Deutsche Redaktion

Nach Programmvorstellung durch PiS und PO: "Es wird eng"

11.09.2023 12:44
Die Umfragewerte der Parteien nach der Registrierung der Wahlkomittees und die Wahlprognosen nach den Programm-Konventionen der größten Parteien stehen im Mittelpunkt der heutigen Pressekommentare. Die neuesten Umfragen zeigen: Es wird eng. Dementsprechend zeigen sich die Befürworter der beiden größten politischen Lager optimistisch in Bezug auf die Wahrscheinlichkeit eines Wahlerfolgs.
Przedstawiamy listy kandydatów w wyborach do Sejmu w okręgach 1,2 i 3, w województwie dolnośląskim
Przedstawiamy listy kandydatów w wyborach do Sejmu w okręgach 1,2 i 3, w województwie dolnośląskimgov.pl

Rzeczpospolita: Zeit für rationale Entscheidungen

Nachdem Bürgerplattform-Chef Donald Tusk und PiS-Chef Jarosław Kaczyński am Samstag ihre Programmideen vorgestellt haben, tritt der Wahlkampf in eine entscheidende Phase ein, schreibt im Aufmacher der konservativ-liberalen Rzeczpospolita der Chefredakteur des Blattes Bogusław Chrabota. Und gehe es nach einer aktuellen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IBRiS, die nach der Registrierung der endgültigen Wahllisten durchgeführt wurde, so der Autor, habe die Opposition die Chance, eine Mehrheit im Sejm (Unterhaus des polnischen Parlaments) zu erlangen. Der Kampf werde jedoch bis zum Schluss dauern.

Es, lesen wir weiter, gebe einige Überraschungen in der Studie. Erstens habe die nationalkonservative “Konfederacja” deutlich an Rückhalt verloren und liege nun mit einem einstelligen Ergebnis auf Platz fünf. Auf der anderen Seite würden die "Dritte Weg"-Partei und die Neue Linke jeweils eine Unterstützung von über 10% verzeichnen. Dies könne ein entscheidender Faktor sein, der der Anti-PiS-Koalition einen Vorteil verschaffen könne. Die Recht und Gerechtigkeit PiS liege mit einem Ergebnis von 33,2% zwar weiterhin auf dem ersten Platz, jedoch ohne Aussicht auf eine absolute Mehrheit. Und die abnehmende Unterstützung für die Konfederacja würde die Chancen auf eine Regierungsbildung nach den Wahlen weiter reduzieren. Die Bürgerkoalition liege mit 26% mehr als 6 Punkte hinter der PiS, aber der Ausgang der Wahlen werde letztlich eben wohl vom Ergebnis der potenziellen Koalitionspartner abhängen. 

Viele Analysten, erinnert Chrabota, würden betonen, dass dies die bedeutendsten Wahlen seit 1989 sein werden. Seit dem Fall des Kommunismus habe keine Partei, die zwei Amtszeiten regierte, die Möglichkeit gehabt, ein weiteres Mal zu gewinnen. Dieses Mal jedoch könnte ein Sieg für die PiS nicht ausreichen, um nach den Wahlen eine Regierung bilden zu können. Noch nie sei der Einsatz so hoch gewesen, da von den anstehenden Wahlen nicht nur die Entwicklungsrichtungen unseres Landes und Fragen der Rechtsstaatlichkeit abhängen, sondern auch die Beziehungen zu den wichtigsten europäischen Partnern, insbesondere zu Brüssel und Berlin. Noch nie hätten Wahlen im modernen Polen im Schatten eines Krieges stattgefunden, der auf dem Territorium unseres Nachbarn geführt werde. Die Rzeczpospolita wolle unter diesen schwierigen Bedingungen ihren Lesern durch eine inhaltliche Analyse der Wahlversprechen die Grundlage für eine rationale, vernünftige und nicht nur auf Emotionen basierende Entscheidung liefern, so der Chefredakteur der Rzeczpospolita.

