Deutsche Redaktion

Umstrittenes Gesetzesprojekt zu Windkraft: Gegenwind für Regierung Tusk

05.12.2023 12:06
Ein wichtiges Thema in den heutigen Pressekommentaren ist ein Gesetzesentwurf der Noch-Opposition zur Einfrierung von Strompreisen für das kommende Jahr. Die PiS wittert den Einfluss von Windkraft-Lobbyisten und fordert eine Untersuchungskommission. Auch oppositionsnahe Medien schreiben von einem Geschenk für die Regierung Morawiecki. Und: Die Gazeta Wyborcza wirft der PiS vor, mit ihrer Untätigkeit in Bezug auf die Blockade der polnisch-ukrainischen Grenze die Wehrhaftigkeit der Ukraine und damit auch die polnische Sicherheit zu gefährden.
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zdjęcie ilustracyjneShutterstock/ engel.ac

Gazeta Polska Codziennie: Die PiS will Untersuchungsausschuss zu Windkraftanlagen

Ein wichtiges Thema in den heutigen Pressekommentaren ist ein Gesetzesentwurf der Noch-Opposition zur Einfrierung von Strompreisen für das kommende Jahr. Premierminister Mateusz Morawiecki hatte den Entwurf gestern als eine der größten Affären der letzten dreißig Jahre bezeichnet und die Einrichtung einer Untersuchungskommission gefordert, schreibt in der heutigen Ausgabe die nationalkonservative Gazeta Polska Codziennie. Der Grund: Geht es nach Morawiecki, lesen wir,  sei ein großer Teil des Gesetzes, das nach seiner mutmaßlichen Autorin Paulina Hennig-Kloska von Polen 2050 bereits Lex Kloska genannt wird, im Interesse von Lobbyisten aus dem Bereich der Windkraft geschrieben worden, die größtenteils aus dem westlichen Ausland stammen. „Wir haben noch keine regierende Koalition, noch keine Mehrheit, die dies abstimmen könnte, und trotzdem haben wir ein Gesetz, das für die große Windlobby arbeitet“, zitiert das Blatt Morawiecki. Das Gesetz sei sicherlich nicht im polnischen Parlament entstanden, erklärte Morawiecki weiter und appellierte an potenzielle Koalitionspartner dies als symptomatisch für den Regierungsstil eines eventuellen Kabinetts von “Herrn Donald Tusk” anzusehen und daher ihre Unterstützung für ein solches, “von sehr brutalem Lobbyismus” geprägtes Kabinett, noch einmal zu überdenken.

Den Premierminister hat bei seiner Pressekonferenz die Ministerin für Klima und Umwelt, Anna Łukaszewska-Trzeciakowska, begleitet und spezifische problematische Bestimmungen im “Lex Kloska” hervorgehoben. So erlaube das Gesetz, wie sie erklärte, nicht nur den Bau von Windkraftanlagen in 300 Metern Entfernung zu Wohnhäusern und Enteignungen, sondern führe auch gefährliche Vorschriften für das Stromversorgungssystem ein. Darüber hinaus kritisiert sie, dass das Gesetz einen Abschnitt enthält, der besagt, dass Anlagen durch nicht lizenzierte Mitarbeiter gewartet werden dürfen, berichtet Gazeta Polska Codziennie. 

