Deutsche Redaktion

“Verfassungswidrig und intern widersprüchlich”

29.05.2023 13:25
Diese Entscheidung dürfte all diejenigen, die auf ein Veto gehofft hatten, enttäuscht haben. Staatspräsident Andrzej Duda hat heute vormitttag angekündigt, das von der Regierungspartei PiS vorbereitete Gesetz zur Einrichtung einer Kommission zur Untersuchung russischer Einflüsse in Polen zu unterzeichnen und anschließend dem Verfassungsgericht vorzulegen. Mit der Weiterleitung an das Verfassungsgericht geht der Staatspräsident zwar einen Schritt auf die Kritiker des auch als “Lex Tusk” bezeichneten Gesetzes zu. Doch wie die Appelle, die im Vorfeld der Entscheidung in den heutigen Ausgaben der Tagesblätter erschienen waren, zeigen, werde dies für die meisten dieser Kritiker ein eher schwacher Trost sein.
Rzecznik PiS: jestem zadziwiony paniczną reakcją Donalda Tuska i PO ws. komisji weryfikacyjnej
Rzecznik PiS: jestem zadziwiony paniczną reakcją Donalda Tuska i PO ws. komisji weryfikacyjnej PAP/Leszek Szymański

Rzeczpospolita: “Herr Präsident, jetzt das Veto”

Es ist unmöglich, dieses Gesetz aus irgendeiner Perspektive zu verteidigen, schreibt etwa im Aufmacher der konservativ-liberalen Rzeczpospolita der Chefredakteur des Blattes, Bogusław Chrabota. Dieses schlechte Gesetz, so der Autor, sei ein Verrat an allen wichtigsten Werten des wiedererstandenen Staates. Zumindest für seine Generation, betont Chrabota, seien diese Werte außergewöhnlich klar gewesen. Es sei die Vision eines unabhängigen, gerechten, rechtsstaatlichen, demokratischen und gewaltfreien Polens. Und das Gesetz zur Untersuchungskommission sei, wie kein anderes polnisches Gesetz seit 1989, mit diesem Traum unvereinbar. Das souveräne polnische Staatswesen, so Chrabota weiter, verfüge bereits über Instrumente, um mit der realen Bedrohung durch russische Agenten und ihr Einflussnetzwerk umzugehen. Es gebe zahlreiche und ausreichend ausgestattete polnische Dienste und Unterstützung von Verbündeten - man denke an den Geheimdienstapparat der NATO oder die im Umgang mit Russland erfahrenen Amerikaner.

Bei den Bestimmungen dieses verhängnisvollen Gesetzes, so der Autor, gehe es vor allem um parteipolitische Interessen. Unter dem Vorwand erdachter Vorwürfe sollen politische Gegner vor der Öffentlichkeit diffamiert werden, um sie zu stigmatisieren und die Wähler von ihnen abzuwenden. Am Ende würden sie als Menschen Moskaus gebrandmarkt. In den Augen der Wähler der Konservativen würden sie für immer solche bleiben, unabhängig von ihrer tatsächlichen Schuld. “Haben die Gründerväter der Unabhängigkeit ein solches Polen angestrebt?”, fragt Chrabota. “Finden wir dieses Bild von Polen in der Verfassung?” Ein Polen, in dem elementare Grundsätze der Gewaltenteilung gebrochen und bürgerliche Freiheiten verletzt würden, in dem das Rückwirkungsverbot nicht gelte, wo Angst die Waffe gegen Gegner sein solle und wo deren Schicksal durch den Willen einer politischen Mehrheit entschieden werde?

Es müsse klar gesagt werden, selbst ein Krieg an unseren Grenzen sollte nicht zu der Verwendung solch undemokratischer Instrumente provozieren. “Herr Präsident Andrzej Duda, es ist Ihre Zeit, den selbstzerstörerischen Kurs der polnischen Demokratie zu stoppen. Lassen Sie sich nicht als ihr Totengräber in Lehrbüchern einschreiben. Das demokratische Polen wartet auf dieses Veto”, so Bogusław Chrabota in der Rzeczpospolita. 

