Führendes Thema vor dem langen Wochenende in Polen bleibt die angespannte Situation an der polnisch-belarussischen Grenze.
Rzeczpospolita: Die Spannung nimmt nicht ab
Die Staaten der EU hätten sich zwar am Dienstag darauf geeinigt, den Vertrag über Visums-Erleichterungen für Dignitäre des Lukaschenka-Regimes zu suspendieren. Doch laut Experten sei dies zu wenig. Die Maßnahmen müssten schmerzhafter sein, um wirksam zu sein, schreibt in ihrem heutigen Aufmacher die konservativ-liberale Rzeczpospolita. Und in Brüssel, lesen wir, sei die Bereitschaft offenbar auch da, den Kurs weiter zu verschärfen. Unter anderem durch Versuche, die Zahl der Flüge nach Belarus einzuschränken. Erstens erwäge die EU-Kommission Sanktionen gegen Betreiber, die bewusst an Lukaschenkas´ Plan teilnehmen. Zweitens wolle Brüssel auch die Möglichkeiten des belarussischen Flugbetreibers Belavia einschränken, indem es das Leasing von Flugzeugen blockiere. Diese würde Belavia derzeit vor allem von irischen Firmen leihen. Zudem biete die Europäische Kommission Polen auch weiterhin finanzielle und operationelle Unterstützung an. Doch Warschau habe eine solche bis dato nicht beantragt. Der Zufluss von Migranten werde indes nicht kleiner. Die Grenzschützer würden schätzen, dass in den belarussischen Wäldern einige Tausend Personen auf eine Gelegenheit warten, die Grenze zu überschreiten. Die Dienste prognostizieren, dass es am 10. und 11. November, also dem polnischen Unabhängigkeitstag zu einer Kulmination des Sturms auf die Grenze kommen könnte, so Rzeczpospolita.
Dziennik/Gazeta Prawna: Unruhe im Osten
Das bestmögliche Szenario für Polen wäre natürlich, dass Polen den Attacken standhält, die Migrationswelle abflaut, da Putin und Lukaschenka nicht über unendliche Ressourcen verfügen und sich alles mehr oder weniger normalisiert, beobachtet in der aktuellen Ausgabe das Wirtschaftsblatt Dziennik/Gazeta Prawna. Leider bestehe jedoch auch das Risiko, dass jemandem an der Grenze der Kragen platzt, es zu einer inadäquaten Entscheidung und dadurch zu einer Kettenreaktion kommt, deren Konsequenzen schwer abzusehen sind.
Ein pessimistisches Szenario wäre etwa, dass die polnische Grenze dem Druck nicht standhält und eine unkontrollierte Welle von Migranten ins Land rollt, darunter sicherlich auch Personen mit gelinde gesagt schlechten Intentionen. Es wäre naiv zu denken, dass eine solche Welle einfach nach Deutschland weiter rollt und Polen aufatmen kann. Denn in diesem Szenario, so das Blatt, würden an unserer Grenze - diesmal der westlichen - neue, effektivere Barrikaden entstehen, was für Polens Sicherheit und politische Situation fatale Konsequenzen hätte.
Es, lesen wir weiter, gebe auch eine zweite pessimistische Variante, die mit hoher Wahrscheinlichkeit schon in den Schubladen der belarussischen und russischen Hybridkrieg-Strategen liege. Denn wenn die polnische und litauische Grenze mit Erfolg abgedichtet würden, dann könne Belarus den Migrantenstrom auf die Ukraine umlenken und so unsere mit großem Aufwand vorbereitete Barrikade umgehen. Die belarussisch-ukrainische Grenze sei löchrig, wie ein Sieb und ihre physische Abdichtung sei vorerst nicht real. Diese Variante würde die Destabilisierung der Ukraine zur Folge haben und bei Polens Versuch, die Grenze zur Ukraine abzudichten, die bilateralen Beziehungen belasten, so Dziennik/Gazeta Prawna.
Dziennik/Die Welt: Mit dem Schutz der EU-Außengrenze erweist Polen der EU einen Dienst
Dziennik macht auf seiner Internetseite auch auf einen Artikel der “Welt” zur Krise an der polnisch-belarussischen Grenze aufmerksam. In der Krise, sei in dem Artikel zu lesen, halte sich die EU an ehrenvolle Prinzipien und kritisiere Polen für seine harte Haltung. Doch der Schutz der Grenze sei vor allem ein Beweis für ein Realitätsbewusstsein, das der EU seit 2015 gefehlt habe. Indem Polen seine Grenze schütze, so die These des Publizisten Paul Geiger, erweise es der EU einen Dienst. In der idealen Welt der EU-Vorschriften, lesen wir, könne man Migranten, die ihren Fuß auf EU-Boden gesetzt hätten, nicht zurückschicken, bevor ihr Asylantrag bearbeitet worden sei. In der wirklichen Welt würden jedoch alle, die die EU erreicht hätten - und das sei verständlich - alles tun, um auch dort zu bleiben. Auch wenn sie keine Chancen auf Asyl hätten. Das EU-Recht, so die Diagnose von Paul Geiger, habe sich daher als Achillesferse erwiesen. Trotzdem kritisiere die EU-Kommission Polen jedoch dafür, Migranten aus Belarus auszuweisen. Habe die EU nichts gelernt, fragt der Autor.
Als Vladimir Putin Syrien bombardiert habe, erinnert Geiger, und der türkische Präsident Recep Erdogan syrische Flüchtlinge einfach weitergeschickt habe, habe die EU der Sache freien Lauf gelassen. Die Folge sei der Kontrollverlust durch Deutschland, die Stärkung von anti-europäischen Strömungen in ganz Europa und schließlich auch der Brexit gewesen. Nun habe Polen den Schutz der östlichen Grenze in die eigenen Hände genommen. Wäre es humanitärer, nichts zu tun und zuzulassen, dass Menschen weiterhin als Marionetten im perfiden Spiel des Diktators missbraucht werden. Die EU sollte verstehen, dass Polen in ihrem Interesse agiert, da es realistisch handelt, zitiert dziennik.pl den Artikel von Klaus Geiger in der “Welt”.
Autor: Adam de Nisau