Deutsche Redaktion

"Universelle Vernichtung?"

29.01.2024 12:57
Der Film der Europäischen Kommission zum internationalen Holocaust-Gedenktag hat in Polen hohe Wellen geschlagen.  Und diejenigen, die versuchen, den Vorfall mit fehlender Sensibilität wegzuerklären, machen es sich definitiv zu einfach, meint die Publizistin der Rzeczpospolita, Zuzanna Dąbrowska. Außerdem: Geht es nach dem nationalkonservativen Wochenblatt Do Rzeczy, ist die Regierung PiS viel zu nachgiebig gegenüber der EU gewesen. Und: Ist Polen, im Vorfeld des anstehenden Wahljahres, für den Kampf gegen Putins Internettrolle gewappnet? Die Einzelheiten in der Presseschau.
Ursula von der Leyen
Ursula von der LeyenFoto: PAP/EPA/RONALD WITTEK

Der Film der Europäischen Kommission zum internationalen Holocaust-Gedenktag hat in Polen hohe Wellen geschlagen. Der Grund: Der Unterschrift unter den Bildern der in dem Spot erwähnten Opfer des Holocaust konnte man lediglich entnehmen, diese seien “in Auschwitz in Polen” ums Leben gekommen. Davon, dass Polen zu dieser Zeit von Deutschland besetzt gewesen ist, erfuhr der Zuschauer in der ersten Version des Spots nichts. 

Rzeczpospolita: Universelle Vernichtung?

Wieder einmal fehle eine Erklärung, wer für den Holocaust verantwortlich sei, schreibt in ihrem Kommentar zum Film die Publizistin der konservativ-liberalen Rzeczpospolita, Und Zuzanna Dąbrowska. Geht es nach der Autorin, gehe es dabei nicht, wie es die EU-Kommission erklärt habe, um Unwissenheit, sondern eher darum, dass es den deutschen Christdemokraten lieber wäre, wenn der Diskurs über den Holocaust weniger deutsch und universeller wäre.

Die polnische Diplomatie, so die Autorin, habe schnell auf den Vorfall reagiert – der ständige Vertreter Polens bei der EU habe das Umfeld der Vorsitzenden Ursula von der Leyen sofort auf den irreführenden Charakter der Unterschriften aufmerksam gemacht. Die EU-Kommissionschefin habe in einem zusätzlichen Beitrag in den sozialen Medien präzisiert, dass wir der Opfer des deutschen nationalsozialistischen Lagers Auschwitz-Birkenau gedenken. Brüssel sei so stark von der Reaktion der Polen betroffen gewesen, dass die Behörden es sogar innerhalb weniger Stunden schafften, die Untertitel im Video zu ändern und in einer neuen Version zu veröffentlichen. Und das, obwohl alles an einem Sonntag stattgefunden habe, an dem die Beamten normalerweise nicht arbeiten. Man könnte also sagen, dass alles in Ordnung ist und jemand in der Europäischen Kommission nicht die angemessene Sensibilität gezeigt habe. “Aber schließt das den Fall tatsächlich ab?”, fragt Dąbrowska. 

Ihre Diagnose: Wäre die Vorsitzende der Europäischen Kommission aus Portugal, ihr Kabinettschef ein Finne und der Kommunikationsbeauftragte ein Spanier, dann könnten wir tatsächlich nur über ihre Unwissenheit seufzen. Aber die EU-Kommissionschefin sei  Deutsche, ebenso wie ihr Kabinettschef und der Berater für Medien und Kommunikation. Selbst die Beauftragte der Europäischen Kommission für die Bekämpfung von Antisemitismus sei aus Deutschland. Wir, so die Autorin, würden von hochgebildeten und in der Politik sowie Kommunikation erfahrenen Personen sprechen, die sicherlich wissen müssen, wie wichtig für die von Deutschland während des Zweiten Weltkriegs besetzten Länder die Anerkennung der Tatsache sei, dass Deutschland, sei es auch das nationalsozialistische, der Urheber des Plans zur Vernichtung der Juden auf ihrem Staatsgebiet gewesen ist.