Dziennik Gazeta Prawna: “Verfassungswidrig und intern widersprüchlich”

Eindeutig für ein Präsidenten-Veto spricht sich in einem Gespräch mit dem Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna auch der Verfassungsexperte dr. hab. Ryszard Piotrowski aus. Geht es nach Piotrowski, verletze das Gesetz zum Untersuchungsausschuss die Grundlagen der demokratischen Ordnung, insbesondere Artikel 11 der Verfassung, der besage, dass Parteien demokratische Methoden anwenden. Hier hätten wir es mit einer Situation zu tun, in der im Zusammenhang mit den Wahlen eine Verwaltungsbehörde geschaffen werde, die mit Hilfe von Steuergeldern die Gegner der Mehrheit verunglimpfen solle, was weder in der Begründung noch in der Diskussion verheimlicht werde. In der parlamentarischen Debatte habe ein Befürworter des Gesetzes erklärt, dass diese Kommission zeigen wird, wen die Polen nicht wählen sollten, erinnert Piotrowski. 

Zudem beinhalte das Gesetz auch interne Widersprüche. Artikel 4 besage etwa, dass die Kommission Untersuchungen durchführt, um die Aktivitäten von Personen zu klären, die unter russischem Einfluss gehandelt haben. Das bedeute, dass die Kommission bereits weiß, dass sie unter russischem Einfluss handelten, und daher auf der Grundlage einer Schuldvermutung agiere. Die Aufgabe des Gremiums solle es also sein, diese Personen vorzuladen und darauf hinzuweisen, dass die Polen sie nicht wählen sollten. Es gehe nicht darum, irgendetwas zu klären oder zu untersuchen. 

Darüber hinaus gehe das Gesetz auch davon aus, dass eine Veränderung in der internationalen Lage Handlungen, die zuvor legal waren, delegitimiert. Wenn das der Fall sei, dann berechtige jede Veränderung in der internationalen Lage zu einer retrospektiven Anwendung von Repressionen. Nach dieser Logik müsste beispielsweise Obama vor einem ähnlichen Ausschuss im Kongress stehen und Kanzlerin Merkel vor dem Bundestag. 

Hinzu käme die Tatsache, dass Mitglieder des Ausschusses uneingeschränkten Zugang zu sensiblen Daten erhalten sollen - zu Materialien, die im Rahmen von Ermittlungsverfahren gesammelt worden seien, zu Informationen über operative Maßnahmen, zu Daten über Agenten, aber auch zu Informationen, die das Recht auf Privatsphäre verschiedener Personen verletzen können. Und zwar ohne für die Offenlegung dieser Daten zur Verantwortung gezogen werden zu können. 

Es sei eine Art Inquisitionsbehörde, die ganz klar das Recht auf ein faires Verfahren, die Gewaltenteilung und die Unschuldsvermutung verletze. Das Verfassungsgericht sei derzeit nicht funktionsfähig. Daher habe der Staatspräsident, der über die Verfassung wachen müsse, keine andere Wahl, als ein Veto gegen dieses verfassungswidrige Gesetz einzulegen, sagt dr. hab. Ryszard Piotrowski im Gespräch mit Dziennik/Gazeta Prawna. 

Rzeczpospolita: Alle Agenten Moskaus (und Berlins)

Eine weitere emotional geführte Diskussion ist die Debatte über die Zukunft von Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak. Nach den Zweifeln in Bezug auf die Rolle des Vizepremiers und Vertrauten von PiS-Chef Kaczyński beim Skandal rund um die erst Monate nach ihrem Absturz nahe Bydgoszcz gefundene russische Rakete, sei nur noch jeder dritte Polen (31,6 Prozent) der Meinung, dass Błaszczak auf seinem Posten bleiben sollte, berichtet die Rzeczpospolita. Mehr als die Hälfte der von IBRiS befragten Personen ist der Meinung, dass der Verteidigungsminister seinen Posten verlassen sollte. 

