Deutsche Redaktion

Die beeindruckende Haltung der Polen

27.07.2022 11:00
Der Ausmaß der spontanen Hilfe der Polen für die ukrainischen Bürger nach dem russischen Überfall auf ihr Land habe alle Erwartungen übertroffen, schreibt in einem Kommentar in der Tageszeitung Rzeczpospolita der Publizist Michał Płociński. 
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RZECZPOSPOLITA: Beeindruckende Haltung 

Auf der einen Seite sei das keine große Überraschung, denn das Engagement der polnischen Bevölkerung habe man mit bloßem Auge gesehen. Auf der anderen Seite aber würden konkrete Zahlen, die in einer neuen Studie soeben veröffentlicht worden seien, beeindrucken. In den ersten drei Monaten hätten die Polen um die 10 Milliarden Złoty aus ihrem Privatgeld zur Verfügung gestellt. In irgendeiner Form hätten sich über 70 Prozent der Polen engagiert. Das eigene Einkommen habe dabei gar keine Rolle gespielt, denn auch die Niedrigverdiener hätten massiv Hilfe geleistet. Bei dem Landsturm habe übrigens weder die Ausbildung noch die Herkunft irgendeine Rolle gespielt. Polen mit dem Hochschulabschluss und mit einer Grundschulausbildung, Großstädter und Dorfbewohner hätten sich ohne lange zu zögern an die Arbeit gemacht. Lediglich ein Viertel der Polen habe sich in keiner Form an der spontanen Hilfsaktion beteiligt, lesen wir in Rzeczpospolita.

In der allgemein herrschenden Euphorie gäbe es selbstverständlich auch Gegenstimmen, führt Płociński fort. Kritiker bemängeln, dass sich die Polen in den ersten Wochen zwar sehr stark engagiert hätten, mit der Zeit aber ihre Aktivität nachgelassen habe. Heute seien die Polen nicht mehr so einsatzbereit, wie noch vor ein paar Wochen. Verschiedene Hilfsorganisationen würden signalisieren, dass momentan Freiwillige fehlen würden, die Depots seien inzwischen leer.

Mit dieser Kritik stimme der Publizist nicht überein. Die Polen hätten im richtigen Moment reagiert, dann, wenn die Hilfe am meisten gebraucht worden war. Genau dann, wenn weder der Staat noch der Privatsektor auf schnelles Handeln vorbereitet waren. Gerade in dem Moment hätten sich die Polen als Gesellschaft bewährt und ihre Hilfsbereitschaft habe alle Vorstellungen übertroffen. Somit hätten staatliche Institutionen die nötige Zeit bekommen, um sich zum Handeln vorzubereiten.

Die Polen würden es lieben, sich selbst zu kritisieren und die eigenen Komplexe zu zelebrieren. In diesem Fall sei das aber eine falsche Einstellung, meint der Publizist. Diesmal hätten die Polen einen realen Grund zur Freude. Und sie sollten deshalb stolz auf sich selber sein, lesen wir in der Rzeczpospolita

DO RZECZY: Permanente Empörung 

Gäbe es eine Möglichkeit, die Empörung in Strom zu verwandeln, könnte Polen den energetischen Problemen des gesamten Kontinents vorbeugen und Europa vor der bevorstehenden Krise retten, schreibt Rafał A. Ziemkiewicz in seinem Kommentar in der Wochenzeitschrift Do Rzeczy. Die sogenannte öffentliche Debatte bestehe in Polen im Grunde genommen darin, dass man empört sei über eine konkrete Aussage oder das Verhalten einer konkreten Person. In polnischen Medien habe man den alten Spruch „good news is no news“ weiterentwickelt. Keine Nachricht ist in Polen jene Nachricht, die keine Empörung hervorrufen würde, schreibt Ziemkiewicz. Die polnischen Medien würden ihre Zeit für wichtige Informationen nicht verlieren. Aus dem gigantischen täglichen Nachrichtenstrom würden die Redaktionen eine belanglose Twitter-Äußerung aushöhlen und sie in einer peppigen Form veröffentlichen. Über diesen Satz würde sich dann die Öffentlichkeit den ganzen Tag lang aufregen.

Dabei habe die polnische Empörung einen pulsierenden Charakter, wie der Wechselstrom. Wenn die eine Hälfte der Öffentlichkeit sich empöre, bleibe die andere Hälfte gelassen. Und umgekehrt, wenn die erste Hälfe ruhig bleibe, rege sich die Zweite bis zum Gehtnichtmehr auf. Interessant sei, dass im Grunde genommen beide Seiten ähnliche Aussagen und Verhaltensweisen empören würden, aber nur bei den politischen Gegnern.

Immer neue Beispiele dafür bringe jeder nächster Tag. Die gestrige Empörung werde von einer heutigen verdrängt. Das Land befinde sich in einem Zustand permanenten Aufruhr. Dabei würden die Polen die wirklich wichtigen Dinge aus den Augen verlieren, urteilt Rafał A. Ziemkiewicz in seinem Kommentar in der Wochenzeitschrift Do Rzeczy

SUPER EXPRESS: Reisen nicht für Senioren 

Von exotischen Sommerreisen können polnische Senioren nur träumen, berichtet die Tageszeitung Super Express. Die Überteuerung sei in Polen Tatsache geworden. Die sehr hohen Preise von Lebensmitteln, Medikamenten und Energie würden verursachen, dass sogar die Valorisierung und zusätzliche Auszahlungen von Renten die Lage der Senioren nicht verbessern. In einer solchen Situation seien Sommerferien außerhalb der eigenen vier Wänden für die meisten polnischen Rentner unerreichbar.

Anna Borowska aus dem ostpolnischen Przeworsk bekomme um die 500 Euro Rente im Monat. Sie leben von der Hand in den Mund. In diesem Jahr könne sie sich keinen Ferienausflug, sogar einen ganz kurzen, leisten. Sie werde den Sommer mit ihren Enkelkindern auf Balkonien verbringen, beschwert sich die 66-jährige Frau.

Im ähnlichen Ton äußert sich Bogusława Batorczuk aus Siedlce. Sie liebe es, die Welt kennenzulernen. Doch sie sei sich dessen bewusst, dass sie schon nichts anderen als ihre Geburtsstadt Siedlce werde sehen können. Die Rente gebe sich für Arzneimittel und Rechnungen aus. Für andere Aktivitäten bleibe nichts mehr übrig, klagt die 82-jährige Rentnerin. Die weite Welt könne sie nur im Fernsehen bewundern, schreibt Super Express.


Jakub Kukla