Gazeta Polska Codziennie: Milliardenschwerer Skandal

In einem Interview für die Zeitung legt der Vorsitzende des Sejm-Ausschusses für Energie, Klima und staatliche Vermögenswerte, Marek Suski nach und erklärt, das Projekt sei gefährlicher als die Rywin-Affäre und der Amber Gold-Skandal zusammengenommen. Es gehe hier um Dutzende Milliarden Złoty. Die Autoren aus der Opposition würden die umstrittenen Abschnitte nun als Fehler bezeichnen. Das Problem mit diesem Argument bestehe darin, dass dieser Fehler 24 Seiten lang sei, so Suski. Neben den von Morawiecki und Łukaszewska-Trzeciakowska angeführten Vorwürfen über mögliche Enteignungen und staatliche Eingriffe in privates Eigentum macht Suski auch auf den Vorschlag aufmerksam, den Handel mit Elektrizität erneut über die Börse abzuwickeln. Und erklärt: „Wir haben diesen Mechanismus nach dem Kriegsausbruch abgeschafft, als sich herausstellte, dass es dort Manipulationen gab. Die Preise sprangen damals auf mehrere Tausend pro Kilowattstunde, obwohl die Produzenten keine großen Kostensteigerungen hatten. Das war damals nur mit Gewinnsucht zu rechtfertigen.“ Und die Unternehmen, die auf der Börse mit Elektrizität Handel betrieben hätten, seien zum Großteil keine polnischen Unternehmen gewesen. Man habe von russischen Oligarchen und deutschen Fonds als möglichen Strippenziehern gemunkelt. Und obwohl dies nie bestätigt worden sei, sei der enorme Geldabfluss aus Polen Tatsache gewesen. Nun stehe in dem Projekt, dass der Handel auf der Börse erneut zu einer Pflicht wird, nur um den aus Kohle gewonnen Strom teurer und erneuerbare Energien damit attraktiver zu machen. Dies würde einerseits ausländische Unternehmen bereichern, die Windkraftanlagen produzieren und installieren und zweitens die Strompreise für Endverbraucher in die Höhe treiben. Zudem würde es den polnischen Staatskonzern Orlen versenken, der laut den Vorschriften den Preisanstieg für Endverbraucher abfedern sollte.  

Nach der Kritik habe das Projekt heute plötzlich keine Eltern mehr, keiner wolle sich zu ihm bekennen, so Suski. Umso wichtiger sei es, die Verantwortlichen zu identifizieren. Und dafür sei ein sorgfältiges Ermittlungsverfahren notwendig, so Marek Suski im Interview mit Gazeta Polska Codziennie. 

Rzeczpospolita: Gegenwind für Regierung Tusk

Zur Halbzeit der 14-tägigen Amtszeit von Mateusz Morawiecki, habe die Recht und Gerechtigkeit von der parlamentarischen Mehrheit ein willkommenes Geschenk in Form des Projekts zu Windkraftanlagen erhalten, kommentiert die Debatte der Publizist der konservativ-liberalen Rzeczpospolita, Jacek Nizinkiewicz. Die Vertreter der parlamentarischen Mehrheit, so der Autor, hätten nach der heftigen Kritik zwar Korrekturen angekündigt, die alle Zweifel ausräumen sollen. Das Thema sei jedoch bereits so brisant geworden, dass die Partei von Jarosław Kaczyński alle Propaganda-Kräfte mobilisiert habe, einschließlich des TVP.

Dabei, so der Autor, sei es die PiS gewesen, die die Entwicklung der Windkraft in Polen seit 2016 durch das sogenannte Distanzgesetz blockiert habe. Die Vereinigte Rechte habe sich jahrelang sauberer und günstiger Energie widersetzt, da sie der Kohlelobby nachgegeben habe. Und auch die wachsende Kohlelücke nach der russischen Aggression gegen die Ukraine habe die PiS nicht dazu bewegt, den Ausbau von Windkraftanlagen voranzutreiben, wodurch Polen riesige EU-Mittel für den Umbau der Energiewirtschaft entgangen seien. 

Im Januar 2023 habe sich die PiS-Regierung schließlich entschieden, die restriktivsten Vorschriften in Europa bezüglich der Windenergie zu liberalisieren, aber in letzter Minute habe Marek Suski eine Änderung zum Entwurf des sogenannten Windenergiegesetzes eingebracht, indem er die darin festgelegte Mindestentfernung von Windkraftanlagen zu Wohngebäuden von 500 auf 700 Meter anhob. Die Änderung sei eilig in Form einer handschriftlichen Notiz vorgelegt worden. So habe die PiS Gesetze geschaffen und gegen Windkraftanlagen gekämpft, um ihre Wählerschaft in Kohleabbaugebieten bei Laune zu halten. 

Kein Zweifel, so Nizinkiewicz, auch die vor Kurzem von der Bürgerkoalition und Polen 2050 vorgeschlagenen Änderungen in Bezug auf Windkraftanlagen, seien ein legislativer Fehler gewesen. Die Einschleusung dieser Änderungen in ein anderes Gesetz lasse sich nicht mit Eile und dem Wunsch erklären, die Fehler der Vorgänger zu korrigieren. Bisher sei vor allem die PiS für solche Last-Minute-Einwürfe bekannt gewesen. Am Rande gesagt, würde Morawiecki auch die Einrichtung von Untersuchungsausschüssen in Bezug auf die Einwürfe seiner Partei unterstützen, fragt Nizinkiewicz? 

