Deutsche Redaktion

"Totale Kohabitation"

24.11.2023 13:11
Mit dem angekündigten Termin der Vereidigung der Regierung von Donald Tusk scheint sich Staatspräsident Duda auf einen harten Konfrontationskurs in den Beziehungen mit der neuen parlamentarischen Mehrheit festzulegen. Ist der vage Charakter des Koalitionsabkommens zwischen Bürgerkoalition, Drittem Weg und den Linken ein Beweis für drastische Differenzen zwischen den künftigen Koalitionspartnern? Und: Welche Gefahren birgt das sogenannte Morawiecki-Loch und wie stehen die Chancen, cass die künftige Regierung es schließen kann? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Prezydent Duda: Tusk nie jest moim kandydatem na premiera.
Prezydent Duda: Tusk nie jest moim kandydatem na premiera.Marek Borawski/KPRP

Rzeczpospolita: Totale Kohabitation

Die Ankündigung der Präsidialkanzlei, dass der wahrscheinlichste Termin für die Vereidigung Donald Tusks als Premierminister der 13. Dezember ist, ist ein klares Signal dafür, wie die künftigen Beziehungen zwischen Andrzej Duda und der Koalition aus Bürgerplattform, Drittem Weg und der Linken aussehen könnten, schreibt in seinem Kommentar für die Rzeczpospolita der Publizist Michał Szułdrzyński. Es, so Szułdrzyński, zeige deutlich, dass der Staatspräsident seine politische Position in vollständiger Opposition zur neuen Mehrheit aufbauen will. Denn, wie der Autor erinnert, am 13. Dezember 1981 hatten die Kommunisten unter General Jaruzelski den Kriegszustand in Polen ausgerufen. 

Zuvor, lesen wir weiter, habe bereits die Recht und Gerechtigkeit PiS unter Jarosław Kaczyński mit dessen Warnungen vor einer Vernichtung Polens durch die neue parlamentarische Mehrheit, ihr Modell einer totalen Opposition gegenüber der Bürgerplattform präsentiert. Nun hätten wir erfahren, dass der Staatspräsident den Weg der totalen Kohabitation beschreiten wolle. Zuerst habe er Mateusz Morawiecki mit der hoffnungslosen Mission beauftragt, eine Regierung zu bilden. Nun zeige sich, dass Duda nicht nur alle Möglichkeiten nutzt, um die Machtübergabe an die bisherige Opposition hinauszuzögern, sich aber auch die Gelegenheit nicht entgehen lässt, den neuen Premierminister auf symbolischer Ebene zu irritieren. Denn der 13. Dezember wecke in der polnischen Geschichte eindeutige Assoziationen. Natürlich halte der Minister der Präsidialkanzlei Andrzej Dera offiziell daran fest, dass das Datum aus dem Kalender des Staatsoberhaupts und den in der Verfassung festgelegten Terminen resultiert. Duda, so Szułdrzyński, sende damit ein weiteres Signal an die Wähler der PiS, nach dem Motto: “Ich ernenne Tusk, da ich es tun muss, aber das ist keine polnische Regierung. Ich kann dem Kandidaten der siegreichen Koalition nicht den Amtseid verwehren, aber ich tue alles, damit dies kein Tag des Triumphes für ihn wird”.

Aus der Sicht der radikalen Anhänger der PiS sei dies eine rationale Haltung. Aber aus der Perspektive der Gesellschaft als Ganzes sei sie extrem kurzsichtig. Duda signalisiere, dass er in jeder Hinsicht gegen die neue Regierung kämpfen wird – auch im Bereich der Symbole. Und aus menschlicher Sicht sei das einfach “klein”. Denn vielleicht werde es Duda gelingen, Donald Tusk zu demütigen, indem er ihn mit Wojciech Jaruzelski vergleiche. Aber es werde ihm nicht gelingen, ihn in den verhassten General zu verwandeln, so Michał Szułdrzyński in der Rzeczpospolita. 

