Deutsche Redaktion

"Demokraten haben verloren, weil sie nicht gewinnen können"

03.06.2025 13:59
Die Präsidentschaftswahl 2025 wird zur Zäsur für Polens Demokraten: eine Niederlage, die nicht auf fehlende Chancen, sondern auf strategische Versäumnisse zurückgeht. Trzaskowski verlor nicht nur Stimmen, sondern den Draht zu vielen Wählerinnen und Wählern. Nawrockis Präsidentschaft könnte Reformen blockieren und Unsicherheit verstärken. Was sagt dieses Ergebnis über den Zustand von Politik und Gesellschaft in Polen aus? Mehr dazu in der Presseschau.
Warszawa, 01.06.2025. Wybory prezydenckie w Rzeczypospolitej Polskiej
Warszawa, 01.06.2025. Wybory prezydenckie w Rzeczypospolitej PolskiejPAP/Paweł Supernak

Gazeta Wyborcza: "Demokraten haben verloren, weil sie nicht gewinnen können"

"Weniger Überraschung als Enttäuschung" - das sei sein erster Gedanke nach der Bekanntgabe der Ergebnisse der Präsidentschaftswahl gewesen, sagt der Soziologe Prof. Andrzej Rychard im Interview für die linksliberale Gazeta Wyborcza. Er habe zwar gehofft, dass es vielleicht klappen würde. Doch rückblickend sei das Ergebnis eigentlich vorhersehbar gewesen.

"Wenn auf der einen Seite ein Mensch steht, der ein funktionierendes Team und eine klare Botschaft hat”, so der Soziologe, “und auf der anderen ein Mensch, der von leicht beleidigten Kollegen umgeben ist, dann ist das Ergebnis eben so, wie es ist." Wenn einer eine klare Vision habe - auch wenn man sich nicht damit einverstanden erkläre - und der andere sich hauptsächlich auf persönliche Mängel des Kontrahenten konzentriere, dann sei das Ergebnis vorhersehbar.

Besonders kritisch sieht Rychard, dass Trzaskowski Angst hatte, "die Verbindung zu jenen aufrechtzuerhalten, die der Koalition 2023 den Sieg gaben, und mäandrierte." Nawrocki hingegen habe Dinge gesagt, "über die vielleicht ein Teil von uns nachdenkt, aber sich fürchten würde, sie auszusprechen." Zudem hätten Trzaskowski auch die schlechten Umfragewerte der Regierung belastet. 

"Zwycięstwo Karola Nawrockiego przekreśla szanse na usunięcie członków upolitycznionej Krajowej Rady Sądownictwa czy weryfikację neosędziów" wyborcza.pl/7,75398,3199... #wyborcza #Nawrocki #wyboryprezydenckie #Polska

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— Gazeta Wyborcza (@wyborcza.pl) 3. Juni 2025 um 10:04

Auf den Einwand, dass Nawrocki doch durch seine eigene Vergangenheit belastet sei, antwortet der Professor: "Ja, aber man kann nicht nur über seine Vergangenheit sprechen, denn dann kommt heraus, was herausgekommen ist." Es zeige sich, dass für die Menschen weniger wichtig sei, was er getan habe, als was er über die Zukunft zu sagen habe.

Zur niedrigeren Wahlbeteiligung in den Großstädten bemerkt Rychard: "Das Elektorat, das der derzeit regierenden Koalition den Sieg gab, wurde nicht ausreichend mobilisiert, ja sogar demobilisiert." Nun warte auf innenpolitischer Ebene eine große Herausforderung auf die regierende Koalition: Werde sie der Dekonsolidation erliegen oder gelinge es, weiterhin in der bestehenden Konstellation zu regieren? Die Antwort sei keineswegs sicher.

International prognostiziert Rychard eine mögliche "Trumpisierung der polnischen Außenpolitik." Es werde weniger nett für die Ukrainer in Polen werden, auch die Unterstützung für Sanktionen gegen Russland werde sinken - es sei ein großer Markt für Geschäfte.

Die Wahl Nawrockis zeige zudem, dass wir zu sehr darauf konzentriert sind, was wir selbst und unsere Blasen denken. “Wir können die andere Blase nicht erreichen." Es wäre sehr wünschenswert, besser mit jenem Teil der Gesellschaft zu kommunizieren, "der die fundamentale Bedeutung dieser Wahlen nicht erkannt hat. Mit jenem Teil, der keine ausreichende - um es brutal zu sagen - Gratifikation dafür sieht, ein wesentlicher Teil des Westens zu sein, sowohl mental als auch strukturell."

Auf die Frage, ob die Demokraten verloren haben, weil sie nicht gewinnen können, entgegnet Rychard: "So sieht es aus."

Super Express: "Alte Weiber küssen" - Warum Trzaskowski die Präsidentschaftswahl verlor

Eine wichtige Ursache für die Niederlage des Warschauer Stadtpräsidenten sei der Wandel der Wählersympathien in den Landkreisen, schreibt das Boulevardblatt Super Express. 