Von Ignoranz, die so oft die Ursache für die Formulierung „polnische Todeslager“ gewesen sei, die irgendwo auf der anderen Seite der Welt oder sogar in der amerikanischen Presse veröffentlicht worden sei, könne in diesem Fall keine Rede sein. Wir würden auch wissen, dass die deutsche Christdemokratie, aus der Ursula von der Leyen stamme, die schwierige Vergangenheit Deutschlands nicht leugne. Aber – wie man am genannten Beispiel sehen könne –  sie sei sehr wohl daran interessiert, dass der Diskurs über den Holocaust weniger deutsch und stattdessen universeller werde. Angesichts des sich heutzutage ausbreitenden Antisemitismus könne man auch das Bedürfnis verstehen, zu betonen, dass Juden an verschiedenen Orten und von Vertretern verschiedener Nationalitäten ermordet worden sind. Aber gerade Deutschland sollte wohl nicht derjenige sein, der uns daran erinnert, so Zuzanna Dąbrowska in der Rzeczpospolita.

Do Rzeczy: Was für eine Komödie

Der ganze Kampf der EU um die Rechtsstaatlichkeit in Polen war nichts, als eine große Komödie, schreibt in seinem Leitartikel zur aktuellen Ausgabe des Wochenblatts Do Rzeczy dessen Chefredakteur Paweł Lisicki. Diese Diagnose habe, wie Lisicki erinnert, zuletzt PiS-Chef Jarosław Kaczyński gestellt, laut dem es einfach nur darum ging, dass nicht die an der Macht gewesen sind, die laut Brüssel an der Macht sein sollten. Das, so Lisicki, möge schockierend klingen, aber Kaczyński liege mit seiner Diagnose absolut richtig. Genau so sei es: Der Kampf der Europäischen Union um Rechtsstaatlichkeit sei nichts als eine Fassade, eine Fotomontage gewesen. Brüssel habe von Anfang an, das heißt seit 2015, als die PiS an die Macht gekommen sei, beschlossen, sich der so genannten "rechtsnational-konservativen Regierung" aus Warschau zu entledigen, da diese ihren zentralistischen Plänen im Wege stand. Die PiS habe den Eurokraten nicht nur die Realisierung ihrer Pläne erschwert, sondern habe auch, gemeinsam mit anderen Staaten, wie Ungarn den Keim einer Rebellion bilden können. Und aus der Sicht Brüssels sollten sich alle Mitgliedsstaaten der Ideologie des Genderismus, Immigrationismus und Klimatismus unterordnen. Der souveräne Nationalstaat indes müsse zerstört werden.

Er, so Lisicki, zitiere die Meinung von PiS-Chef Kaczyński aber nicht nur, weil sie zutreffend sei, sondern leider auch, weil sie die schärfste und radikalste Kritik an dem darstelle, was der Vorsitzende selbst mindestens sechs Jahre lang getan und gesagt habe, seit er Beata Szydło auf dem Posten des Regierungschefs durch Mateusz Morawiecki ersetzt habe. Denn wenn es wahr sei, dass der Kampf der EU um Rechtsstaatlichkeit eine große Komödie sei, könne man auch nicht leugnen, dass die Hauptrolle in dieser Komödie in den letzten Jahren, mit voller Unterstützung der PiS-Führung, die polnische Regierung gespielt habe. Habe das Kabinett Morawiecki doch jahrelang von Meilensteinen und schwierigen Verhandlungen gesprochen, davon, dass bald ein Abkommen erreicht werde und die Vorwürfe über den Mangel an Rechtsstaatlichkeit in Warschau entkräftet werden. All dies sei jedoch eine Sisyphus-Aufgabe gewesen. Denn egal, wie sehr sie sich aufgeblasen und angestrengt habe, habe die Regierung PiS nicht mit Anerkennung in Brüssel rechnen können.

