Deutsche Redaktion

Impfskandal oder Werbeaktion?

04.01.2021 11:19
Das Jahr beginnt mit einem Skandal. Im Mittelpunkt der heftigen und emotionalen Diskussion stehen 18 bekannte Polen. Man wirtft ihnen Nepotismus und Seilschaften vor. Ist die Kritik zurecht?
Auf der Liste der eingeschobenen Promis befinden sich unter anderem der ehemalige Premierminister und Europaabgeordnete Leszek Miller, der Starjournalist Krzysztof Materna, die Sngerin Magda Umer und die Schauspieler Krystyna Janda, Andrzej Seweryn, Maria Seweryn und Wiktor Zborowski.
Auf der Liste der eingeschobenen Promis befinden sich unter anderem der ehemalige Premierminister und Europaabgeordnete Leszek Miller, der Starjournalist Krzysztof Materna, die Sängerin Magda Umer und die Schauspieler Krystyna Janda, Andrzej Seweryn, Maria Seweryn und Wiktor Zborowski.Foto: PAP/Adam Warżawa

RZECZPOSPOLITA: Impfskandal oder Werbeaktion?

Das Neue Jahr beginnt in Polen mit einem Skandal, schreibt in ihrem Kommentar in der Tageszeitung Rzeczpospolita die Publizistin Zuzanna Dąbrowska. Im Mittelpunkt der heftigen und emotionalen Diskussion würden 18 bekannte Polen stehen: unter anderem Schauspieler und Politiker. Man werfe ihnen Nepotismus und Seilschaften vor. Die Promis hätten Impfungen vor der Zielgruppe „0”, zu der ausschließlich Ärzte und Krankenschwestern gehören, bekommen. Neben dem moralischen sei in diesem konkreten Fall ebenfalls der politische Kontext nicht zu übersehen. Dazu gehöre der ehemalige postkommunistische Premierminister und Europaabgeordneter der Linken, Leszek Miller, der kein großer Freund der Regierenden sei. Ganz zu schweigen von Krystyna Janda – die berühmte Schauspielerin und Theaterdirektorin sei für ihre heftige Kritik der Regierungspartei PiS bekannt. Je nach politischen Ansichten würden die einen die Promis aufs Schärfste kritisieren während die anderen ihr Verhalten als nachvollziehbar zu erklären versuchen - letztendlich handle es sich doch um berühmte Künstler und bekannte Politiker.

Der Direktor der Universitätsklinik will nun eine interne Untersuchungskommission einrichten. Er habe nichts von der „Promi-Aktion“ gewusst. Die Prominenten würden sich indes im Internet einer Hetzkampagne ausgeliefert sehen. Auch von offizieller Seite, da einige PiS-Politiker keinen harschen Kommentar auslassen würden.

Das Publikum sehe dabei nicht, dass es sich bei dem Skandal um ein sehr feines Spiel der Regierung handle, schreibt die Publizistin weiter. In Zusammenarbeit mit der Opposition hätten die Regierenden einen Plan in die Wege geleitet, der die Menschen in Polen zu Impfungen überreden soll. Die Opposition habe ihre Eliten zu Verfügung gestellt, die Regierung ihre Impfdosen. Jetzt erst würden die Polen vor Krankenhäusern Schlange stehen. Eine bessere Motivation als Reglementierung und Neid habe noch keiner ausgedacht. Jedem Promi, der sich nun vor einer Zielgruppe werde impfen lassen, sollte man einen Blumenstrauß und eine Dankkarte von der Kanzlei des Premierministers überreichen, meint Dąbrowska.

In Polen ist die Impfskepsis weit verbreitet. Nach jüngsten Umfragen wollen sich ungefähr 44 Prozent der Bevölkerung nicht impfen lassen. Zu ihren Argumenten zählt etwa die Geschwindigkeit, mit der das Präparat hergestellt wurde.

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: „Promis, ihr habt mir meine Impfdosis weggenommen”

Weniger gelassen als die Publizistin der Rzeczpospolita schaue auf den Skandal mit den Promis-Impfungen eine Ärztin aus der Universitätsklinik in Warschau. In einer sehr emotionalen Stellungnahme bezieht sich die Psychiaterin und Psychotherapeutin Maja Herman auf die Tatsache, dass man den Direktor eines privaten Fernsehsenders, einen Europa-Abgeordneten und die Familie einer bekannten Schauspielerin vor der Zielgruppe „0” habe impfen lassen.

Sie Sei Ärztin, sie arbeite in der Warschauer Universitätsklinik. Für den Eintrag werde sie vielleicht ihren Job verlieren, sie sei aber richtig wütend, zitiert Dziennik/Gazeta Prawna Maja Herman. Sie wollte abwarten, damit zuerst diejenigen, die direkt mit dem Corona-Virus zu tun hätten, die Impfung bekommen können. Sie sei davon ausgegangen, dass die Impfaktion in der Uniklinik ja sowieso schnell verlaufen würde. Nun höre sie aber, dass die Promis ihr den Impfstoff weggenommen hätten, obwohl sie eigentlich zur Zielgruppe „0” gehöre. Das werde sie den Prominenten nie vergessen, schreibt die Ärztin weiter. Kommt zu Vernunft, appelliert Herman abschließend. Wir würden doch in Zeiten von sozialen Medien leben, jeder schaue doch den andern auf die Hände, lesen wir in Dziennik/Gazeta Prawna.

GAZETA POLSKA CODZIENNIE: Gewinner und Verlierer 2020

In einem Gespräch mit dem Blatt Gazeta Polska Codziennie zieht der Politologe, Doktor Krzysztof Kawęcki eine politische Bilanz des Jahres 2020. Der größte Verliere sei nach Kawęcki der Chef der Bauernpartei Włądysław Kosiniak-Kamysz. Aus dem Tiger der Opposition sei lediglich ein kleines Tierchen ohne Krallen geblieben. Die Präsidentschaftswahl habe einen blitzschnellen Verlust der Wählerzustimmung für den Politiker offenbart. Aus seinem Traum der wahre Anführer der vereinigten Opposition zu werden, sei nichts übrig geblieben, meint der Politologe.

Als den größten politischen Gewinner des vergangenen Jahres würde Doktor Kawęcki wiederum den Präsidenten Andrzej Duda sehen, der im Sommer die Wiederwahl erreicht habe. Es sei selbstverständlich nicht nur ein Erfolg des Staatsoberhaupts sondern auch der gesamten Vereinigten Rechten. Im Kontext der linken Revolte auf Polens Straßen sei der Sieg von Duda umso bedeutender, meint der Politologe. Man sehe nun seine stabilisierenden Wirkung auf das Regierungslager sowie auf die gesamte politische Szene in Polen, so Krzysztof Kawęcki in der Tageszeitung Gazeta Polska Codziennie.


Jakub Kukla