Deutsche Redaktion

Politik statt Sicherheit?

25.11.2022 12:32
Nach einem Raketeneinschlag im polnischen Dorf Przewodów letzte Woche hat Deutschland Polen ein Raketenabwehrsystem angeboten. Das Angebot wurde zuerst angenommen und dann nach zwei Tagen abgelehnt. Polens ablehnende Haltung hat nicht nur die deutsche Seite überrascht. Dazu mehr gleich.
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Rzeczpospolita: Politik statt Sicherheit

Die plötzliche Kehrtwende in der Haltung der polnischen Regierung gegenüber dem Angebot, deutsche Patriots im Land aufzustellen, sei für alle überraschend gewesen, schreibt Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita. Der Chef des Verteidigungsministeriums habe noch am Montag „mit Genugtuung" das Angebot einer deutschen Beteiligung am Schutz des polnischen Luftraums gegen Raketenangriffe aus dem Osten begrüßt. Zwei Tage später habe er auf Weisung des PiS-Parteiführers Jarosław Kaczyński geraten, die deutsche Luftabwehr doch in der Ukraine zu platzieren.

Für Berlin sei dies ein völlig unrealistisches Szenario, lesen wir. Dies würde eine direkte Beteiligung des NATO-Mitgliedslandes am Krieg in der Ukraine bedeuten. Der Betrieb dieser Luftabwehr bräuchte nämlich mehrere hundert deutsche Soldaten. Deshalb sei die Meinung zu hören, so Bielecki, dass das deutsche Angebot so attraktiv gewesen sei, dass Warschau es nicht einfach ablehnen konnte. Die Regierung musste einen Weg finden, heißt es, der zumindest in den Augen der PiS-Hardliner die Schuld für das Scheitern des Angebots auf Deutschland abwälzen würde.

Der Preis einer solchen Strategie für Polen bleibe die unzureichende Sicherheit des Landes gegen einen russischen Angriff, fährt der Autor fort.

Wären die Behörden in Warschau wirklich an einer stärkeren deutschen und indirekt auch amerikanischen Beteiligung an der Verteidigung der Ukraine interessiert, wäre der polnische Vorschlag auf diplomatischem Wege übermittelt worden, überzeugt Bielecki. Der Vorschlag des Parteiführers wurde jedoch in einem Medien-Interview veröffentlicht und habe Polens westliche Partner völlig überrascht.

Geht es nach dem Autor seien damit die letzten Hoffnungen begraben, dass es für die Regierungspartei in Kriegszeiten wichtigere Themen gebe, als ihre Chancen zu erhöhen, nach den Wahlen in zehn Monaten an der Macht zu bleiben, lautet sein Fazit in der Rzeczpospolita. 

Dziennik/Gazeta Prawna: Polen kauft endlich eigene Beobachtungssatelliten 

In den kommenden Wochen werde das Verteidigungsministerium einen Vertrag mit Airbus über die Lieferung von Beobachtungssatelliten unterzeichnen. Polen habe noch nie über eigene Fähigkeiten dieser Art verfügt, schreibt Dziennik/Gazeta Prawna am Freitag. Die Gespräche mit den Franzosen sollen zwei Themen betreffen. Das erste sei der Kauf von zwei Beobachtungssatelliten. Damit könnte Polens Armee die Silhouetten von Personen, die Infrastruktur sowie Fahrzeuge eines potenziellen Gegners aus dem Orbit problemlos erkennen.

Das zweite Thema betreffe die polnisch-französische Regierungszusammenarbeit im Bereich der Aufklärung durch elektromagnetische Strahlung und Satellitenkommunikation, so das Blatt. Diese Zusammenarbeit würde sich auf sechs Airbus-Satelliten stützen. Zwei davon würde Polen betreiben. Mit ihnen wäre es möglich, ausgewählte Teile der Erde 24 Stunden am Tag aus einer Höhe von bis zu 700 km mit großer Genauigkeit zu beobachten. Die Satelliten würden es auch ermöglichen, das Potenzial polnischer Langstreckenraketen amerikanischer Bauart zu nutzen, heißt es des Weiteren. Bislang sei dies ohne US-Satellitenunterstützung nicht möglich.

Geht es nach dem Blatt, spreche Polen schon seit mindestens acht Jahren über den Kauf eigener Satelliten. Dieses Programm könnte auch die Grundlage für die Wiederherstellung der polnisch-französischen Beziehungen in Sicherheitsfragen sein. Zuvor sei diese durch den Abbruch des bereits ausgehandelten Vertrags über französische Caracal-Hubschrauber durch die polnische Seite beeinträchtigt worden. In letzter Minute sollen auch die Amerikaner versucht haben, in das Spiel um den Verkauf von Satelliten einzusteigen, lesen wir am Schluss. Polen würde ihr Angebot derzeit aber nicht berücksichtigen. 

GPC: Pole, Ukrainer - zwei Neffen 

Das regierungsnahe Wochenblatt Gazeta Polska Codziennie indes schreibt, das man im Land immer wieder von der angeblichen Abneigung der Polen gegenüber den Ukrainern höre. In Wirklichkeit aber, heißt es, würde selbst eine verirrte und höchstwahrscheinlich ukrainische Rakete in Polen die nachbarschaftlichen Beziehungen nicht beeinträchtigen. Trotz ernsthafter Bedrohungen für die polnisch-ukrainischen Beziehungen würden diese auf verschiedenen Ebenen immer noch recht herzlich bleiben, so das Blatt. Verschiedene politische Kräfte seien trotz wiederholter Versuche nicht in der Lage, die beiden Völker zu spalten.

Geht es nach dem Blatt, müsse die ganze Angelegenheit einen tieferen Grund haben. Die polnisch-ukrainische Annäherung sei Teil eines größeren Wandels nicht nur in Polen, sondern auch global. Eine soziale und geopolitische Veränderung, die Forscher, die sich auf das „Hier und Jetzt" konzentrieren, offenbar nicht verstehen könnten.

Die Ukrainer würden stark in die polnische Gesellschaft eindringen. Sie würden sich von ihren Nachbarn und Kollegen oft nur durch ihren Akzent unterscheiden, lesen wir. Die polnisch-ukrainische Annäherung auf gesellschaftlicher Ebene habe aber auch politische Auswirkungen. Die Polen hätten einfach das Gefühl, dass der Krieg in der Ukraine auch ihre Angelegenheit sei. Auf gesellschaftlicher Ebene könnte es daher schon bald einen Rahmen für die militärische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen Kiew und Warschau geben. Eine Art der polnisch-ukrainischen Union, glaubt das regierungsnahe Blatt.

Die geopolitischen Veränderungen um Polen herum würden genau in diese Richtung weisen. Polen müsse sich selbst schützen, vorzugsweise durch die Schaffung einer militärischen „Einheit". Die Amerikaner könnten dieses Konzept unterstützen. Sie würden in diesem Teil Europas ein Gegengewicht zum russischen Kettenhund Chinas haben wollen, schreibt das Wochenblatt. Dies sei eine Politik, an der die konservative Rechte Polens festhalten sollte, wenn sie ihren Einfluss behalten und darüber hinaus eine sichere und blühende Zukunft für diesen Teil der Welt sicherstellen möchte, lautet das Fazit in GPC.

 

 Piotr Siemiński