Deutsche Redaktion

Südeuropa will Deutschland nicht helfen

25.07.2022 12:56
Berlin habe seit Jahren nicht auf Appelle gehört, seine Gas-Abhängigkeit von Russland zu begrenzen. Jetzt wolle der Rest der Union, angeführt von Spanien, den Gürtel nicht enger schnallen, um Deutschland zu helfen, schreibt Jędrzej Bielecki im Aufmacher der Rzeczpospolita am Montag.
Europa droht eine Energiekrise
Europa droht eine Energiekriseshutterstock.com/Belish

Wie wir lesen, habe die spanische Ministerin für Energiepolitik festgestellt, dass Spanier, im Gegensatz zu anderen bei Energieimporten, nicht über ihre Verhältnisse gelebt hätten. Deshalb müssten sie heute keine Folgen tragen. Die Reaktion Madrids käme als eine Reaktion auf den am vergangenen Mittwoch von der Europäischen Kommission vorgestellten Plan, den Gasverbrauch aller EU-Staaten um 15 Prozent zu senken. Im Falle eines vollständigen Lieferstopps von Gazprom in Länder wie Deutschland oder Italien sollten genügend Vorräte in Europa vorhanden sein, um diese Engpässe auszugleichen.

Spaniens Erklärung sei ein klarer Hinweis auf die Situation vor 12 Jahren. Damals habe Deutschland Südeuropa verachtet und behauptet, es sei gerade deshalb in finanzielle Schwierigkeiten geraten, weil es „über seine Verhältnisse" gelebt hätte. Spaniens Gas-Hauptlieferanten seien die USA, Algerien und Nigeria. Madrid habe kurzfristig sogar eine radikale Erhöhung der algerischen Gasimporte und deren Transit ins übrige Europa vorschlagen. Dieses Angebot sei jedoch nicht nach dem Geschmack anderer EU-Staaten. Eine solche Wendung würde nicht etwa Deutschland, sondern Spanien zum Gas-hub für ein geeintes Europa machen.

Spaniens Ansicht teilen demnach Portugiesen, Griechen, Zyprioten, Malteser und Italiener. Zweifel, obwohl in abgemilderter Form, habe auch Polen. Frankreich bleibe unentschieden. Nach Angaben der Griechen, fährt Bielecki fort, sei der von Ursula von der Leyen vorgelegte Vorschlag zuvor nicht einmal mit anderen Mitgliedstaaten konsultiert worden. Die Chefin der Europäischen Kommission war in der Vergangenheit ein prominentes Mitglied im Team von Angela Merkel, das Berlins immer stärkere Abhängigkeit von Lieferungen aus Russland vorangetrieben habe, erinnert Bielecki im Blatt.

Geht es nach dem Autor, würden von der Leyens fehlende Konsultationen mit den Hauptstädten der EU nicht nur an die düsteren Zeiten der Finanzkrise erinnern. Damals habe auch die sog. Troika (EK, ECB und IMF) die bedingungslosen Konditionen der Finanzhilfe für Athen festgelegt. Ähnlich sei es auch mit der von Merkel 2015 vorgestellten Idee der Verteilung von Flüchtlingen in die EU gewesen. Über diese Pläne, heißt es abschließend in der Rzeczpospolita, habe damals selbst der engste Partner der Kanzlerin - der französische Präsident François Hollande - nichts gewusst.

Dziennik/Gazeta Prawna: Präsident Lech Kaczyński war ein Befürworter der Energiesolidarität 

Die durch Russlands Krieg in der Ukraine verursachte Energiekrise ist auch eines der Hauptthemen in der Dziennik/Gazeta Prawna. Der Treibstoff-Schock rücke immer näher und der kommende Winter könne extrem kalt werden. Gazprom wende verschiedene Tricks an, um zu verhindern, dass sich seine Empfänger sicher fühlen können, schreibt Piotr Wójcik im Blatt. Wohlhabende Deutsche seien mit dem Risiko einer Knappheit von Gas konfrontiert, das sie etwa viermal so stark bräuchten wie Polen. Deutschland mache auch fast ein Viertel des gesamten Gasverbrauchs in der EU aus. Deshalb fordere Berlin europäische Energie-Solidarität und den Zugang zu Gasvorräten anderer Mitgliedsstaaten.

Ein Befürworter der Idee einer EU-Energiesolidarität sei einst Polens ehemaliger Präsident Lech Kaczyński gewesen. Diese Idee dürfte also den Politikern der Regierungspartei gefallen, glaubt der Autor. Diese hätten sich jedoch traditionell dafür entschieden, nach Anzeichen deutscher Hegemonie zu suchen. Sie würden sich lieber auf deutsche Fehler konzentrieren und fragen, wo die Energiesolidarität und -sicherheit der gesamten Europäischen Union gewesen sei, als man entgegen dem Protest Polens mit dem Bau der Gaspipeline Nord Stream I begann. Eine Energiesolidarität liege indes nicht nur im Interesse Deutschlands, sondern auch Polens und ganz Europas, heißt es im Blatt. Ohne diese Solidarität könnte die kommende Treibstoff-Krise katastrophale Folgen haben.