Was man stattdessen hätte tun sollen? Bewusst einen Krieg mit der Union um die Erhaltung der eigenen Souveränität führen, meint der Autor. Der erste Punkt jeder Strategie, lesen wir, müsse immer die richtige Definition des Gegners und der Verzicht auf Illusionen sein. Polen hätte also erklären sollen, dass es – was die Einwanderungs- und Genderpolitik betrifft – keine Kompromisse eingehen und konsequent alle zentralistischen Pläne Brüssels blockieren wird. Man, so Lisicki weiter, hätte die Reform des Justizsystems zu Ende bringen und den Mechanismus "Geld für Rechtsstaatlichkeit" sowie den ökologischen Wahnsinn mit einem Veto belegen müssen. Man hätte eindeutig die Selbstverwaltungen unterstützen sollen, die die Charta der Familienrechte eingeführt und sich den LGBT-Bewegungen, die von EU-Mitteln finanziert werden, entgegengestellt haben. Man hätte Gesetze einführen sollen, die vor homosexueller und genderbezogener Propaganda schützen und den immer sichtbarer werdenden Despotismus sowie die Einschränkung der Meinungsfreiheit in der EU bekämpfen müssen. 

Stattdessen habe die PiS Druck auf die Kommunen ausgeübt, sich aus Beschlüssen gegen LGBT zurückzuziehen und dem Willen der EU zu beugen. Und später, als der Krieg in der Ukraine ausgebrochen sei, sei die polnische Regierung zum bedingungslosen Unterstützer Kiews geworden und habe dabei die polnischen Staatsinteressen geopfert. Aus diesem Grund würden Kaczyński nun Straßenproteste bleiben, während die Verteidiger “unserer gemeinsamen westlichen Werte” aus Berlin und Paris den Bürgerplattform-Politikern auf die Schulter klopfen und ihnen zu ihrer Effektivität beglückwünschen. Wahrhaftig, eine Komödie, so Paweł Lisicki in Do Rzeczy. 

Gazeta Wyborcza: Putins Trolle stoppen

Die Publizistin der linksliberalen Gazeta Wyborcza, Aleksandra Sobczak macht in ihrem Kommentar für die aktuelle Ausgabe auf die neulich veröffentlichten Untersuchungen der deutschen Behörden zu russischen Desinformationskampagnen aufmerksam und erinnert daran, dass die Ermittler mindestens 50 Tausend Troll-Konten aus Russland identifiziert haben, die etwa eine Million Falschinformationen veröffentlicht haben. Es sei offensichtlich, dass solche Handlungen auch in Polen vorgenommen werden, doch bisher hätten die Regierenden das Problem nicht ernst genommen. Polnische Politiker, so die Autorin, würden viel und gerne über Investitionen in traditionelle Waffen diskutieren, während sie die Kriegsführung im Internet bagatellisieren. Einige von ihnen würden sich bereitwillig Putins Desinformation anschließen, um auf diese Weise ihre Reichweite und Interaktionen mit Wählern zu steigern. Viele Politiker würden immer noch naiv glauben, dass „der Markt alles regeln wird“, während die Wahrheit sei, dass Technologieunternehmen kein wirtschaftliches Interesse daran haben, in interne Ermittlungen zu investieren. Im Gegenteil – die von Russland verursachte Polarisierung treibe ihren Traffic an und steigere damit natürlich auch ihre Werbeeinnahmen.

Wir, so Sobczak, würden wissen, dass russische Agenturen intelligent und methodisch handeln. Bevor sie angreifen, würden sie lebendige Probleme in einer Gesellschaft sowie Ängste diagnostizieren, auf deren Basis Panik oder Konflikt ausgelöst werden können. Ihr Ziel sei es, Chaos und Verwirrung zu stiften, damit niemand mehr wisse, wo letztendlich die Wahrheit liege. Damit jemand, der nach Informationen suche, verwirrt sei und sich schließlich ganz von der Teilnahme an der Debatte zurückziehe.

Die polnische Gesellschaft benötige eine große Informationskampagne, die uns helfe, uns gegen Kriegsdesinformation zu immunisieren. Und dem polnischen Staat, Kommunal- und Europawahlen durchzuführen, in denen nicht Putin über die Ansichten der Wähler entscheidet, so Aleksandra Sobczak in der Gazeta Wyborcza.

Autor: Adam de Nisau