Deutsche Redaktion

"Ukrainische Fragen an den Westen"

25.02.2022 10:56
Es scheine, als ob sich der Westen seine Rolle so vorstellen würde: dazustehen und zuzuschauen, wenn ein europäischer Staat brutal angegriffen werde. Und dann noch zu sagen, dass man zwar irgendetwas unternehmen sollte, man aber keine konkrete Entscheidung treffen könne, sagt der ehemalige ukrainische Außenminister Wołodymyr Ohryzko im Gespräch mit Jerzy Haszczyński. Außerdem: Sicherheitsexperte Christian Mölling analysiert die Spielräume für die NATO. Und: Polnischer Fußballverband boykottiert Playoffs in Russland. 
Przy granicy z Ukrainą powstają punkty recepcyjne dla uchodźców
Przy granicy z Ukrainą powstają punkty recepcyjne dla uchodźców PAP/EPA/YURI KOCHETKOV

RZECZPOSPOLITA: Ukrainische Fragen an den Westen 

Jerzy Haszczyński beschreibt die Situation in der Hauptstadt Kiew einen Tag nach dem  russischen Überfall auf die Ukraine. Die Straßen seien leer, viele Menschen seien geflüchtet, es herrsche Angst vor russischen Bomben. Auch wenn die Angreifer sich in erster Linie auf die Zerstörung der kritischen Infrastrukturen konzentrieren, würden auch Wohnblöcke große Schäden davontragen. Es mehren sich auch dringende Fragen an den Westen, schreibt Haszczyński weiter. Der Journalist habe unter anderem mit Volodymyr Ohryzko, dem früheren Außenminister der Ukraine gesprochen. Ohryzko habe sich außerhalb der Hauptstadt versteckt. Seinen derzeitigen Aufenthaltsort wolle er nicht verraten. Im Telefongespräch fordere er eine entschlossene Haltung des Westens. Seine Enttäuschung versuche er erst Mal gar nicht zu verschweigen. Ohryzko fordere den Westen dazu auf, Putin nicht mit Sanktionen, sondern mit militärischen Mitteln zu stoppen. Er wünschte sich, dass die europäischen Politiker endlich etwas Konkretes unternehmen würden, anstatt nur zu diskutieren. Man müsse handeln, sagt der Ukrainer. Er habe soeben eine Aussage von Ursula von der Leyen gehört, die erneut eine Diskussion über die Einführung von Sanktionen gegen Russland angekündigt habe. Man diskutiere nur, die Ukraine brauche aber mehr als nur schöne Worte.

Im Gespräch mit Jerzy Haszczyński erinnert Ohryzko, dass man einen Teil der Sanktionen in der Vergangenheit bereits eingeführt habe. Hätten diese angeblich folgenschweren Sanktionen Russland aber von seinem verbrecherischen Plan abgehalten? - fragt der Politiker rhetorisch. Werde der Westen in den kommenden Tagen keine entschlossenen Schreite unternehmen, könnte dies das Ende des westlichen Bündnisses bedeuten. Denn wie werde man dann erklären wollen, dass immer, wenn etwas Schlimmes passiere, der Westen nur an der Seitenlinie stehe und zuschaue?

Es scheine, als ob sich der Westen seine Rolle so vorstellen würde: dazustehen und zuzuschauen, wenn ein europäischer Staat brutal angegriffen werde. Und dann noch zu sagen, dass man zwar irgendetwas unternehmen sollte, man aber keine konkrete Entscheidung treffen könne - sagt Wołodymyr Ohryzko im Gespräch mit Jerzy Haszczyński für die Tageszeitung Rzeczpospolita.  

DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Westliche Antworten auf ukrainische Fragen

Eine Antwort auf die von Ohryzko gestellten Fragen liefert zum Teil ein Interview mit dem Sicherheitsexperten Christian Mölling, das wir in der heutigen Ausgabe der Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna finden. Die NATO habe zunächst einmal primär die Aufgabe, die Grenzen des Bündnisses zu verteidigen. Sollte Putin - und danach sehe aus - die gesamte Ukraine einnehmen, hätte er die Grenzen nach Westen verschoben, an die Grenze der NATO heran. Das wäre fast ein Treppenwitz der Geschichte, da er ja immer behauptete, die NATO hätte die Grenzen nach Osten verschoben. Das sei ohnehin immer eine Lüge gewesen, denn Russland habe dem 1997 zugestimmt. Also verschiebe Putin die russische Grenze nun nach Polen. Mittelfristig müsse die NATO daher ihre gesamte Verteidigungsplanung überarbeiten. Man müsse neue Annahmen über Russland als Aggressor zugrunde legen.

An einem von Ohryzko geforderten militärischen Einsatz könnte sich die Bundeswehr aber nicht beteiligen. Sie sei seit 20 Jahren abgewirtschaftet worden. Es habe niemand geglaubt, dass es noch mal einen großen Krieg in Europa geben werde. Und jetzt sei er da. Den russischen Drohungen könne man militärisch wenig entgegensetzen. Umso wichtiger seien die Finanz- und Wirtschaftssanktionen. Sie müssten die Oligarchen treffen, das gesamte russische Wirtschaftssystem. Mittelfristig dürfte es genug Leute in Russland geben, die dann nervös würden. Es komme dabei massiv auf Deutschland an. Die Bundesrepublik sei der reichste Staat in der EU, sie könne vorangehen etwa bei den Sanktionen. Den finanziellen Verlust, der damit einhergeht, können Deutschland tragen, meint der Sicherheitsexperte Christian Mölling.  

SUPER EXPRESS: Keine Playoffs in Russland 

Die Fußballverbände aus Polen, Schweden und Tschechien weigerten sich, an den WM-Playoffs Ende März in Russland teilzunehmen, berichtet die Tageszeitung Super Express. „Die Unterzeichner dieses Appells ziehen es nicht in Betracht, nach Russland zu reisen und dort Fußballspiele auszutragen“, steht in einem Brief an die Generalsekretärin des Weltverbands FIFA, Fatma Samoura, den der polnische Verband auf Twitter veröffentlichte. Die militärische Eskalation habe schwerwiegende Auswirkungen auf die Sicherheit der Teams und Betreuer. Die drei Verbände hätten zuvor die FIFA und die Europäische Fußball-Union UEFA allerdings aufgefordert, sofort zu reagieren und Alternativen für die Spiele auf russischem Boden vorzuschlagen. Bislang habe die FIFA keine Konsequenzen gezogen.

In den europäischen Playoffs zur WM-Endrunde in Katar werden Ende März drei Tickets vergeben. Im Halbfinale solle Polen Ende März in Russland antreten. Kämen die Russen in das Finale, wären dort am 29. März Schweden oder Tschechien der Gegner. Die Ukraine spielt in ihrem Halbfinale in Schottland, erinnert Super Express.

Autor: Jakub Kukla