So oder so, die von der Opposition angekündigten Korrekturen, würden heute keine Rolle mehr spielen. Der PiS sei es gelungen, der parlamentarischen Mehrheit – mit ihrer eigenen Hilfe – einen Skandal anzuhängen und eine problematische Erzählung für das Team von Tusk zu schaffen. Wenn es dadurch gelinge, die Kandidatur von Henning-Kloska für den Posten des Klimaministers zu blockieren, werde die PiS ein Geschenk zur Halbzeit der 14-tägigen Regierung von Morawiecki bekommen. Und es könnte sich herausstellen, dass dies die einzige Leistung dieser Regierung sein werde, so Jacek Nizinkiewicz in der Rzeczpospolita.

Gazeta Wyborcza: Die PiS opfert die Ukraine

Die linksliberale Gazeta Wyborcza macht die heutige Ausgabe indes mit schweren Vorwürfen gegen die PiS auf. Durch ihre Untätigkeit in Bezug auf die Blockade der ukrainischen Grenze schade die Partei nicht nur der Wehrhaftigkeit der Ukraine sondern auch der Sicherheit Polens, schreibt der Publizist des Blattes Bartosz Wieliński. 

Wie der Autor erinnert, werde ein großer Teil der Lieferungen für das ukrainische Militär von Freiwilligen organisiert, die die benötigte Ausrüstung im Westen kaufen und durch Polen in die Ukraine transportieren. Die Blockade, die bereits einen Monat dauere, habe unter anderem die Lieferung vieler neuer Drohnen für die ukrainische Armee gestoppt. An der Front würden sie zur Aufklärung und als Waffe eingesetzt, nach westlichen Schätzungen würden die Ukrainer monatlich bis zu 10.000 Drohnen verbrauchen. Aufgrund der Blockade würden den Einheiten an der Front auch Ersatzteile für die Ausrüstung ausgehen. Thermovisions-Ausrüstung und medizinische Geräte würden ihr Ziel nicht erreichen, im Westen beschaffte Geländewagen stecken fest. 

Die Tatsache, dass sowohl Staatspräsident Andrzej Duda, als auch Premierminister Morawiecki und seine Minister die Grenzkrise ignorieren, sei äußerst verantwortungslos, so Wieliński. Schließlich hänge davon, ob die Ukraine die russische Aggression abwehren könne, auch die Sicherheit Polens ab. Im April 2022, zwei Monate nach Beginn der russischen Invasion, habe Morawiecki, wie der Autor erinnert, Billboards auf Lastwagen nach Berlin geschickt, auf denen ukrainische Städte nach russischen Bombenangriffen abgebildet waren. Die PiS habe in dieser Angelegenheit „das Gewissen westlicher Politiker wecken“ wollen. Der Westen, insbesondere Deutschland, seien damals für die zu langsamen und spärlichen Lieferungen moderner Waffen an die Ukraine kritisiert worden. „Ich habe den Eindruck, dass einige EU-Führer es vorziehen würden, wenn alles wieder beim Alten wäre. Gemäß der Idee, dass der Krieg auch durch eine Niederlage der Ukraine beendet werden kann“, habe Morawiecki gesagt.

Anderthalb Jahre später sollten die die Gewissen weckenden Billboards durch Warschau fahren, betont der Autor. Und der Moment sei fatal. Der Winter habe bereits begonnen, ein großer russischer Gegenangriff an der Front werde erwartet, die Angriffe auf ukrainische Städte würden zunehmen. Und die Versäumnisse der PiS würden sich in ein größeres Bild einfügen: Die Unterstützung der EU für die Ukraine werde von Ungarn unter Viktor Orbán blockiert, und weitere Hilfstranchen aus den USA werden von der republikanischen Mehrheit im Repräsentantenhaus aufgehalten, schreibt Bartosz Wieliński in der Gazeta Wyborcza. 

Autor: Adam de Nisau