Deutsche Redaktion

Polen wird zum NATO-Frontland

30.06.2022 12:25
Der NATO-Gipfel in Madrid dominiert die Titelseiten. 
Jest nowa Koncepcja Strategiczna NATO
Jest nowa Koncepcja Strategiczna NATOPAP/EPA/Juan Carlos Hidalgo

Rzeczpospolita: Polen wird zum NATO-Frontland

Der NATO-Gipfel in Madrid gebe der Ukraine keine Hoffnung auf einen Beitritt zum Bündnis. Polen hingegen sei für die Rolle des Frontlands des Pakts nicht bereit, meint Jędrzej Bielecki für die Rzeczpospolita. Im fünften Kriegsmonat zeigen die Appelle des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyjs nach einer stärkeren Beteiligung des Westens am Krieg mit Russland immer weniger Wirkung. Anders als zuletzt die EU, gebe das Bündnis der Ukraine keine Hoffnung auf eine Mitgliedschaft. Die Ukraine wolle aber diese Absage sowie die Möglichkeit territorialer Konzessionen an Russland noch nicht zur Kenntnis nehmen. Die Alliierten sollen befürchten, dass die Ankündigung einer weiteren Ausweitung des Paktes nach Osten von Putin als Provokation gesehen und zu einer weiteren Eskalation des Krieges führen würde. Einem Konflikt, schreibt Bielecki, den der Kreml seit einigen Wochen zu gewinnen scheine. Aus Sicht der NATO sei der neutrale Status der Ukraine ein wichtiges Element des Friedens mit Russland. Das wolle Deutschland, Frankreich und Italien aber zunehmend auch Amerika, heißt es im Blatt.

Ein Ausdruck der Nato-Zurückhaltung sei auch der Mangel einer substanziellen Aufstockung der ständigen Militärpräsenz an der Ostflanke, lesen wir weiter. Polens Behörden müssten sich in Madrid statt dessen mit dem Ausbau des Vorkommandos des V. US-Korps begnügen. Dort sollen statt 200 Offizieren jetzt 700 delegiert werden. Seit mehreren Jahren, fährt der Autor fort, werde in Polen mit Unterstützung der NATO und der USA auch die strategisch wichtige Infrastruktur ausgebaut. Neue Flughäfen, Treibstofflager und Rüstungslager entstehen. Gleichzeitig kämpfe Polens Verteidigungsministerium aber mit gravierenden Problemen bei der modernen Ausstattung von Soldaten sowie einem Personalmangel. Und das obwohl das Budget des Verteidigungsministeriums 2,5 Prozent der BIP erreicht habe. Die Rolle eines Frontlands, das einen möglichen Erstschlag aus dem Osten übernehmen müsste sei schwierig. Werde Polen im Stande sein eine solche Last zu tragen, fragt Jędrzej Bielecki abschließend.

POLITYKA: Zeit der Konfrontation 

Es gab kein Fort Trump, es wird Fort Biden geben. Polen habe seine ersten dauerhaften amerikanischen Stützpunkte, schreibt indes das Wochenblatt POLITYKA. Vorerst würden dort aber nicht Hunderte von Panzern, sondern Hunderte von Stabsoffizieren und Logistikern stationieren. Aber dies sei jetzt egal - alle seien glücklich, heißt es. Polen habe so lange eine fast obsessive Bindung an die Frage der dauerhaften Stationierung von US- oder anderen NATO-Staaten gezeigt, dass heute die wichtigste eine der weniger wichtigen Schlussfolgerungen des Gipfels sei: in Polen entstehe das ständige Kommando des V. US-Armeekorps sowie ein Unterstützungsbataillon und eine Militärgarnison.

Die amerikanische Absicht sei klar: Bodentruppen in Europa bräuchten ein einsatzfähiges Kommandohauptquartier, das auf die NATO-Ostflanke orientiert ist. Bemerkenswert sei, dass die Amerikaner sich unter den an Russland oder die Ukraine grenzenden Ländern jetzt nur in Polen dauerhaft niederlassen. Vor dem Hintergrund amerikanischer Ankündigungen mag das von der NATO auf dem Gipfel beschlossene neue Verteidigungsmodell trotzdem verschwommen und undefiniert erscheinen, so das Wochenblatt. Es gebe keine Stützpunkte, keine Schiffe, keine Flugzeuge in den Erklärungen. Es seien nur große Zahlen genannt worden, die auf das gesamte militärische Potenzial der Allianz hindeuteten. Es habe keine Hinweise auf Kampftruppen, die man an einen bestimmten Ort schicken würde, gegeben. Der NATO-Generalsekretär habe nur die Zahl 300.000 genannt. Dies sei aber lediglich eine Idee, die von den Mitgliedstaaten umgesetzt werden müsste. Wäre in Madrid keine andere Entscheidung verkündet worden, hätte die über die Aufnahme zweier skandinavischer Länder in die Nato ausgereicht, so das Blatt, um den Gipfel als Durchbruch zu bewerten. Die Allianz habe sich jedoch auf viel mehr geeinigt, um einen historischen Wandel anzukündigen. Auch wenn die Pläne für 300.000 gegen Russland kampfbereite Truppen irgendwo gefunden werden müssen, sei die Absicht, solche Streitkräfte mit hoher Bereitschaft aufzubauen die größte systemische und mentale Veränderung seit dem Ende des Kalten Krieges.

