu dieser Entscheidung beigetragen habe.

Seine Empörung habe unter anderem Bildungsminister Przemysław Czarnek gezeigt. Eine solche Aussage stehe dem Oberhaupt der Katholischen Kirche nicht zu. Dies sei ein Versuch Putin zu verteidigen, eine solche Aussage ähnele der russischen Propaganda, meint der Politiker. Dabei handle es sich um keine spontane Aussage. Mit Sicherheit habe man das Interview vor der Veröffentlichung autorisieren lassen. Wenn man diesen Satz gelassen habe, bedeute es, dass der Papst ihn dort haben wollte, so Czarnek in Dziennik/Gazeta Prawna.

Franziskus habe darüber hinaus angekündigt, dass er bereit sei, nach Moskau zu gehen, um Wladimir Putin zu drängen, den Krieg gegen die Ukraine zu beenden. Dies habe er dem russischen Präsidenten Mitte März mitteilen lassen, aber bisher keine Antwort erhalten. Ein Besuch in der Ukraine stehe momentan nicht an. Er spüre, so Franziskus, dass er nicht gehen sollte. Zuerst müsse er nach Moskau gehen, zuerst müsse ich Putin treffen, lesen wir in Dzienik/Gazeta Prawna.


Jakub Kukla