Der Minister habe sich sein sinkendes Ansehen selbst erarbeitet, schreibt in ihrem Kommentar zur Umfrage die Publizistin Zuzanna Dąbrowska. Offensichtlich habe es den Bürgern nicht gefallen, dass er die Schuld auf Generäle abgewälzt und ungeschickte Erklärungen abgegeben hat, dass diese ihren Vorgesetzten nicht über die Gefahr informiert hätten. Aber PiS-Chef Jarosław Kaczyński helfe ihm dabei, so gut er könne. Zuerst habe der PiS-Chef den TVN-Journalisten, der nach einem Rücktritt fragte, einen "Vertreter des Kremls" genannt und dann präzisiert, dass alle, die Zweifel am Verhalten des Ministers haben, an einer Aktion zugunsten Moskaus teilnehmen.

Die Alternative "entweder Błaszczak oder Putin" überzeuge selbst viele PiS-Wähler nicht. Wie aus der Umfrage hervorgehe, habe sogar ein Teil der PiS-Stammwähler den Enthusiasmus für Błaszczak verloren. Es scheine also, dass Jarosław Kaczyński jetzt eine Image-Auffrischung für seinen Favoriten durchführen oder nach einem Nachfolger suchen muss, so Zuzanna Dąbrowska in der Rzeczpospolita.

Gazeta Polska Codziennie: Kreml-Attacken auf den Verteidungsminister

Ganz anderer Meinung ist die regierungsnahe Gazeta Polska Codziennie. In der heutigen Ausgabe des nationalkonservativen Blattes wird der “Kreml” durch alle Fälle durchdekliniert. So geht es in den beiden politischen Kommentaren auf der zweiten Seite um die “Kreml-Propaganda” des oppositionsnahen Senders TVN, um die echte russische Propaganda. Und im Aufmacher eben um die, wie es im Titel heißt “Kreml-Attacken auf den Verteidigungsminister”. “Es gibt Geld für die Aufrüstung der Armee, und es gibt einen Minister, der diesen Prozess sehr erfolgreich umsetzt”, zitiert das Blatt PiS-Chef Kaczyński. “Das”, so Kaczyński weiter, “ist in der heutigen Zeit wirklich äußerst schwierig und erfordert eine enorme Aktivität auf der internationalen Bühne, und Herr Mariusz Błaszczak meistert dies sehr gut. Mit dem gleichen Erfolg entwickelt er unsere Produktionsmöglichkeiten und arbeitet an der Vergrößerung der Armee. Und wir alle können davon ausgehen, dass dies zumindest einer Hauptstadt sehr missfällt, vielleicht auch einer anderen auf der anderen Seite. Wir müssen uns also bewusst sein, dass diese Unzufriedenheit eine Welle von Angriffen auf den stellvertretenden Premierminister auslösen wird, und genau das sehen wir”, so der Chef der Regierungspartei in einem Interview, dass in voller Länge in der  "Gazeta Polska" am nächsten Mittwoch erscheinen wird. Wie das Blatt berichtet, widme Kaczyński in dem Gespräch dem Thema Sicherheit viel Platz. Er spreche auch über mögliche Provokationen vor den bevorstehenden Parlamentswahlen. “Es ist fast sicher, dass Russland Provokationen vor den Wahlen in Polen durchführen wird. Ich habe schon vor vielen Monaten gesagt, dass unsere politischen Gegner Provokationen vor den Wahlen anzetteln wollen. Die Russen auch. Sie müssen dafür nicht zusammenarbeiten, aber sie können miteinander harmonieren. Die einen werden die Effekte der Handlungen der anderen nutzen.” Gehe es nach Kaczyński, werde die Opposition im Falle einer Wahlniederlage die Ergebnisse anfechten und zu einer Entscheidung auf den Straßen polnischer Städte führen wollen, so Gazeta Polska Codziennie. 

Autor: Adam de Nisau