Leider sei es auch eine Veränderung die ein Zeichen für einen neuen Kalten Krieg oder was schlimmer, heißt es, für die Bereitschaft zu einem wirklichen Krieg sein könnte. So brenzlig diese Aussicht auch sein möge, es sei nicht die NATO sondern Moskau, das diese Kettenreaktion ausgelöst habe. Das Bündnis habe zu lange Sanftmut und sogar Unterwerfung gegenüber Russland gezeigt. Ob die in Madrid getroffenen Entscheidungen ausreichen, ob sie Russland von einem Angriff abhalten und ob sie uns im Kriegsfall schützen werden, die Debatte darüber werde jetzt erst richtig beginnen, lautet das Fazit in POLITYKA.


DoRzeczy: Die NATO ist kein "Papiertiger" mehr 

Das Bündnis wandle sich zu einer Organisation, welche die aktuellen Bedrohungen verstehe und in der Lage sei, mutige und wichtige Entscheidungen zu treffen, sagt indes General Roman Polko in einem Interview mit dem Nachrichtenportal des Wochenblatts DoRzeczy. Anfang des Jahres habe die NATO nämlich noch den Eindruck gemacht, als hätte man es mit einem Papiertiger zu tun. Der Gipfel in Spanien habe hingegen gute Nachrichten gebracht.

Erstens habe die Türkei die Solidarität mit der NATO über ihre eigenen Interessen gestellt und der Aufnahme Schwedens und Finnlands zum Bündnis zugestimmt. Die NATO werde auch ein Kommando einrichten, das, wie früher in Deutschland, von nun an dauerhaft in Polen stationieren werde. Die Truppenstärke der Allianz sei auch auf 300.000 festgelegt worden. Es gebe ein neues strategisches Konzept. Der Gipfel in Madrid, so der General, sei deshalb zweifellos ein historisches Treffen.

Geht es nach dem hochrangigen Offizier sei die wichtigste Errungenschaft des NATO-Gipfels die Tatsache, dass die Länder des Bündnisses aufgehört haben, auf Russland zu schauen und sich von Putin an der Nase herumführen zu lassen. Auf dem Gipfel seien sich alle bewusst gewesen, dass Russland ein Land sei, das lüge und von einem skrupellosen Banditen geführt werde. Einem Mann, der Soldaten wie Kanonenfutter an die Front schicke, Zivilisten angreife und zivile Objekte bombardiere. Es sei wie zu Zeiten des Stalinismus, glaubt Polko. Putin versuche einzuschüchtern, aber der Westen habe endlich erkannt, dass Angst der schlechteste Ratgeber sei. Wenn der Westen 2008 beim Angriff auf Georgien oder 2014 beim Angriff auf die Ukraine so reagiert hätte, heißt es, wäre dieses Geschwür nicht so stark angeschwollen. Deshalb sei es so wichtig, dass Putin den Konflikt nicht einfrieren könne. Sollte es ihm dennoch gelingen, überzeugt der General am Schluss, würde der Krieg nur in noch größerem Ausmaß eines Tages zurückkehren.


Wprost: Die Nato hat Angst, Russland zu reizen 

Die Entscheidung, das US-Kommando des V. Korps in Polen zu platzieren, beweise, dass die NATO immer noch Angst habe, Russland zu reizen, schreibt indes das Nachrichtenportal der Wochenzeitung Wprost. Deshalb schicke das Bündnis Polen nur Generäle statt Frontsoldaten, die Moskau verscheuchen könnten. Trotzdem dürften Polen sich freuen, heißt es. Nach und nach nehme die US-Militärpräsenz an der Ostflanke der Nato zu. Erst gab es die Rotationspräsenz ganzer Einheiten, jetzt komme ein US-Hauptquartier hinzu. Trotzdem bleibe der Eindruck, so Wprost, dass die Verbündeten – angeführt von den Amerikanern – entschieden hätten, die einmalige Gelegenheit, die die russische Invasion in der Ukraine biete, nicht zu nutzen. Moskaus Angriffskrieg könnte es nämlich rechtfertigen, den Schwerpunkt der NATO weit nach Osten zu verlagern, Russland in der Ukraine zu besiegen und es für die kommenden Jahrzehnte in eine tiefe Verteidigung zu drängen. Dazu sei es jedoch nicht gekommen. Dies zeige, lautet das Fazit im Online-Blatt, dass die Länder der Nato-Ostflanke immer noch Nato-Mitglieder zweiter Klasse seien.


Piotr Siemiński