Rzeczpospolita: Glaubwürdigkeitstest

Und wie bewerten die Publizisten die Programmvorschläge, die die führenden politischen Lager am Wochenende vorgestellt haben. Am Samstag habe die Partei von Donald Tusk, die Bürgerplattform, den Kampf gegen die PiS gewonnen, urteilt der Publizist der Rzeczpospolita, Michał Szułdrzyński. Wenn man die Originalität der von den größten politischen Kräften vorgestellten Wahlprogramme vergleiche, so der Autor, könne die PiS den "Super-Samstag" nicht als erfolgreich betrachten. Jarosław Kaczyński habe eine lange, chaotische Rede gehalten, in der er Angebot und Nachfrage verwechselt habe, wie zuvor schon Brutto und Netto. Auch die von ihm vorgeschlagenen spezifischen Ideen seien recht bescheiden ausgefallen. Es habe keine bahnbrechende Idee gegeben, und selbst das, was als neu vorgestellt worden sei, habe angestaubt gewirkt. Die Behauptung, dass es notwendig sei, Polen nach acht Jahren an der Macht zurückzugewinnen, habe grotesk geklungen und sei eine brutale Selbstkritik der PiS-Regierung gewesen. Zum Beispiel habe Kaczyński vom Kindergeld 800+ gesprochen, das bereits verabschiedet worden sei und unabhängig davon, wer die Wahlen gewinne, in Kraft treten werde. Die in der letzten Woche nach und nach enthüllten „spezifischen“ Maßnahmen würden eher die Misserfolge der PiS offenlegen. Da sie nicht in der Lage sei, neue Wohnungen zu bauen, habe die PiS die Modernisierung von Plattenbauten angekündigt. Da sie die Wartezeit auf Facharzttermine nicht verkürzen könne, habe sie besseres Essen in Krankenhäusern versprochen. Da sie die offenen Stellen an Schulen nicht besetzen könne – an der Schule eines seiner Kinder sei immer noch kein Mathematiklehrer gefunden worden – oder die niedrigen Gehälter zu erhöhen, habe die Regierungspartei finanzielle Unterstützung für Ausflüge vorgeschlagen, die den Nationalstolz fördern. Die PiS habe auch die Idee der Renten nach Dienstalter wieder aufgegriffen, die Staatspräsident Andrzej Duda der Solidarność-Gewerkschaft… bereits 2015 versprochen habe.

All dies, so Szułdrzyński, bedeute jedoch nicht, dass dieser Samstag für die PiS verloren gewesen sei. Die Wiedereinführung der Idee der Dienstaltersrenten sei ein Versuch, die Debatte über das Rentenalter, zu dem die PiS die Wähler auch im Referendum am Wahltag fragen möchte, wieder aufzugreifen. In dieser Frage seien die gesellschaftlichen Emotionen auf der Seite der regierenden Partei, die das Alter gesenkt habe, und nicht der Bürgerplattform, die es früher erhöht habe. Die PiS-Wähler würden von Kaczyński auch keine Show erwarten, sondern eher die Versicherung, dass sich nach den Wahlen nichts ändern wird. Kaczyński spiele jetzt auf dem Sentiment, dass alles so bleibt, wie es war. Wenn jemand nach acht Jahren PiS-Regierung diese Partei weiterhin unterstütze, bedeute das, dass ihn die Fehler, Skandale und alles, was dieser Regierung nicht gelungen ist, nicht stören. 

Vor diesem Hintergrund sei die Konvention der Bürgerplattform wesentlich konkreter ausgefallen. Doch man könne fragen, warum die Partei von Donald Tusk so lange mit konkreten Vorschlägen gewartet habe. In letzter Zeit habe die PiS das Narrativ der Kampagne dominiert. Die fünf Wochen bis zur Wahl seien relativ wenig Zeit, um alle Wähler mit den Details der 100 Programmvorschläge der Bürgerkoalition zu erreichen. Zweifellos widerlege die Bürgerplattform jedoch einen Vorwurf, den kritische Kommentatoren dieser Partei wiederholt hätten – den der Ideen- und Programmlosigkeit. 

Jetzt bestehe für die Hauptkonkurrenten die wichtigste Aufgabe darin, das Wahlvolk davon zu überzeugen, dass sie glaubwürdig sind und dass sie ihre Versprechen erfüllen werden. Sowohl für die PiS als auch für die PO könnte dies schwieriger sein als die Präsentation ihrer Programme, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita.

Gazeta Polska Codziennie: Bürgerplattform-Programm für Postkommunisten und Brüssel zugeschnitten