Do Rzeczy: Vertrag voller frommer Wünsche

Der Leser des Koalitionsvertrags der Bürgerkoalition, der Neuen Linken und des Dritten Wegs fühlt sich nach dem Lesen nicht viel klüger als zuvor, bemängelt in der aktuellen Ausgabe des nationalkonservativen Wochenblatts Do Rzeczy der Publizist Łukasz Warzecha. Man, so der Autor, könne sich tatsächlich wundern, warum die Einigung auf dieses Dokument so lange gedauert habe, wenn es doch so wenige konkrete Details enthalte.

Die Allgemeinheit des Vertrags, fährt Warzecha fort, sage viel über die Beziehungen zwischen den Koalitionspartnern aus. Jeder Vertrag, der allgemein gehalten sei, signalisiere, dass es außergewöhnlich schwierig gewesen sei, konkretere Vereinbarungen zu treffen und dass die beteiligten Parteien sich bewusst Raum für eigene Interpretationen in der Zukunft lassen, was natürlich zu Streitigkeiten und sogar zu handfesten Auseinandersetzungen führen könne. Was, fragt der Publist, verberge sich zum Beispiel hinter der Aussage: „Die polnische Sicherheit werden wir auf drei Säulen stützen: dem Wiederaufbau der nationalen Gemeinschaft, der Stärkung unserer Position in der Europäischen Union und dem Nordatlantikpakt sowie einer verstärkten Armee – effizient geführt und mit moderner Ausrüstung ausgestattet“? Schon dieser eine Satz, in einer doch so entscheidenden Angelegenheit wie der Sicherheit Polens, zeige die Mängel der Koalition, die bald die Macht übernehmen werde.

Worin, fragt Warzecha, solle sich etwa der „Wiederaufbau der nationalen Gemeinschaft“ manifestieren? Welche konkreten Gesten werde die neue Koalition gegenüber den Anhängern einer anderen Vision Polens unternehmen? Auch zu den zwei weiteren Säulen der polnischen Sicherheit seien in dem Vertrag keine Details zu finden. Einige Themen seien detailliert beschrieben worden, während andere völlig in der Luft hängen. Das Risiko des Präsidenten-Vetos in Bezug auf Änderungen in der Justiz werde nicht adressiert, ebenso wie die finanziellen Konsequenzen ideologischer Überlegungen in Bezug auf die Energie- und Klimapolitik für die polnischen Bürger.

Sollten wir den Koalitionsvertrag ernst nehmen oder ihn als bedeutungsloses Theater abtun? Viele der dort gemachten Ankündigungen seien entweder fromme Wünsche oder Pläne, die aufgrund eines präsidentiellen Vetos nicht umsetzbar seien. Ebenso wichtig, wie das, was beschrieben worden sei, seien Themen die sehr allgemein oder gar nicht berücksichtigt worden seien, da die Politiker keinen Kompromiss erzielt hätten oder die Probleme vielleicht einfach verschweigen wollten. Dazu würden etwa Rüstungseinkäufe zählen, aber auch die Beziehung zwischen Staat und Kirche, Fragen der EU-Klimapolitik oder der Föderalisierung der EU. Diese Fragen würden jedoch nicht von selbst verschwinden oder sich von selbst lösen. Für die neue Opposition könnten sie eine Chance sein, aber das sei ein Thema für eine ganz andere Geschichte, so Łukasz Warzecha in Do Rzeczy.

Do Rzeczy: Morawieckis Haushaltsloch?

Do Rzeczy übt in der aktuellen Ausgabe aber auch an der bisherigen Regierungspartei scharfe Kritik. Die Opposition spreche seit einiger Zeit von Morawieckis Haushaltsloch, aber auch er habe in den vergangenen Monaten mehrmals auf die fehlende Haushaltsdisziplin und unvernünftige Finanzpolitik der Regierenden hingewiesen, schreibt der Publizist von Do Rzeczy Jakub Wozinski. Und appelliert an die Leser, kritische Stimmen zur Fiskalpolitik der Regierung Morawiecki nicht zu ignorieren, selbst wenn die Kompetenz der oppositionellen Analysten in Frage gestellt werden können. Die jüngsten Ereignisse, so der Autor, hätten die Bedenken in Bezug auf die Verwaltung öffentlicher Mittel durch die Vereinigte Rechte verstärkt und gezeigt, warum Morawieckis Politik so problematisch sei.

