Deutsche Redaktion

"Brüssel fehlt erneut der Mut"

23.02.2021 13:30
Kein Wort über größere Wirtschaftssanktionen oder den Baustopp von Nord Stream 2. Stattdessen Einreiseverbote und die Einfrierung von Aktiva in der EU für ein paar Beamte, die in die Verurteilung von Alexej Nawalny verstrickt waren, fasst die gestrigen Beschlüsse der EU-Außenminister auf ihrer Titelseite die konservativ-liberale Rzeczpospolita zusammen.
Aleksiej Nawalny w moskiewskim sądzie
Aleksiej Nawalny w moskiewskim sądziePress Office of Moscow's Babushkinsky District Court/TASS/Forum

Rzeczpospolita: Brüssel fehlt erneut der Mut

Kein Wort über größere Wirtschaftssanktionen oder den Baustopp von Nord Stream 2. Stattdessen Einreiseverbote und die Einfrierung von Aktiva in der EU für ein paar Beamte, die in die Verurteilung von Alexej Nawalny verstrickt waren. Oligarchen dürften jedoch, trotz Appellen von Nawalnys´ Mitarbeitern, auf der Liste fehlen, fasst die gestrigen Beschlüsse der EU-Außenminister auf ihrer Titelseite die konservativ-liberale Rzeczpospolita zusammen. Dieselbe Milde, so das Blatt, habe die EU auch gegenüber Belarus gezeigt. Trotz Appellen der dortigen Opposition wolle die Union keine weiteren Sanktionen gegen das Regime Lukaschenka einführen. 

Nach dem Krieg, erinnert in seinem Autorenkommentar dazu der belarussische Publizist Rusłan Szoszyn, habe ein gewisser junger und sehr mutiger belarussischer Aktivist antistalinistische Flyer ausgehängt und Landsleute sowie Freunde aus dem Untergrund überzeugt, dass der Westen sicher kommen und bei dem Kampf gegen den bolschewistischen Terror helfen werde. Bis zu seinen letzten Tagen, so der Autor, habe er geglaubt, dass die um Freiheit kämpfenden Belarussen nicht auf sich allein gestellt sind und jemand sie in Schutz nehmen wird. So sei es jedoch nicht gekommen, niemand sei erschienen. Rascislau Łapicki sei 1950 in der Nähe von Wilejka erschossen worden, er war 22 Jahre alt. Und die meisten seiner Kollegen hätten den Großteil ihres Lebens in Arbeitslagern verbracht.

Am Montag, lesen wir weiter, habe das Gericht im belarussischen Homl den 16-jährigen Mikita Załataroua zu fünf Jahren Arbeitslager verurteilt und zwei seiner nicht viel älteren Kollegen zu sechs und acht Jahren Haft. Vor ein paar Tagen seien zwei junge Biełsat-Journalistinnen verhaftet worden und weitere Journalisten, Oppositionelle und Verteidiger von Menschenrechten würden auf Urteile warten. Ein paar Regimegegner seien ermordet und hunderte gefoltert worden. Über 250 politische Häftlinge seien hinter Gittern. Sie würden nicht darauf zählen, dass der Westen ihnen persönlich irgendwie hilft. Aber sie würden darauf zählen, dass er wenigstens etwas tun und den Terror im Zentrum von Europa stoppen werde. 

Die enttäuschte demokratische Opposition appelliere um schmerzhafte Sanktionen, die nicht nur die Oligarchen des Regimes, sondern auch die wichtigsten Unternehmen treffen, die das Regime Lukaschenka finanziell tragen. Die EU-Praxis, so der Autor, sehe jedoch anders aus. Am Montag stelle der EU-Chefdiplomat den anderen Außenministern die “Lage in Belarus” vor. Mit Sicherheit würden die Belarussen auf “entschiedene Reaktionen” aus Brüssel zählen können. Wenn alles gut laufe, dann werde es auch gelingen personelle Sanktionen und Einreiseverbote für ein paar Richter und Staatsanwälte einzuführen. 