Und wie fällt die Bilanz der Wahlkampfveranstaltungen vom Wochenende aus Sicht der nationalkonservativen Journalisten aus? Das Programm der oppositionellen Bürgerplattform ist auf Postkommunisten und auf Brüssel zugeschnitten, schreibt dazu die regierungsnahe Gazeta Polska Codziennie. Unter den am Samstag von der Opposition vorgestellten Ideen, so das Blatt, sei die Wiedereinführung von üppigen Renten für ehemalige Mitarbeiter des kommunistischen Sicherheitsdienstes, die Umsetzung für Polen nachteiliger Urteile europäischer Institutionen, die Abschaffung des Verfassungstribunals und des Nationalen Justizrates sowie die Entlassung der von diesem Rat gewählten Richter. Zudem wolle die Bürgerkoalition auch den steuerfreien Betrag auf 60.000 Zloty erhöhen, obwohl die Opposition dagegen gestimmt habe, als die PiS diesen Betrag (auf 30.000 Zloty) angehoben habe, sowie die sogenannte Belka-Steuer abschaffen, eine Steuer, die von einem heutigen Europaabgeordneten der Bürgerkoalition eingeführt worden sei. Schließlich wolle die Bürgerplattform auch den "kalten Krieg" mit Deutschland beenden und zahlreiche Politiker der PiS vor das Staatstribunal stellen. “Bisher hatte keine Partei solche Elemente in ihrem Programm. Natürlich soll dies zur weiteren Polarisierung beitragen und den Wählern zeigen, dass Tusk und sein Team die einzige "Waffe gegen PiS" sind", kommentiert die angekündigte Abrechnung mit Regierungspolitikern Dr. Andrzej Anusz vom Piłsudski-Institut in Warschau im Gespräch mit dem Blatt. Die Versprechen zur Umsetzung von Urteilen europäischer Institutionen und zur Beendigung des "kalten Krieges" mit Deutschland “sei eine Ankündigung, sich dem Willen der europäischen Institutionen zu unterwerfen. Wir werden den Anweisungen der EU folgen. Das ist genau die Politik, vor der Vizepremier Jarosław Kaczyński in seiner Rede in Końskie gewarnt hat", so Dr. Anusz im Gespräch mit Gazeta Polska Codziennie.

Gazeta Polska Codziennie: PiS auf der Zielgeraden

Die Regierungspartei PiS sollte sich nun vor allem darauf konzentrieren, die Bürgerplattform anzugreifen, also darüber zu sprechen, was uns erwartet, wenn Donald Tusk die Macht übernimmt, rät ebenfalls im Gespräch mit Gazeta Polska Codziennie der Soziologe Prof. Henryk Domański. Geht es nach Domański, werde ein Wahlsieg der Bürgerplattform in der Außenpolitik bedeuten, den Interessen seiner Kollegen und Kolleginnen aus der EU, hauptsächlich den Deutschen, nachzugeben, und zwar auf Kosten Polens. Der politische Konvent der PiS sei nicht überraschend gewesen, aber dies habe auch keiner erwartet. “Wir haben einfach eine Fortsetzung der Politik, die seit 2015 geführt wird. Die PiS führt von Zeit zu Zeit neue Elemente ein, die die Lebensqualität verbessern oder Teil einer prosozialen, familienorientierten Politik und des Kampfes gegen Ungleichheiten sind”, so Domański. Nun sollte die PiS das i-Tüpfelchen setzen und genau das sei geschehen. Zudem sei auch die Dienstaltersrente ein guter Vorschlag. Es gebe viele Leute, die er betreffe und es sei auch ein attraktiver Vorschlag für Gewerkschaften, die eine große politische Kraft seien. Geht es nach Domański, sollte sich die Regierungspartei nun darauf konzentrieren, die Bürgerplattform anzugreifen und eben auf die außenpolitischen Konsequenzen eines Wahlsiegs Tusks hinzuweisen. “Das ist ein starker Faktor, der bei den Wählern Wirkung zeigt. Auch die Sicherheitsfrage und die Verteidigung der Grenze zu Weißrussland sind äußerst wichtig. Das sollte betont werden. Und natürlich sollte die PiS weiterhin betonen, was ständig wiederholt wird, dass es die erste Regierung ist, die ihre Wahlversprechen eingehalten hat, und ständig unterstreichen, dass ein wirtschaftlicher Aufschwung stattgefunden hat, den es unter der PO nicht gab, und dass wir eine niedrige Arbeitslosigkeit haben”, so Domański. Nach den Wahlen, so der Soziologe, erwarte er eine Regierung der Recht und Gerechtigkeit. “Sie wird sicherlich die Wahlen gewinnen und die Bürgerplattform überflügeln. Und wenn sie die Wahlen gewinnt, ist es unwahrscheinlich, dass sie die Macht abgeben wird.” Um die notwendige Mehrheit zu erlangen, könnte die PiS etwa versuchen, Abgeordnete aus anderen politischen Parteien zu einem Parteiwechsel zu überzeugen, vor allem aus der PSL und Konfederacja, so Prof. Henryk Domański im Gespräch mit Gazeta Polska Codziennie.

Autor: Adam de Nisau