In einem neuerlichen Schreiben an die Europäische Kommission, erinnert Wozinski, habe die Regierung ein Defizit des öffentlichen Sektors in Höhe von 192 Milliarden Zloty eingestanden. Das seien 100 Milliarden mehr als das zentrale Haushaltsdefizit betrage. Die Summe umfasse die Verbindlichkeiten von außerbudgetären Einheiten, die unter Morawiecki stark gewachsen seien. Dazu würden der COVID-19-Gegenmaßnahmenfonds, der Hilfsfonds, der Fonds für strategische Investitionen und andere zählen. Gemeinsam hätten diese Fonds, zusammen mit den zentralen Ausgaben, eine Rekordsumme generiert. Und 

Schätzungen für das nächste Jahr würden darauf hindeuten, dass dieses Defizit noch überschritten wird, manche Analysten sprechen von einem Gesamtdefizit in Höhe von 277 Milliarden Zloty. Morawiecki habe zwar unlängst eine Konsolidierung der öffentlichen Finanzen angekündigt. Da er aber davon ausgegangen sei, dass seine Partei bis 2030 regieren werde und er daher noch Zeit habe, sei es nur bei Worten geblieben. 

Die Folge: Wenn die EU-Kommission ihre Fiskalpolitik verschärft, könnte Polen in den nächsten Jahren die Warnschwelle überschreiten und damit gezwungen sein Zwangsreduktionen einzuführen. Besonders problematisch sei dies für die Ausgaben im Verteidigungsbereich. Das in seinen imperialen Ambitionen ungebremste Deutschland, so Wozinski, werde keine Skrupel haben und Polen so gut wie keinen Spielraum lassen – umso mehr, da der deutsche Verteidigungsminister Boris Pistorius kürzlich bekräftigte, dass sein Land die Rolle des wichtigsten Sicherheitsgaranten in Europa übernehmen will.

Die Tragik der Situation, lesen wir weiter, liege darin, dass Polen aktuell geradezu gezwungen ist, enorme Summen auszugeben. Einerseits müsse das Land seine Armee stärken, andererseits hätten die Politiker im Wahlkampf eine absurde Verteilungswut gefördert, aus der es sehr schwer sein werde, sich zurückzuziehen. Morawiecki trage die Hauptverantwortung für diese Sozialtransferpolitik, in der er das einzige Mittel gegen sinkende Umfragewerte gesehen habe. Aber auch die Opposition habe in der Pandemie etwa die Entscheidungen der Regierung und der Nationalbank unterstützt, die das Loch maßgeblich vergrößert hätten.

Die neue Regierung, schließt der Autor, stehe vor der enormen Herausforderung, die öffentlichen Finanzen zu konsolidieren und die außerbudgetären Einheiten zu reduzieren. Die bisherige Haushaltsführung der PO-PSL-Koalition lasse jedoch Zweifel aufkommen, ob es zu einer Verbesserung kommen wird. Unter Donald Tusk seien die Haushaltseinnahmen langsam gewachsen, verschiedene Mafias hätten sich am Steuersystem geweidet und die Verschuldung sei so schnell gestiegen, dass die Reform der Offenen Rentenfonds notwendig wurde.

Alles deute also darauf hin, dass das „Morawiecki-Loch“ nicht nur bestehen bleibt, sondern sich vergrößern wird. Diesmal allerdings vor allem im Namen der grünen Transformation und des emissionsfreien Sozialismus, den die neue Regierung so sehr ins Herz geschlossen habe, so Jakub Wozinski in Do Rzeczy.

Autor: Adam de Nisau