Deutsche Redaktion

Polen streitet um den Papst

10.03.2023 14:15
Er steht unter anderem für den Kampf gegen den Kommunismus und später für den Weg Polens nach Europa - Johannes Paul II. ist für viele in Polen  eine Symbolfigur. Nun kratzt eine Reportage des Fernsehsenders TVN an diesem Image. Johannes Paul II, so der Vorwurf, hat noch vor seiner Wahl zum Papst über Missbrauchsfälle in der Kirche gewusst und nicht genug dagegen getan. Die Stimmen zur Debatte in der Presseschau.
Dr Łucja Marek (IPN) o materiale TVN ws. Jana Pawła II: nie przedstawiono tych dokumentów, które dowodzą, że kard. Wojtyła reagował natychmiast
Dr Łucja Marek (IPN) o materiale TVN ws. Jana Pawła II: nie przedstawiono tych dokumentów, które dowodzą, że kard. Wojtyła reagował natychmiastShutterstock.com/Salma Bashir Motiwala

Rzeczpospolita: Hybridkrieg mit den USA um den Papst

Das Außenministerium habe den US-Botschafter nicht vorgeladen, sondern ihn eingeladen" - das sei heute die offizielle Version der Regierung, schreibt zur Einbestellung von Mark Brzezinski im Zusammenhang mit der Papstkritik des Fernsehsenders TVN der Publizist der konservativ-liberalen Rzeczpospolita Jędrzej Bielecki. Das Außenministerium, so der Autor, werfe dem zum amerikanischen Konzern Discovery gehörenden Sender Aktivitäten vor,  die den Zielen einer hybriden Kriegsführung gleichkommen und darauf abzielen, Spaltungen und Spannungen in der polnischen Gesellschaft zu erzeugen." Dies wiederum würde die Fähigkeit der Republik Polen untergraben, einen potenziellen Gegner abzuschrecken und auf Bedrohungen zu reagieren".

Vor knapp drei Wochen, erinnert Bielecki, habe Joe Biden vor dem Königsschloss in Warschau appelliert, die Welt der Freiheit und Demokratie zu verteidigen. Regierungsnahe Medien hätten damals hervorgehoben, wie wichtig Polen sei, da der amerikanische Präsident doch beschlossen habe, einen solchen Appell eben in Polens Hauptstadt zu verkünden. Bidens Besuch, so das Argument, sei der beste Beweis dafür gewesen, dass die demokratischen Freiheiten - im Gegensatz zu dem, was Brüssel behaupte - unter der gegenwärtigen Regierung uneingeschränkt geachtet würden. Heute, so der Autor, werde jedoch deutlich, dass die polnische Regierung ein völlig anderes Verständnis von Freiheit und einer freien Debatte habe als das Weiße Haus. Aus der Sicht der polnischen Regierungspartei bestehe die Rolle der Medien offenbar nur darin, Teil der Propagandamaschinerie zu sein, die das derzeitige politischen System in Polen festigen soll. 

Polen, fährt Bielecki fort, hätte seine fünf Minuten nutzen können, um sich zu einem wichtigen Spieler in der europäischen Politik zu entwickeln. Im Gegensatz zu Berlin, habe Warschau seit Jahren zutreffend vor der russischen Bedrohung gewarnt und seine Verteidigungs- oder Energiepolitik entsprechend ausgerichtet. Die Schwächung der Rechtsstaatlichkeit und auch die ständigen Angriffe auf Berlin hätten Polen jedoch daran gehindert, das Beste daraus zu machen. Heute scheine diese Chance verspielt worden zu sein. Warschau bewege sich offenbar in einer anderen Wertewelt als Westeuropa, wo die Debatte über die systemischen Probleme der Kirche im Zusammenhang mit der Pädophilie, auch wenn sie schmerzhaft sei, trotz allem überall geführt wurde und weiterhin geführt werde, so Jędrzej Bielecki in der Rzeczpospolita.

DoRzeczy: Niemand greift Papst Johannes Paul II. so an, wie die Polen

Seit mehreren Jahren gebe es eine Reihe von unklaren Anschuldigungen gegen den Heiligen Johannes Paul II., sagt indes der Direktor eines Museums, das dem polnischen Papst gewidmet ist, Piotr Dmitrowicz, im Gespräch mit dem nationalkonservativen Wochenblatt DoRzeczy. Wie Dmitrowicz beobachtet, habe der Angriff auf Johannes Paul II. nicht erst vor einigen Jahren, sondern bereits vor Jahrzehnten begonnen. Nach dem Tod des Papstes habe die linksliberale Gazeta Wyborcza etwa T-Shirts mit der Aufschrift Ich habe nicht um den Papst geweint" verkauft. Wie könne man so etwas tun, angesichts einer so großen Tragödie, wie dem Tod von Johannes Paul II. und der enormen Konsolidierung, die damals in der polnischen Bevölkerung entstanden sei, fragt der Museumsdirektor. Seiner Meinung nach, habe es im 21. Jahrhundert nach der Smolensk-Katastrophe kein wichtigeres Ereignis gegeben, das die polnische Nation als Gemeinschaft so sehr gestärkt und gefestigt habe.

