Deutsche Redaktion

"Wird es Polen gelingen, den Migrationspakt zu blockieren?"

12.04.2024 11:11
Premierminister Tusk wolle diesmal den Fehler vermeiden, der 2015 entscheidend zum Wahlsieg der konservativen Recht und Gerechtigkeit PiS beigetragen hat. Und: Laut dem ehemaligen Chef des Verfassungsgerichts Prof. Andrzej Zoll ist die Abtreibung auf Wunsch nicht mit dem Gesetz vereinbar.
Polska krytykuje pakt migracyjny
Polska krytykuje pakt migracyjnyJK21/Shutterstock.com

Rzeczpospolita:  Wird es Polen gelingen, den Migrationspakt zu blockieren?

Die am Mittwoch vom Europäischen Parlament ratifizierte große Reform der Migrationspolitik muss noch vom EU-Rat abgesegnet werden. Dort wolle Donald Tusk erreichen, dass Polen aus dem obligatorischen Verteilungsmechanismus für Asylbewerber ausgeschlossen wird, schreibt Jędrzej Bielecki in einer Analyse für die konservativ-liberale Rzeczpospolita.

Wie der Autor erinnert, habe die damalige Regierung unter Tusk im Jahr 2015 auf Druck Deutschlands ein umstrittenes System von obligatorischen Migrantenquoten für jeden Mitgliedstaat akzeptiert. Die damalige Opposition habe dies als Abtretung eines Schlüsselelements der nationalen Souveränität an Brüssel bezeichnet. Zwei Monate später habe Tusks Entscheidung entscheidend zum Sieg der konservativen PiS bei den Parlamentswahlen beigetragen.

Donald Tusk, so der Autor, wolle diesen Fehler heute nicht wiederholen. Nur wenige Minuten nach der Verabschiedung des Migrationspakts habe der Premierminister versichert: „Wir werden Polen vor dem Umsiedlungsmechanismus schützen".  Damit das neue Gesetz in Kraft treten könne, so Bielecki, müssen ihm 55 Prozent der Mitgliedstaaten mit mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung bei einer Abstimmung im Europarat Ende April zustimmen.Werde Polen es schaffen, bis dahin eine blockierende Minderheit zu bilden, um die Reform der Migrationspolitik an der letzten Hürde zu verhindern, fragt der Autor.

Bislang spreche sich neben Polen nur Ungarn offen gegen die vorgeschlagenen Änderungen aus. Über solche Entscheidung würde man im EU-Rat aber nur selten abstimmen. Es sei eher üblich, dort informell im Hinterzimmer einen Kompromiss zu suchen, der alle zufrieden stelle.

In der Vergangenheit, erinnert Bielecki, habe Warschau bereits signalisiert, dass es aufgrund der Aufnahme einer großen Zahl von Flüchtlingen aus der Ukraine und Belarus nicht gezwungen werden sollte, Migranten aus Nordafrika und dem Nahen Osten aufzunehmen, um den Süden der EU zu entlasten. Vor allem die Partner des Weimarer Dreiecks, Frankreich und Deutschland, könnten Polen bei dieser Forderung unterstützen. Und damit, zwei Monate vor den Europawahlen, den Erfolg nationalistischer Gruppen vereiteln. Daher werden wahrscheinlich einige EU-Hauptstädte bereit sein, Tusk zu unterstützen. Sei es nur, um einen Wahlerfolg der oppositionellen, konservativen PiS zu verhindern, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita.

Dziennik/Gazeta Prawna: Abtreibung auf Wunsch kann nicht für legal erklärt werden

Das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna befragt den Rechtsexperten und ehemaligen Vorsitzenden des Verfassungsgerichts, Andrzej Zoll, zur Abtreibungsdebatte im Parlament. Heute, so Zoll, gebe es noch keinen Entwurf, an dem die Abgeordneten arbeiten könnten. Zuerst treffe die Angelegenheit heute in einen Sonderausschuss. Erst dort würde ein Text entstehen, den man schließlich diskutieren könnte. Geht es nach dem Rechtsexperten, würde Präsident Andrzej Duda alles, was bislang zu diesem Thema gesagt worden sei, nicht unterschreiben. Und ohne ihn sei die Reform des Abtreibungsgesetzes nicht möglich. 

Wie Zoll erinnert, habe er bereits 1997 als Vorsitzender des Verfassungsgerichts, entschieden, dass die Abtreibung auf Wunsch nicht eingeführt und als legal angesehen werden dürfe. Heute würde er dasselbe sagen. Er stütze sich dabei nicht auf den Inhalt der polnischen Verfassung, sondern auf die Tatsache, dass der Fötus von der Zeugung bis zur Geburt ein Wert sei, den das Gesetz schütze. Dasselbe habe der EU-Gerichtshof 2011 festgestellt. Der menschliche Embryo - unabhängig davon, wie er entstanden sei, ob auf natürlichem Wege, durch In-vitro-Fertilisation oder sogar durch Klonen - sei mit einer Menschenwürde ausgestattet, erklärt Zoll im Blatt. Somit sei ein Embryo kein zukünftiges menschliches Wesen, sondern ein sich entwickelndes menschliches Wesen.

Es bestehe also ein Konflikt zwischen zwei Werten. Dem Wohl des sich entwickelnden menschlichen Wesens und dem Wohl, auf das sich die Frau berufe. Zu Zolls Zeit habe das Verfassungsgericht entschieden, dass das Wohl des sich entwickelnden menschlichen Wesens wichtiger sei als das der Frau. Bestimmungen, die eine Abtreibung ohne Rechtfertigung innerhalb von 12 Wochen erlauben, seien deshalb verfassungswidrig. Diesen Standpunkt vertrete er auch heute noch, sagt der ehemalige Vorsitzende des Verfassungsgerichts Prof. Andrzej Zoll im Gespräch mit Dziennik/Gazeta Prawna.

Autor: Piotr Siemiński