Wie das Blatt erinnert, habe Trzaskowski in mehreren Landkreisen, in denen er 2020 noch gegen Andrzej Duda gewonnen hatte, diesmal weniger Stimmen erhalten als Nawrocki. Als Beispiel führt das Blatt den Kreis Braniewo in der Woiwodschaft Ermland-Masuren an, wo Trzaskowski von 51% (2020) auf 49% (2025) Zustimmung fiel. Insgesamt hätten sich 7 Prozent der einstigen Wähler der Bürgerkoalition der PiS zugewandt. Es sei eine Niederlage mit Ansage gewesen, sagt der Unternehmer und Sozialaktivist aus Braniewo, Ryszard Doda, der eigentlich für Trzaskowski geworben hatte. "Um hier zu gewinnen, muss man über ein Lagerfeuer springen, 50 Gramm Wodka trinken und alte Weiber abküssen. Die Politiker der Bürgerkoalition haben sich einen Dreck um uns geschert. Niemand ist gekommen, nicht mal um Pfannkuchen zu verteilen."

Geht es nach Duda, habe die regierende Bürgerkoalition (KO) kleine Ortschaften in Nordpolen sowie junge Menschen und Soldaten vernachlässigt - Gruppen, deren gesellschaftliche Bedeutung seit der Grenzkrise zu Belarus und dem russischen Angriff auf die Ukraine 2022 stark gestiegen sei.

Während Vertreter der Rechtsparteien Braniewo besucht hätten - ein Treffen mit Sławomir Mentzen vor der Kathedrale habe laut Doda "unzählige Menschen" angezogen, die PiS habe der Politiker Jacek Sasin vor Ort repräsentiert - sei die Regierungsseite der Ortschaft ferngeblieben.

Auch laut Soziologen habe die Führung der Bürgerplattform zu wenig Bodenarbeit geleistet. Und die Wähler in den Regionen seien eben wechselhaft. "Sie stimmten für Mentzen, davor für Hołownia, und noch früher für die PO, über die sie sich später beschwerten. Dann wieder für die PiS. So suchen die Menschen jahrelang nach diesem Wohlstand. Manche glauben, dass dieser Wohlstand mit einem Fingerschnippen sofort eintreten wird”, sagt ein Dorfvorsteher aus den Bieszczady-Bergen im Gespräch mit dem Portal Wirtualna Polska.

Rzeczpospolita: "Nawrockis Präsidentschaft wird Börse und Złoty schwächen"

Die Präsidentschaft von Nawrocki könnte eine Schwächung der Börse und der Nationalwährung nach sich ziehen, warnt in seiner Analyse der Publizist der konservativ-liberalen Rzeczpospolita, Krzysztof Adam Kowalczyk. Wie der Autor erinnert, habe der Złoty bereits am Montagmorgen nach der Wahl 0,53% gegenüber dem Euro und 0,31% zum Dollar verloren. Der WIG20-Index der Warschauer Börse habe zum Handelsbeginn 2,48% eingebüßt.

Der Wahlsieg der Koalition vom 15. Oktober 2023 und die Hoffnung auf eine rationalere Wirtschaftspolitik als unter der PiS, fährt der Autor fort, hätten die Kurse zuvor massiv angetrieben. Der WIG20 sei von 1.910 Punkten im September 2023 auf über 2.800 Punkte Ende Mai 2025 gestiegen. Durch die Aussicht auf eine PiS-Rückkehr 2027 könnten diese Gewinne wieder schwinden. Denn obwohl in Polen die Regierung die Wirtschafts- und Außenpolitik bestimme, könne der Präsident mit seinem Vetorecht diese Pläne effektiv blockieren. Nawrocki im "großen Palast" bedeute weitere Probleme bei der Verabschiedung wichtiger Reformgesetze, beginnend mit den für die Tusk-Regierung wichtigen Deregulierungsgesetzen.

Die Zinsen für polnische Staatsanleihen, fährt Kowalczyk fort, seien von 5,38% vor der Stichwahl auf 5,55% am Montag gesprungen und würden deutlich höher liegen als in Deutschland (2,5%) oder sogar Griechenland (3,28%). Das Problem: Polen müsse nicht nur ein hohes Haushaltsdefizit finanzieren (6,6% des BIP 2024 - das zweithöchste in der EU nach Rumänien), sondern auch alte, zu niedrigeren Zinsen aufgenommene Schulden mit teureren Krediten refinanzieren.

Und die Chancen auf eine Rationalisierung der aufgeblähten Sozialausgaben seien gering - stattdessen könnten im Vorfeld der Kampagne vor den Parlamentswahlen weitere hinzukommen. Das Erfolgsrezept "Wählerstimmen mit ihrem eigenen Geld kaufen" - wie bei den Programmen 500/800+ und der 13./14. Rente - werde wohl weiter Anwendung finden.

Es drohe also ein Teufelskreis: Angesichts steigender wirtschaftlicher Unsicherheit würden große polnische Unternehmen verstärkt im Ausland statt im Inland investieren. Dies schwäche wiederum den Investitionsmotor des BIP-Wachstums.

Sollte Nawrocki der PiS 2027 zur Rückkehr an die Macht verhelfen, drohe schließlich auch eine Wiederholung des Streits mit Brüssel und ein erneutes Einfrieren von EU-Mitteln. Dies würde öffentliche Investitionen reduzieren und das Wirtschaftswachstum stark bremsen.

Resigniert schließt Kowalczyk: Alle Appelle von Ökonomen an die Politik für Vernunft seien wirkungslos. Man könne nicht gleichzeitig schwedische (hohe) Ausgaben und irische (niedrige) Steuern haben. Die Staatsverschuldung werde die Verfassungsgrenze von 60% des BIP durchbrechen - "Die Lektion aus dem Bankrott unseres Landes in den 70er und 80er Jahren ist vergessen", so Krzysztof Adam Kowalczyk in der Rzeczpospolita.



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