Die neuesten Texte und Fernsehbeiträge, lesen wir weiter, würden Thesen enthalten, die darauf abzielen, die Person Johannes Paul II. anzugreifen oder seine Nachlässigkeit in der Bekämpfung der Pädophilie in der Kirche zu beweisen. Dabei würden die Autoren jedoch mit unzulässigen Verallgemeinerungen arbeiten. Fehler und Irrtümer würden nicht nur auf sein gesamtes Pontifikat ausgedehnt, sondern auch auf die Zeit seines Dienstes in Polen während der kommunistischen Ära. Geht es nach Dmitrowicz, würden einige mit allen Mitteln versuchen, die Kirche des 20. Jahrhunderts als eine Institution darzustellen, die aus monströsen Menschen bestand.

Das Paradoxe, fährt der Direktor fort, sei, dass diese Kreise damit auch versuchen, alle Aktivitäten, die zur Gründung der Solidarność und zum Fall des Kommunismus geführt haben, in den Schmutz zu ziehen. Sie würden die Vielschichtigkeit des Pontifikats von JPII ignorieren und dass er ein für verschiedene Hintergründe und Religionen offener Mensch gewesen war. Er habe z.B. als erstes Kirchenhaupt eine Synagoge betreten. Trotzdem habe man ihn des Antisemitismus beschuldigt, ohne Beweise anzuführen. Er habe mit allen gesprochen. Im Mittelpunkt seiner Lehre habe der Mensch gestanden. Trotzdem würde Johannes Paul II. nirgendwo auf der Welt so angegriffen wie in Polen, stellt Piotr Dmitrowicz abschließend im Gespräch mit DoRzeczy fest.

Polityka: Wird Johannes Paul II. die Wahlen für die Partei Recht und Gerechtigkeit gewinnen?

„Die Erben der Kommunisten vernichten Johannes Paul II. nach seinem Tod". Geht es nach dem linksliberalen Wochenblatt Polityka, fassen diese Worte der Sejm-Vorsitzenden Elżbieta Witek das Wahlkampf-Narrativ der Partei Recht und Gerechtigkeit für die nächsten Wochen, wenn nicht Monate, am besten zusammen.  

Was die PiS mit dieser Debatte mache, lesen wir, habe nichts mit der Suche nach der Wahrheit zu tun. Stattdessen habe die Regierungspartei einfach eine politische Chance erkannt und sich in eine eifrige Verteidigung von Johannes Paul II. gestürzt. Dabei gehe es ihr aber hauptsächlich um die Verteidigung und den Machterhalt nach den Parlamentswahlen im Herbst. 

Die Verteidigung von Karol Wojtyla, fährt das Blatt fort, füge sich perfekt in die bereits offengelegte Strategie der Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ein: die Verteidigung der traditionellen Lebensweise gegen hauptsächlich eingebildete Bedrohungen durch alle möglichen Linken.

Tatsachen und Dokumente würde dabei jedoch niemand überprüfen wollen. Oder die Krakauer Kirche und den Vatikan bitten, ihre Archive zu öffnen. Viele Polen würden Vorwürfe gegen den Papst als „inakzeptabel“ wahrnehmen. Jeder, so eine weit verbreitete Überzeugung, wisse schließlich, dass der polnische Papst ein Heiliger sei. Und genau dieses Gedankenmuster würde die PiS zynisch ausnutzen. Diejenigen, die JPII angreifen, würde die Regierungspartei einfach allesamt als Erben des Marxismus verunglimpfen.

Bis zu den Wahlen, so Polityka, seien es zwar noch sechs Monate. Aus der Sicht der Regierungspartei bestehe jedoch die Gefahr, dass sich die Wähler in dieser Zeit etwas beruhigen und sich an Inflation, teure Treibstoffe und Energie sowie die Fehler des herrschenden Lagers erinnern. Daher würde Polen in den kommenden Monaten wohl ein Kreuzzug zur Verteidigung von Johannes Paul II. erwarten. Jeder werde sich das anhören müssen, ob es ihm gefällt oder nicht, so Polityka.

Autor: Piotr Siemiński