Entgegen dem optimistischen Narrativ der polnischen Regierung, so Wójcik, brauche auch Polen die Unterstützung von Partnern, um für den Winter gewappnet zu sein. Es sei leicht, Berlin auf Fehler und sogar Egoismus hinzuweisen. In erster Linie könnten dies die Bewohner der südeuropäischen Länder tun, die während der Krise der Eurozone ziemlich brutal behandelt wurden, als man ihnen eine scharfe Sparpolitik aufzwang. Polens Region werde sich an Deutschland nicht nur wegen des Baus der beiden Nord Stream-Gaspipelines erinnern, die nur Geschäftsprojekte sein sollten und tatsächlich eine Möglichkeit waren, die Länder Osteuropas zu umgehen. Warschau erinnere sich auch an den Widerstand Berlins, die Ukraine in die NATO während dem Bündnisgipfel 2008 aufzunehmen. Geht es nach dem Autor sei auch Berlins Haltung zum Krieg zumindest fragwürdig. Zuerst habe Scholz die Ukraine überhaupt nicht bewaffnen wollen, da er ihren bevorstehenden Zusammenbruch voraussah. Die Ukraine aber kämpfe weiter und Berlin verzögere oder blockierte seine Waffenlieferungen. Im Fall des Ölembargos gegen Russland habe sich jedoch Budapest als größter Gegner herausgestellt. Für Orban habe Polens Rechte aber viel mehr Verständnis, heißt es.

Die Energiesolidarität sei keine Idee Deutschlands, schreibt Piotr Wócik abschließend, sondern der gesamten Europäischen Union. Der im März auf dem Gipfel von Versailles beschlossene REPowerEU-Plan gehe von einer schnellen Reduzierung der Gas-Einkäufe aus Russland aus. Das Ziel sei Gasvorräte in Europa zu teilen, um bis zum Ende des Jahrzehnts völlig unabhängig von Lieferungen aus dem Osten zu werden, so der Autor für Dziennik/Gazeta Prawna.


Rzeczpospolita: Die Stimmen missbrauchter Kinder hören

Ebenfalls in der Rzeczpospolita schreibt Tomasz Krzyżak, Politiker hätten wiederholt angekündigt, Pädophilie zu bekämpfen. Leider sei in dieser Angelegenheit außer Versprechen nicht viel passiert. Es bestehe kein Zweifel, dass Fälle von sexuellem Missbrauch von Minderjährigen durch einige Geistliche stigmatisiert und die Schuldigen bestraft werden müssten. Das Problem aber sei, so der Autor, dass einige Medien, die Pädophilie in der Kirche verurteilen, schweigen würden, wenn Fälle von Sexualdelikten ans Licht kämen, die nichts mit Geistlichen zu tun hätten. Dasselbe betreffe Politiker.

Gutes über die Kirche zu schreiben sei passé, lesen wir, weil es nicht in das Narrativ eines Teils der Gesellschaft passe. Trotzdem müsse man ehrlich sagen, dass es derzeit die einzige Institution in Polen sei, die ein gutes System der Prävention geschaffen habe. Personen, denen Geistliche Unrecht getan haben, könnten auch auf kostenlose psychologische Unterstützung zählen. Diejenigen, denen außerhalb der Kirche Unrecht getan werde, heißt es weiter, müssten selbst bezahlen. Der Staat wolle ihnen nicht helfen. Die Kirche habe zwar spät und unter äußerem Druck gehandelt, fährt der Autor fort. Aber es habe funktioniert. Die geschaffenen Mechanismen seien vielleicht noch nicht perfekt, aber sie seien vorhanden. Heute habe die Kirche kein Problem mit der Gegenwart, sondern mit der Vergangenheit. Es sei daher notwendig Kinder-Schutzmechanismen in anderen Fällen zu schaffen.

Gegen sexuelle Delikte müsse man auch im Sport und der Unterhaltungsbranche vorgehen. Von außen gebe es leider keinen solchen Druck auf den Staat. Die Regierungspartei spreche währenddessen sehr viel über die Familie und nenne die Aktivitäten vieler Organisationen als "Demoralisierung" von Kindern. Selbst tue sie aber nicht viel, um sie zu schützen. Eine Sonderkommission für Pädophilie fordere seit langem Sexualstraftäter in ein Sonderregister einzutragen. Bisher sei kein einziger wegen eines schlecht geschriebenen Gesetzes auf der Liste erschienen. Man habe Änderungen vorgeschlagen, es fanden Treffen mit Politikern und dem Präsidenten statt. Nichts passiere. Dieselben Politiker hätten früher versichert, dass sie die Pädophilie unermüdlich bekämpfen würden. War es nur eine populistische Rede um des Augenblicks willen, fragt Krzyżak. Wenn ja, dann sollten Kinderschuhe am Zaun des Parlaments und an den Türklinken der Abgeordnetenbüros aufgehängt werden. Vielleicht wache dann endlich jemand auf, lautet das Fazit des Autors in der Tageszeitung.


Piotr Siemiński