In einer Situation, in der Brüssel nicht in der Lage sei, einen bankrotten Diktator im Zentrum von Europa im Zaum zu halten, könne es nicht wundern, dass es keine gemeinsame Politik Europas gegen den Kreml gibt, der mindestens 2 Tausend Nuklearraketen, knapp 600 Milliarden Dollar Reserven und unzählige Öl- und Gasvorkommen in Petto habe, so Rusłan Szoszyn in der Rzeczpospolita. 

 

Energetyka24: Deutschland gibt Putin weiteres Druck-Instrument in die Hand

“Durch die Bindung von Europa an russisches Gas gibt Deutschland Vladimir Putin ein Werkzeug in die Hand, mit dem er die Realität beeinflussen kann. So, wie es in der Ukraine oder in Belarus der Fall war”, sagt im Interview mit dem Energetik-Portal Energetyka24 Vize-Außenminister Marcin Przydacz. 

Und das, wie der Politiker betont, obwohl die EU alle Mittel in der Hand habe, um das Nord Stream 2 Projekt zu stoppen. Erforderlich sei nur die Entscheidung, diese anzuwenden. Und genau das würde Polen von den Partnern in der EU erwarten: Dass das Projekt der zweiten Nord Stream-Pipeline, im Geiste der Verantwortung für die Sicherheit der EU und im Geiste der Einhaltung der von ihnen häufig proklamierten Grundsätze, endgültig eingestellt wird. 

Bisher, erinnert der Politiker, seien die Aufrufe der Länder der Region zur Einheit der Europäischen Union gegenüber Russland weitgehend ohne Echo verhallt. Die letzten Jahre - der Krieg im Donbass, die Krim-Annexion, der Fall Skripal, die Einmischung in die Wahlen in den Vereinigten Staaten und an mehreren anderen Orten oder die Inhaftierung von Alexei Navalny nach einem erfolglosen Versuch, ihn zu vergiften - würden die Natur des politischen Systems in Russland und die Art und Weise, wie Russland die Beziehungen zum Westen sieht klar zeigen. Wir in Polen, so der Politiker, könnten uns jetzt beleidigt zurücklehnen und angesichts dieser Naivität sagen: "Wir haben´s doch gesagt", aber nicht darum gehe es in der Außenpolitik. 

Stattdessen liege es Polen an der gemeinsamen Sicherheit und daher auch an der Einhaltung der so genannten fünf Prinzipien der Zusammenarbeit der EU mit Russland, auf die sich alle Mitgliedsstaaten 2016 geeinigt hätten. Es gebe keinen Grund, diese zu ignorieren. In Bezug auf NS2 habe man bisher alles getan, um den europäischen Partnern zu zeigen, dass das Projekt nicht den Zielen dienen wird, die die Autoren des Projekts versucht hatten, uns einzureden. Und die neuesten Stimmen aus Frankreich würden zeigen, dass die Botschaft angekommen sei. Frankreich habe sich noch nie so offen gegen eine Vertiefung der Abhängigkeit der EU von russischem Gas ausgesprochen. Auch in Deutschland habe erstmals seit vielen Jahren eine ehrliche Diskussion über die Kosten der Zusammenarbeit mit Russland begonnen, nicht nur im PR- aber auch im strategischen Bereich. 

Trotzdem bleibe die Gefahr der Fertigstellung der Pipeline immer noch enorm. Daher müsse Polen gleichzeitig mit aller Kraft die Diversifizierung der eigenen Energetik antreiben, unter anderem durch die Förderung erneuerbarer Energiequellen, die stärkere Integration mit dem europäischen Energienetz und Zusammenarbeit mit Partnern, wie den USA. Hier müsse das Verantwortungsbewusstsein für das Klima Hand in Hand mit der Verantwortung für die Sicherheit der Wirtschaft und Gesellschaft gehen, so Vize-Außenminister Marcin Przydacz im Gespräch mit dem Portal Energetyka24.  

 

Autor: Adam de Nisau